Flucht aus dem reaktionären Umfeld der Familie: Almila Bagriacik als Hatun Aynur Sürücü.

Foto: Filmladen

Ich war ein Ehrenmord. Der erste, der richtig fett Presse hatte." In Sherry Hormanns Filmdrama Nur eine Frau richtet sich wie einst in Billy Wilders Sunset Boulervard die Stimme eines Toten ans Publikum. Der Fall der 23-jährigen Hatun Aynur Sürücü sorgte 2005 allerdings im realen Leben für Empörung. Denn die Deutsch-Kurdin wurde von ihrem jüngeren Bruder auf offener Straße erschossen, nachdem sie sich von ihrer streng religiösen Familie gelöst hatte und ein eigenständiges Leben führen wollte.

Nur eine Frau breitet ihre Lebensgeschichte als eingängiges Lehrstück auf, das die fatale Verstrickung von Ehrenkodex, Familiengewalt und Religion durchleuchten will. Die Hauptrolle Aynurs hat Almila Bagriacik übernommen, bekannt durch die Serie 4 Blocks und als Kieler Tatort-Kommissarin. Ein Treffen in Berlin, wo Bagriacik auch aufwuchs.

STANDARD: Haben Sie selbst noch Erinnerungen an den Fall?

Bagriacik: Meine Eltern sind beide Journalisten, daher war das auch bei uns zuhause ein Thema. Der Fall hat mich damals zwar aufgeregt, aber ich wollte nichts weiter damit zu tun haben. Meine Eltern haben mir damals zu erklären versucht, wie relevant das Thema ist und dass ich aufpassen muss, weil sich zu dieser Zeit auch gesellschaftlich viel veränderte.

STANDARD: Warum haben Sie das als Jugendliche so abgewehrt?

Bagriacik: Weil ich eine türkischstämmige Berlinerin bin. Ich dachte: "Na toll, jetzt denkt bestimmt jeder, dass wir alle so sind." Ich wollte nicht aus diesem Klischeeblickwinkel betrachtet werden. Denn es ging hier um ein Menschenleben, nicht um mich oder meine Identitätssuche. Ich habe immer versucht, mich als gutes Beispiel für Integration zu zeigen, und wurde in der Grundschule auch zum damaligen Präsidenten Johannes Rau ins Schloss Bellevue eingeladen. Mittlerweile weiß ich, dass uns dieser Mord alle angeht – nicht nur die türkische oder arabische Community. Es ist eine Berliner Geschichte.

STANDARD: Sie hatten ja in dem Sinn recht, dass solche Themen medial oder politisch gerne ausgeschlachtet werden. Der Film versucht nun rechtschaffen, viele unterschiedliche muslimische Lebensentwürfe zu zeigen.

Bagriacik: Es gibt vermutlich viele Menschen, die sich gar nicht so sicher sind, was sie in solchen Angelegenheiten denken sollen – und dann eine abwehrende Haltung übernehmen. Deshalb ist es so wichtig, dass man unterschiedliche Menschen zeigt. Es ist auch wichtig, dass wir im Film zwischen Tradition und Religion differenzieren. Er behandelt eine kurdische Tradition – das hat zunächst nichts mit Religion zu tun. Ehrenmorde sind aus einem gesellschaftlichen Druck entstanden, nicht weil es im Koran steht.

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STANDARD: Aber wenn Aynur ihren Weg selbstbestimmt, hat das durchaus auch mit der Emanzipation von Religion zu tun. Woher bezog Sie Ihre Stärke?

Bagriacik: Meine Meinung spielt da eigentlich keine Rolle, das hat ja das Buch schon vorgegeben. Wir wollten diesen Mitleidsmodus vermeiden, sonst schafft man ja nicht, diese Frau so stark darzustellen. Vom Casting an war mir klar, dass ich diese Frau nicht als Opfer spielen möchte, sondern als Kriegerin. Sie hat sich das alles erkämpft. Sie ist zur Schule gegangen, hat gearbeitet, ihr Kind betreut – sie hat das alleine gestemmt. So einer Stärke zu begegnen, war für mich eine besondere Erfahrung. Aynur ist für mich zu einem Vorbild geworden.

STANDARD: Aynur findet innerhalb ihrer Familie nur bei einem der Brüder Gehör – warum gibt es so wenig weibliche Solidarität?

Bagriacik: Das mag daran liegen, dass Frauen im Umgang mit Frauen oft noch sehr viel kritischer sind. Ihre Mutter hat in der Familie eine Vorbildfunktion zu erfüllen. Sie hat eine klare Vorstellung, wie eine Frau zu sein hat. Deshalb betrachtet sie sich auch als gescheitert, als ihre älteste Tochter aus der Reihe tanzt.

STANDARD: Haben Sie bei der Vorbereitung mit der Familie oder Aynurs Sohn zu tun gehabt?

Bagriacik: Über Can weiß man nichts. Niemand weiß, wo er heute lebt, auch die Familie nicht. Ich habe mir viele Dokus über sie angeschaut, es gibt auch Filmmaterial und Fotos. Eine Tote kann nichts mehr über sich selbst erzählen. Was die Familie zu sagen hatte, spielte war es für mich im Grunde keine Rolle, dafür gab es ja die Gerichtsakten, die Drehbuchautor Florian Oeller durchgearbeitet hat. Wichtiger war für mich, mir vorzustellen, was Aynur gesagt hätte. Wir haben mit ihrem Umfeld gesprochen, so habe ich einiges von ihren besten Freundinnen erfahren. Auch ihr damaliger Freund hat mit unserer Produzentin, Sandra Maischberger, gesprochen.

STANDARD: Die Verwandlung Aynur vollzieht sich auch äußerlich. Sie legt das Kopftuch ab. Wie betrachten Sie als türkischstämmige Deutsche die Diskussion um dieses Symbol – im Film könnte man meinen, dass sie sich erst in diesem Moment ganz befreit?

Bagriacik: Für mich beginnen die Probleme in dem Moment, wo man die Empathie aufkündigt. Meine Rolle der Amara in der Serie 4 Blocks trug im Buch etwa kein Kopftuch. Das hat Regisseur Marvin Kren geändert, weil er sie als heilige Schwester sah, die die Kriminalität nicht gut findet. Deshalb habe ich das Kopftuch wie eine Krone getragen – weil Amara es aus Überzeugung tut. Es gibt die unterschiedlichsten Gründe, warum Frauen Kopftuch tragen. Viele wollen nur ihre Ruhe von den Blicken der Männer. Das respektiere ich. Natürlich ist es viel zu früh, wenn man Kinder ein Kopftuch tragen lässt. Aber genau wie sich Aynur entscheidet, es abzunehmen, sollte man anderen die Freiheit lassen, es zu tragen.

STANDARD: Hegen Sie mit Ihrer Arbeit die Hoffnung, auch Milieus zu erreichen, die traditioneller denken und die Sicht des Films möglicherweise nicht teilen?

Bagriacik: Ich bin mir fast sicher, dass viele, die die Geschichte kennen, den Film kritisch sehen und sich fragen werden, ob wir den Fall richtig erzählen. Es wird immer andere Meinungen geben. Der Film wird bestimmt auch Menschen interessieren, die starke Frauen sonst nicht unbedingt mögen. Es geht doch vor allem darum, dass man nicht so schnell kategorisieren soll. (Interview: Dominik Kamalzadeh, 10.5.2019)