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Der Karl-Marx-Hof in Döbling ist einer der Meilensteine der Wiener Wohnpolitik der letzten 100 Jahre.

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In der Karl-Marx-Allee in Berlin gab es zuletzt wütende Mieterproteste.

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Katrin Schmidberger, Sprecherin für Wohnen und Mieten der Berliner Grünen, war in Wien.

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Peter Kraus, Planungssprecher der Wiener Grünen, zeigte Schmidberger den Wiener Wohnbau.

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Den Karl-Marx-Hof in Döbling findet sie so toll, dass sie ihn am liebsten gleich mitnehmen würde nach Berlin. Platz hätte man ja, zum Beispiel auf dem Tempelhofer Flugfeld, meint die wohnpolitische Sprecherin der Berliner Grünen, Katrin Schmidberger, schmunzelnd. Sie war kürzlich ein paar Tage auf Einladung der Wiener Grünen in der österreichischen Hauptstadt, um sich anzusehen, wie das zunehmend auch international gerühmte sogenannte Wiener Modell im Wohnbau funktioniert.

Gleich mehrere Sachen haben sie beeindruckt: dass Wien neuerdings wieder Gemeindewohnungen baut, dass sich der Bestand an Gemeindebauten so gleichmäßig über die Stadt verteilt und dass es hierzulande "einen Grundkonsens gibt, die Wohnpolitik nicht nur dem Markt zu überlassen".

In Deutschland sei genau das passiert, nach der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit unter Hemut Kohl 1990 und dem großangelegten Verkauf kommunaler Wohnungen um die 2000er-Jahre sei der Druck in den Ballungsräumen heute extrem. So auch in Berlin. Dort läuft nun ein Volksbegehren, das für den Rückkauf (die "Vergesellschaftung") von ehemals kommunalen Wohnungsbeständen eintritt.

Volksbegehren als "Notwehr"

Schlichte "Notwehr" nennt Schmidberger das Volksbegehren, denn man warte "seit zehn Jahren auf eine Reaktion des Bundes" in Sachen Mietrecht. "Die Leute haben jetzt die Schnauze voll."

Die Berliner Grünen, die in der Hauptstadt mit der SPD und den Linken in einer Koalition sind, unterstützen das Volksbegehren. Was aber erwarten sie sich davon?

Grundsätzlich betrete man damit Neuland, so Schmidberger. Der noch nie angewandte Artikel 15 des deutschen Grundgesetzes besage, "dass man Grund und Boden fürs Allgemeinwohl vergesellschaften kann". Und bei so einem "Rückkauf" müsse man auch nicht Marktpreise bezahlen – das sagen zumindest einige Experten.

"Wir reden von einer anfänglichen Investitionssumme von zwei bis vier Milliarden Euro, die wir aufbringen müssten, würden aber auch circa 300 Millionen durch die Mieten einnehmen", erklärt Schmidberger. Bis zu 250.000 Wohnungen, die den großen börsenotierten Gesellschaften gehören, könne man mit dieser Summe wohl zurückkaufen, denkt sie.

"Niemand zieht aus"

Berlin hat heute 320.000 kommunale Wohnungen, 16 Prozent des gesamten Wohnungsbestands. Die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften errichten jedes Jahr mehrere Tausend Wohnungen – interessanterweise aber nicht ausschließlich solche mit Preisdeckel. Seit 2015 habe man immerhin ein Gesetz, das sie dazu verpflichtet, 60 Prozent der frei werdenden Wohnungen an Niedrigverdiener zu vergeben.

Das Problem dabei: "Durch den hohen Druck auf dem Wohnungsmarkt werden kaum noch Wohnungen frei, niemand zieht aus." Dabei wären 50 Prozent der Berliner an sich anspruchsberechtigt.

Über die Gemeinnützigkeit wird seit einiger Zeit in Deutschland wieder diskutiert, die Grünen wären für die Wiedereinführung, sagt Schmidberger. "Die Bundesregierung hat nur leider keinerlei Interesse daran."

Neue Widmungskategorie in Wien

Was die Bodenpolitik betrifft, ist man in Berlin nun dabei, Stiftungen aufzubauen, die Boden kaufen und günstig verpachten sollen. Wien macht das als Land schon lange, dazu führte man bekanntlich jüngst die Widmungskategorie "Geförderter Wohnbau" ein. Mit ihr könne man "zwei Drittel des Bodens langfristig dem Markt entziehen", erklärte Grünen-Planungssprecher Peter Kraus, der Schmidberger ein paar Wiener Entwicklungsgebiete zeigte.

Er strich auch hervor, dass eine aktive Boden- und Widmungspolitik "auf Augenhöhe mit Investoren" sehr wichtig sei, so wie insgesamt das Zusammenspiel aus "aktiver" Bodenpolitik und einem starken Auftreten der Stadt in Sachen Widmungen von größter Bedeutung sei.

Auch wenn das in Wien möglicherweise nicht immer so ist: Laut Schmidberger liegt in Berlin hier noch weitaus mehr im Argen. "Investoren können viel zu oft bauen, wie sie wollen, die Stadt hat da wenig mitzureden. Wenn für ein Gebiet noch kein Bebauungsplan beschlossen wurde, dann hat man als Investor außerdem das Recht, so zu bauen, wie der Nachbar gebaut hat." Die Politik könne dann nicht mehr viel vorgeben.

"Die Lage ist dramatisch"

Insgesamt sei die Lage in Berlin dramatisch, so Schmidberger. So dramatisch, dass "die Zeit des Entweder-oder längst vorbei ist", es braucht aus ihrer Sicht "alle verfügbaren Instrumente: Neubau, Rekommunalisierung und Bestandsschutz mit einem strengeren Mietrecht".

Eines sei natürlich klar: 100 Jahre Rotes Wien könne man nicht in fünf oder zehn Jahren in Berlin nachholen. Auch das ganze heutige österreichische Wohnbausystem mit den Eckpfeilern Gemeinnützigkeit und Wohnbauförderungsbeitrag sei nicht von heute auf morgen umzusetzen. Die Wohnungsbauförderung könne und müsse man in Berlin aber rasch höher dotieren. 250 Millionen Euro gibt die deutsche Hauptstadt im Jahr dafür aus. Im halb so großen Wien ist es doppelt so viel.

"Wir wollen lieber nach Wien schauen, nicht nach London oder Paris", so Schmidberger abschließend. Hier findet sie nämlich auch den Slogan der Öffis – "Die Stadt gehört dir" – so schön. "In Berlin müsste es eher heißen: 'Wir kaufen uns die Stadt zurück.'" (Martin Putschögl, 11.5.2019)