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Die Proteste in Algerien gehen unvermindert weiter.

Während die Proteste in Algerien weitergehen, erreichten die zuletzt immer aggressiver ausgetragenen regimeinternen Flügelkämpfe am Wochenende ihren vorläufigen Höhepunkt. Beamte der Polizeibehörde DGSI ließen am Samstag nicht nur die einflussreichen Ex-Geheimdienstchefs Mohamed "Tewfik" Mediène und Athmane Tartag, sondern auch den im Land äußerst verhassten Präsidialberater Saïd Bouteflika verhaften.

Am Sonntag wurden die drei einem Haftrichter vorgeführt und sitzen seither in U-Haft. Offiziell werden ihnen "Angriffe gegen die Autorität der Armee" und ein "Komplott gegen staatliche Autoritäten" vorgeworfen. Es drohen bis zu 20 Jahre Haft.

Der Bruder als Schlüsselfigur

Saïd Bouteflikas Verhaftung ist wenig überraschend, jene Tewfiks und Tartags jedoch sind ein Erdbeben. Saïd, der jüngere Bruder des im April zurückgetretenen Ex-Präsidenten Abdelaziz Bouteflika, galt seit dessen Schlaganfall 2013 als Schlüsselfigur von dessen Fraktion in Algeriens fragmentiertem Machtgefüge. Wie mächtig er dabei wirklich war, ist seit Jahren Gegenstand heftiger Spekulationen. Dass er auch nach dem durch die Massenproteste erzwungenen Rücktritt des Staatschefs weiter als Präsidialberater fungierte und hinter den Kulissen intrigierte, um seine Einflusssphäre zu wahren, hatte zuletzt aber verstärkt für Irritationen gesorgt.

Nachdem zuletzt mehrere Verbündete Bouteflikas von der Macht verdrängt wurden, ist Bouteflikas Clan innerhalb des Regimes nach Saïds Verhaftung vorerst kaltgestellt. Die Verhaftungen Tewfiks und Tartags hingegen zeigen, dass vormals etablierte Fronten innerhalb des Regimes durcheinandergewirbelt werden. Tewfik galt lange als Bouteflikas mächtigster Gegenspieler, der von ihm mit eiserner Hand geführte Geheimdienst DRS als das eigentliche Machtzentrum des Militärs. Tewfik wurde 2015 als DRS-Chef abgesetzt und von Tartag an der Spitze des nun formell dem Präsidentenpalast unterstellten DSS ersetzt. Seit Protestbeginn hatte sich Tewfik aber offensiver ins Politikgeschehen eingemischt und sich damit den Unmut des immer mächtiger werdenden Armeechefs Ahmed Gaïd Salah zugezogen. Dieser hatte im April den DSS der Armee unterstellt und konzentriert damit eine Machtfülle in seinen Händen, die seit 1990 kein Armeechef mehr innehatte.

Halbherzige Konzessionen

Gaïd Salah und Interimspräsident Abdelkader Bensalah präsentieren sich indes weiter als Vorkämpfer gegen Korruption, halten aber an der für 4. Juli geplanten Präsidentschaftswahl fest, die von der Protestbewegung und dem Tewfik-Lager abgelehnt wird. Gaïd Salah hofft wohl darauf, die Mobilisierungskraft der Proteste durch halbherzige Konzessionen wie die jüngsten Festnahmen brechen zu können. Ob das funktioniert, bleibt fraglich. Denn die Protestbewegung fordert inzwischen vor allem den Rücktritt Salahs. (Sofian Philip Naceur, 7.5.2019)