Wien – "Wenn es die ungustiösen Begleitumstände nicht gegeben hätte, wäre es ein Allerweltsfall", argumentiert Verteidigerin Astrid Wagner in ihrem Schlussplädoyer, warum ihr Mandant Alfred U. keine lebenslange Haftstrafe verdient. Die "Begleitumstände" hat der Geschworenensenat unter Vorsitz von Christina Salzborn zuvor ausführlich gehört: Der 64-Jährige soll am 29. März 2018 eine Prostituierte in seiner Wohnung erwürgt, zerteilt und teilweise in der Küche weiterverarbeitet haben.

Der Mordprozess ist nichts für empfindliche Magennerven, bei der Schilderung mancher Details greifen sich Zuhörerinnen entsetzt im bis zum letzten Platz gefüllten Saal mit der Hand vor den Mund. Auch etliche Beamte des Landeskriminalamts Burgenland sind im Publikum, auch sie wollen hören, was der Angeklagte, der über 30 Jahre seines Lebens im Gefängnis oder einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher verbracht hat, zu sagen hat.

Frustriert über Ämter und Beziehung

Um es vorwegzunehmen: Primär beklagt er sich. Über seine Odyssee bei den Ämtern, um nach der letzten Entlassung im Oktober 2016 entweder Arbeitslosengeld oder Berufsunfähigkeitspension zu bekommen. Über seine alkoholkranke Freundin, die ihm den Umgang mit seiner Familie verbat. Über die Schwierigkeiten mit dem Verein, der ihn nach seiner bedingten Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug betreute.

Und eigentlich auch über das Opfer. Die Ungarin habe ihn nämlich am Tattag am Westbahnhof angesprochen und sich bereiterklärt, ihn für 50 Euro in seine Wohnung in Wien-Brigittenau zu begleiten. "Es ging mir nicht um Geschlechtsverkehr", beteuert der Angeklagte. "Ich wollte nur ein bissl kuscheln und ein bissl busenschmusen."

Als er der Frau aber auf ihre Brust gegriffen habe, habe diese zu schreien begonnen und dafür mehr Geld gefordert. "Die Wohnung hat dünne Wände, ich hatte Angst, dass die Nachbarn die Polizei rufen. Ich wollte nicht ins Gefängnis zurück." Seine Lösung des Problems: "Ich hab solange zugedrückt, bis sie nicht mehr geschrien hat." – "Das dauert aber mindestens vier Minuten", merkt die Vorsitzende an. "Ja, es war lange", gibt U. zu.

Probleme mit körperlichen Beschwerden

"Kommen wir zurück zur toten Frau auf ihrem Bett", fordert Salzborn ihn zum Weitererzählen auf. Er macht das recht ruhig und emotionslos: Er habe wegen seiner körperlichen Probleme schon fast eine Stunde gebraucht, die Leiche vom Schlaf- ins maximal vier Meter entfernte Badezimmer zu ziehen. "Da ist mir die Idee gekommen, ich mach kleinere Teile, die ich in Säcken ins Auto tragen kann."

An dieser Stelle eine Warnung an die Leserschaft: Die folgenden Absätze enthalten verstörende Details. Wer ihnen entgehen will, sollte zum letzten Absatz springen. Denn die Umsetzung des Vorhabens, die Leiche transportbereit zu machen, dauerte mehrere Stunden. Für das Ergebnis zollt die Gerichtsmedizinerin Elisabeth Friedrich dem Angeklagten durchaus Respekt. Die Überreste hätten teilweise "wie anatomische Präparate" ausgesehen, sagt die Sachverständige. Und dass sie davon ausgegangen sei, dass der Täter zumindest Medizin studiert haben müsse oder Erfahrung mit Schlachtungen habe. Beides hat U. offenbar nicht.

Es gibt auch eine erstaunliche historische Parallele: U. hat die Leiche nämlich auch verstümmelt – und zwar auf eine Art und Weise, die frappant jener ähnelt, mit der der Mörder von Whitechapel, der als Jack the Ripper in die Geschichte einging, sein letztes Opfer zugerichtet hatte.

Motorenausfall erschwerte Entsorgung

Entsorgen wollte U. die menschlichen Überreste eigentlich in der Mitte des Neusiedler Sees, in Rust hatte er eine Seehütte von seiner Mutter geerbt. Allerdings: Der Akku seines Elektrobootes ging aus, er wurde zurück ans Ufer getrieben und musste die Müllsäcke dort versenken.

Einen hatte er in der Wohnung vergessen, wie er bei seiner Rückkehr entdeckte. Seine Reaktion war außergewöhnlich: Er verarbeitete das Fleisch in der Küche und fror es zum Teil ein. Er habe nicht gewusst, was er damit machen soll, begründet er das. "Ned bös sein, Gulasch kochen ist nicht die erste Idee, die mir kommt", wendet Salzborn ein. Der Angeklagte bestreitet aber, Kannibale zu sein: "Ich habe mir nur gedacht, vielleicht koste ich es einmal."

Der psychiatrische Sachverständige Peter Hofmann stellt in seinem Gutachten fest, dass U. an einer schweren Persönlichkeitsstörung leide, aber weder psychisch krank noch zurechnungsunfähig gewesen sei. Er habe den Angeklagten bei der Untersuchung als "freundlichen älteren Herrn" kennengelernt.

"Charme des Psychopathen"

Die Vorsitzende will auch erfahren, wie es erklärbar sei, dass der Angeklagte zwar mit seiner Freundin, die zum Tatzeitpunkt im Krankenhaus war, liebenswürdig und fürsorglich gechattet hat und auf seinem Computer gleichzeitig extrem gewalttätige Pornografie gefunden wurde. Hofmann verweist auf den aus der Literatur bekannten "Charme des Psychopathen", der genau wisse, wie man Menschen manipuliere.

Seine Standeskollegen, die U. 2016 bedingt entlassen haben, verteidigt Hofmann: Es habe danach eine sehr engmaschige Betreuung gegeben, außerdem habe U. Jahrzehnte Erfahrung im Umgang mit Psychiatern gehabt, könnte also gewünschte Antworten geliefert haben.

Verteidigerin Wagner geht in ihrem Eröffnungsplädoyer noch weiter: "Die Gesellschaft hat dazu beigetragen, dass mein Mandant seelisch und geistig verkrüppelt ist", prangert sie an. Denn: "Im Gefängnis verlernt man es zu leben und zu lieben. Er ist keine Bestie", versucht sie die Geschworenen zu überzeugen.

"Ich war ausgehungert nach Zärtlichkeit"

Der Angeklagte formuliert es in seinen ausführlichen Schlussworten so: "Ich war ausgehungert nach Zärtlichkeit, nicht nach Sex." Als das Opfer aber nach mehr Geld schrie, sei sein Frust durchgebrochen. "Hätte sie sich an das gehalten, was ausgemacht war – eine halbe Stunde Kuscheln –, wäre gar nichts passiert", ist U. überzeugt. Leid tue ihm die junge Frau dennoch.

Er den Geschworenen weniger: Sie verurteilen ihn einstimmig wegen Mordes sowie Störung der Totenruhe zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe und zur Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Er legt gegen die Strafhöhe Berufung ein, die Staatsanwältin gibt keine Erklärung ab, das Urteil ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 8.5.2019)