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Der Vorstoß von Sebastian Kurz , die EU-Verträge zu ändern, wurde medial freundlich begleitet und beschäftigte auch die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel im rumänischen Sibiu.

Foto: AP Photo/Vadim Ghirda

Sebastian Kurz ist es diese Woche gelungen, europapolitisch ein Thema zu setzen. Sein Vorstoß, die EU-Verträge zu ändern, wurde medial freundlich begleitet und beschäftigte auch die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel im rumänischen Sibiu. Dass seine Ideen in naher Zukunft umgesetzt werden, ist angesichts der unterschiedlichen Interessen der 28 Mitglieder natürlich illusorisch. Jeder Reformprozess wird Jahre dauern und von großen Staaten wie Deutschland oder Frankreich dominiert werden. Das liegt in der Logik des europäischen Machtgefüges. Aber immerhin: Drei Wochen vor der Europawahl am 26. Mai wird intensiv über die Zukunft der Union diskutiert. Wie glaubwürdig das angesichts einer relativ unambitionierten österreichischen EU-Ratspräsidentschaft im Vorjahr ist, steht auf einem anderen Blatt.

Absolut unglaubwürdig ist jedenfalls die Wahlkampflinie der ÖVP in der Frage, wie man mit extrem rechten Parteien umgehen soll. Bei jeder Gelegenheit, vor allem wenn internationales Publikum dabei ist, lässt der Bundeskanzler nun wissen, dass man auf EU-Ebene keineswegs mit "Rechtspopulisten" zusammenarbeiten könne. Parteien wie der Rassemblement National von Marine Le Pen oder die AfD hätten sich wegen ihrer antieuropäischen Haltung selbst aus dem Spiel genommen, heißt es da.

Offenbar hofft Kurz darauf, dass den Bürgern die Widersprüchlichkeit dieses Kurses nicht auffällt. In Wien stellt man sich Woche für Woche mit den Rechtspopulisten von der FPÖ hin und zelebriert das als bestens funktionierende Reformregierung. Bei den Hardcore-"Einzelfällen" (Stichwort Rattengedicht) der Blauen hat sich Kurz zwar mittlerweile angewöhnt, diese zu verurteilen und Konsequenzen einzufordern. Ansonsten hat er allerdings kein Problem mit der Politik des Koalitionspartners. Ganz im Gegenteil: In vielen Bereichen kopiert er sie gnadenlos.

Demontage der Union

Dieselbe FPÖ, die also in Brüssel böse ist, weil sie mit Le Pen und Salvini an der Demontage der Union arbeiten will, ist in Wien ein konstruktiver Partner. Derselbe Harald Vilimsky, der laut der Kurz-Vertrauten und ÖVP-Listenzweiten Karoline Edtstadler in Brüssel "Retropolitik" betreibt und einen "Zickzackkurs" fährt, war in Wien gut genug, um das Europakapitel für das Regierungsprogramm mitzuverhandeln. Man muss keinen Doktortitel in Politikwissenschaft haben, um zu dem Schluss zu kommen: Das geht sich intellektuell nicht aus.

Entstanden ist der Spagat der ÖVP im Grunde ohne Not. Spitzenkandidat Othmar Karas würde man die Distanzierung von den Freiheitlichen ja noch abnehmen. Bei ihm kommt sie aus tiefstem Herzen. Aber den christlich-sozialen Karas wollte die "neue Volkspartei" nicht allein werken lassen. Er steht für unaufgeregte Sach- und nicht für PR-geschönte Überschriftenpolitik. Daher würde ihn das Team Kurz am liebsten verstecken und Edtstadler in die erste Reihe stellen – was sich der langjährige EU-Mandatar aber nicht gefallen lässt.

Das sind Zutaten für ein heißes Wahlkampffinale. Die Frage ist jetzt, ob die Zwei-Firmen-Strategie die Wähler tatsächlich davon abhält, die Volkspartei zu wählen, oder ob sie es ganz wie seinerzeit Michael Häupl sehen. Der frühere Wiener Bürgermeister warb darum, Politiker vor Wahlen nicht allzu ernst zu nehmen. Denn: "Wahlkampf ist die Zeit fokussierter Unintelligenz." (Günther Oswald, 10.5.2019)