Ist es ein Vogel? Ist es eine Fledermaus? Weder noch – die Evolution hat noch ganz andere Flieger hervorgebracht, wie Ambopteryx longibrachium zeigt.
Illustration: Min Wang, Institute of Vertebrate Paleontology and Paleoanthropology, Chinese Academy of Sciences

Wie oft haben die Wirbeltiere das Fliegen gelernt? An die 200 Jahre lang gab es darauf eine klare Antwort: dreimal – erst die Pterosaurier, dann die Vögel, zuletzt die Fledermäuse. Daneben gab und gibt es zwar noch jede Menge Tiergruppen mit körperlichen Anpassungen für den Gleitflug. Was jedoch aktiven Flug anbelangt: nur dreimal.

Erst der Microraptor ...

Und dann kam Microraptor gui. Der erstmals 2003 beschriebene, kaum ein Kilogramm schwere Dinosaurier lebte vor etwa 120 Millionen Jahren und hatte Flügel. Vier Stück davon sogar in gewissem Sinne, denn bei ihm trugen sowohl die vorderen als auch die hinteren Gliedmaßen Schwungfedern.

Trotz Federn gehörte der Microraptor aber nicht zur direkten Ahnenreihe der Vögel, er war eher so etwas wie ein Cousin. Er muss seine Flugfähigkeit also unabhängig von den Urvögeln entwickelt haben. Zudem muss sein Flugstil aufgrund der einzigartigen Anatomie ohnehin anders als der der Vögel ausgesehen haben – ob er tatsächlich flog oder nur glitt, ist allerdings noch umstritten.

... dann Yi qi

2015 folgte Yi qi. Das so wie der Microraptor in China entdeckte Tier lebte vor 160 Millionen Jahren und war im Stammbaum der Dinosaurier noch ein paar Abzweigungen mehr von den Vögeln entfernt als der Microraptor. Und bei ihm sah die Flugausrüstung noch einmal ganz anders aus: Er hatte Gleitflughäute ähnlich wie Pterosaurier oder Fledermäuse.

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Nun stellten Forscher der Chinesischen Akademie der Wissenschaften einen unmittelbaren Verwandten von Yi qi vor, der das Bild dieser absonderlichen Flugtiere, die Merkmale von Vögeln und Fledermäusen zu kombinieren scheinen, schärft. Das in der nordostchinesischen Provinz Liaoning entdeckte Tier mit dem Namen Ambopteryx longibrachium gehörte zur selben Gruppe wie Yi qi, den Scansoriopterygidae. Er lebte auch im selben Zeitraum, vor etwa 163 Millionen Jahren, und er hatte Federn – zum Fliegen brauchte er sie allerdings nicht, denn Ambopteryx hatte so wie Yi qi Flughäute.

Die Forscher um Min Wang weisen darauf hin, dass es grundlegende Unterschiede zwischen den Scansoriopterygidae und der Vogelverwandtschaft gibt. Die zum Fliegen notwendige Verlängerung der Vordergliedmaßen erzielten sie auf ganz verschiedene Weise: Bei den Scansoriopterygidae waren vor allem Oberarmknochen und Elle stark verlängert, zudem hatten sie an jeder Hand einen langen, spornartigen Gelenksknochen und einen verlängerten Finger ausgebildet, um die Flughäute aufzuspannen. Bei den Vögeln hingegen sind Handwurzel- und Mittelhandknochen zum sogenannten Carpometacarpus verschmolzen und in die Länge gewachsen.

Rekonstruktion von Ambopteryx longibrachium.
Illustration: Min Wang, Institute of Vertebrate Paleontology and Paleoanthropology, Chinese Academy of Sciences

Die Scansoriopterygidae und den Urvogel – ob nun der berühmte Archaeopteryx oder ein naher Verwandter – trennen nur wenige Millionen Jahre. Damals, im späten Jura, lag offenbar etwas in der Luft, wenn sich gleich zwei Arten des Fliegens annähernd parallel zueinander entwickeln konnten. Die Forscher sprechen von einer Ära der evolutionären Experimente – das mit den Scansoriopterygidae ist jedoch schon bald wieder gescheitert. Die seltsamen Mischwesen schafften es nicht bis in die Kreidezeit, als die Erfolgsgeschichte der gefiederten Flieger gerade erst anhob. (jdo, 9.5.2019)

Flaum zum Aufrechterhalten der Körpertemperatur und lange Schwanzfedern, die möglicherweise den Flug stabilisierten: Mehr brauchte das Tier nicht – statt auf Schwungfedern setzte es auf Flughäute.
Illustration: Min Wang, Institute of Vertebrate Paleontology and Paleoanthropology, Chinese Academy of Sciences