Im Pendjari-Nationalpark hält ein bewaffneter Ranger Wache.

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Die Franzosen Patrick Picque und Laurent Lassimouillas wurden mit einer US-Amerikanerin (nicht im Bild) und einer Südkoreanerin nach einer Safari im Pendjari-Nationalpark entführt.

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Usman Dicko zählt die Toten an den Fingern ab: "Meinen Vater haben sie getötet, meinen Onkel und meine beiden Cousins." Der 21-Jährige, der ein gelb-schwarz gestreiftes Poloshirt trägt, zählt Nachbarn, Freunde und entfernte Verwandte gar nicht erst auf. Es würden zu viele werden. Sie alle wurden in den ersten Jännertagen Opfer des Massakers von Yirgou. In dem Ort in der Provinz Centre-Nord im Norden von Burkina Faso starben verschiedenen Angaben zufolge zwischen 49 und mehr als 200 Menschen. Seitdem folgten weitere Angriffe, Überfälle und Ermordungen.

Neben der Trauer ist Usman Dicko vor allem wütend. Er gehört der ethnischen Gruppe der Peul an, die auch als Fulani oder Fulbe bekannt ist. "Sie haben uns beschuldigt, den Dorfchef von Yirgou und fünf Familienmitglieder ermordet zu haben." Das Massaker sei ein Racheakt dafür gewesen. Schutz bietet Dicko und 1380 weiteren Menschen derzeit das Flüchtlingscamp von Barsalogho, das im Jänner errichtet wurden. Im ganzen Land sind laut den Vereinten Nationen (UN) knapp 136.000 Menschen auf der Flucht. 95 Prozent leben allerdings in Gastgemeinden. Nach Informationen des Armed Conflict Location and Event Data Project (Acled), einer nichtstaatlichen Organisation in den USA, die Daten zu Konflikten weltweit erhebt, sind von November 2018 bis März 2019 499 Menschen ums Leben gekommen. Burkina Faso steckt in einer tiefen Sicherheitskrise.

Vergangene Vorzeigerolle

Dabei galt das Land mit fast 20 Millionen Einwohnern lange als Ruhepol im Sahel. Doch seitdem Langzeitherrscher Blaise Compaoré 2014 zum Rücktritt gezwungen wurde und es im Jahr darauf Neuwahlen gab, kommt es mitunter mehrmals pro Woche zu Anschlägen, Überfällen und Entführungen, auch von Touristen.

Die beiden Franzosen Patrick Picque und Laurent Lassimouillas sind beispielsweise am 1. Mai nach einer Safari im Pendjari -Nationalpark spurlos verschwunden. Mit ihnen entführt wurden eine US-Amerikanerin und eine Südkoreanerin. Bei der Befreiung am vergangenen Freitag starben zwei französische Soldaten. Frankreich hat nach der Intervention 2013 in Mali 4500 Soldaten in der Sahelzone stationiert.

Terroreinfluss aus Mali

Mittlerweile gilt es als ge sichert, dass Compaoré, der 27 Jahre an der Macht war, Nichtangriffspakte mit Terrorgruppen unterhielt. Heute gelten sie nicht mehr, weshalb sich beispiels weise die malische Unterstützergruppe des Islams und der Muslime (JNIM) – ein 2017 gegründeter Zusammenschluss von Ansar Dine, der Macina-Befreiungsfront und Al-Mourabitoun – weiter nach Burkina Faso ausbreitet. In Teilen des Landes gilt bereits der Ausnahmezustand.

"Verantwortlich für die Krise sind nicht identifizierte bewaffnete Gruppen", sagt in der Hauptstadt Ouagadougou der Parlamentsabgeordnete Bienvenue Ambroise Bakyono. Er gehört der Regierungspartei Bewegung der Menschen für den Fortschritt (MPP) an und ist stellvertretender Präsident der Verteidigungs- und Sicherheitskommission. Bakyono unterteilt Gruppen und Gefahren in drei Kategorien: Jihadisten, die Gewalt möglicherweise aus religiösen Gründen verüben, grenzüberschreitende Verbrecherbanden sowie Ausschreitungen auf lokaler Ebene. Klar sei: "Schnelle Lösungen gibt es nicht. Internationale Hilfe ist notwendig."

Für Usman Dicko, der in Barsalogho keine Arbeit hat und nirgendwo Geld verdienen kann, gibt es jedoch noch eine weitere gewaltbereite Gruppe: die Selbstverteidigungsmiliz Koglweogo. Übersetzt bedeutet das Wächter des Waldes. Im Camp sagen alle Bewohner, dass sie für den Angriff auf Yirgou verantwortlich sind.

Mitten in der Gesellschaft

Gegründet wurde die Miliz, die landesweit Untergruppen hat, 2015 und operiert seitdem in einer Grauzone. In Kaya, der Hauptstadt der Provinz Centre-Nord, loben Politiker und Verwaltungsmitarbeiter ihre Effizienz. Den Mitgliedern sei es zu verdanken, dass Viehdiebstähle, Straßensperren von Banditen und Überfälle in Dörfern spürbar zurückgegangen sind. In Ouagadougou wird die Miliz zu Diskussionsrunden eingeladen und wirkt wie ein Teil der Zivilgesellschaft. Dabei ist beispielsweise unklar, in welchem Ausmaß sie über Waffen verfügt.

In Kaya sitzt Moumini Ouedraogo auf einem blauen Plastikstuhl im Hauptquartier der Selbstverteidigungsmiliz Koglweogo. Es ist ein Hinterhof, der nur schwer zu finden ist. Ouedraogo ist verantwortlich für die Beziehung zwischen der Koglweogo und der öffentlichen Verwaltung und zählt am liebsten Erfolge auf. "Man konnte nicht einmal spazieren gehen." Heute sei in den Dörfern die Sicherheit zurück. Harte Arbeit sei das gewesen. "Wir haben kein Geld für Benzin. Fahrzeuge bekommen wir auch nicht gestellt." Auch würden Waffen fehlen. "Wenn die anderen bewaffnet sind, können wir nichts aus richten", bedauert er, wird dann jedoch vorsichtiger. "Es stimmt auch, dass die Regierung Angst hat, wenn hier jeder bewaffnet wäre." Er und die übrigen Männer bestreiten, dass ihre Gruppe irgendetwas mit dem Massaker von Yirgou zu tun hat.

Auswirkungen auf Nachbarn

Manchmal heißt es, dass die Unruhen in den Dörfern bewusst von Banditen und Terroristen getriggert werden. Burkina Faso war lange das Beispiel für Toleranz im Sahel. Verschiedene ethnische Gruppen, Christen wie Muslime haben noch vor kurzem selbstverständlich zusammengelebt und aufeinander aufgepasst. Funktioniert das nicht mehr, so befürchten Beobachter, können sich Kriminelle immer weiter aus breiten und auch die Krise in Mali weiter verschärfen. (Katrin Gänsler aus Ouagadougou, Kaya und Barsalogho, 13.5.2019)