Aussortierte Autos auf der Zwischenstation in ein neues Leben: Sebastian Brameshubers "Bewegungen eines nahen Bergs" erforscht eine Randzone des Kapitalismus.

Foto: Crossing Europe

Studie einer engen Mutter-Sohn-Beziehung: "Light as Feathers" von Rosanne Pel.

Foto: Crossing Europe

I’m an Upper Austrian, and I have a problem in Vienna!" Mit diesen Worten wandte sich Filmemacher Sebastian Brameshuber bei der Abschlussgala von Crossing Europe direkt an Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP). Damit hatte die Debatte um die fragwürdige Personenpolitik bei der Neubesetzung des Filmbeirats im Bundeskanzleramt (Der Standard berichtete) auch dieses Podium erklommen. Wie viele andere aus der Branche sieht Brameshuber die so unerlässliche Einrichtung als gefährdet an.

Und er weiß, wovon er spricht. Denn sein Dokumentarfilm Bewegungen eines nahen Bergs, für den er bereits bei Cinéma de réel in Paris mit dem Hauptpreis prämiert wurde, wäre ohne BKA-Mittel nicht realisierbar gewesen. Nun durfte sich Brameshuber in Linz noch über den Local Artists Award freuen. Da es sich um einen Film handelt, der globale Verstrickungen an einem Ort nahe dem steirischen Erzberg zu versinnbildlichen versteht, passte er hervorragend in die Ausrichtung von Crossing Europe. Dort geht es seit jeher um das Verbindende zwischen Regionen, um die Bewegung über einen sich ständig wandelnden Kontinent hinweg, nicht um den Rückzug aufs Identitäre.

Filmgarten

Brameshuber hat über den Nigerianer Cliff bereits einen Kurzfilm (Of stains, scrap and tires) gedreht, nun steht der Mechaniker, der in seiner rammelvollen Werkstatt Autos ankauft und für den Export nach Afrika in ihre kleinsten Bestandteile zerlegt und/oder repariert, noch einmal im Mittelpunkt. Man sieht ihm aus meist starren Einstellungen bei der Arbeit zu: wie er schraubt und verhandelt, verlötet und feilscht. Brameshuber gewährt Einblick in eine Recyclingbörse, die auch davon erzählt, was vom Kapitalismus übrigbleibt. Im langsamen Rhythmus der Bilder entwickelt der Film eine eigene Musikalität.

Die aktuelle Ökonomie wird mit mythologischen Anspielungen auf das nie versiegende Eisen durchsetzt. Allerdings drängt einem der Film seine Schlüsse nicht auf, sondern setzt auf die assoziativen Bilder. Von der Welt draußen sieht man nur den nahegelegenen Paintball-Übungsplatz. Erst am Ende folgt Afrika.

Zu große Freiheiten

Aus der Beobachtung spezifischer Orte, allgemeine Erkenntnisse zu gewinnen: Diese Ausrichtung einte in Linz mehrere Filme. Die Niederländerin Rosanne Pel begibt sich in ihrem Debütfilm Light as Feathers in ein polnisches Dorf, wo der 15-jährigen Eryk mit seiner jungen Mutter und Großmutter lebt. Dass die Beziehungen eng sind, zeigt Pel mit wacher Beobachtungsgabe. Bald realisiert man bei Eryk allerdings, dass er vielleicht eine Spur zu früh gelernt hat, eigenständig zu handeln. Die Freiheiten, die man ihm lässt, erweisen sich im Verhältnis zu seiner mädchenhaft wirkenden Freundin als Gefahr. Er weiß nicht, wo seine Grenzen liegen.

Light as Feathers geht mit dem Drama, das diese Konstellation enthält, äußerst behutsam um. Nicht der Skandal einer Vergewaltigung, sondern das soziale Verhältnis dahinter interessiert Pel, das sie ähnlich wie bei einer dokumentarischen Annäherung erforscht. Auf 16mm-Film gedreht, liegt über den ohnehin schon lichtarmen Bildern dieser flachen Landschaft eine bedrückende Schwere; doch Pel weiß auch aufzulockern, indem sie ambivalente Gefühle zulässt.

vipmagazin

Noch ein weiterer Nachwuchsregisseur schraubte sich lieber in die Tiefe eines Sujets vor, anstatt in die Breite zu gehen. Oray von Mehmet Akif Büyükatalay, auf der Berlinale als bestes Debüt ausgezeichnet, liefert eine rare Innenperspektive auf in Deutschland lebende junge Muslime. Auch er sucht nicht das Sensationelle, Schlagzeilenträchtige, sondern erzählt vom Einfluss der Religion auf orientierungslose Männer, vom gemeinschaftsstiftenden Prinzip daran.

Die Titelfigur Oray (Zejhun Demirov) ist ein etwas zu heißblütigen junger Mann, dem im Streit mit seiner Frau die Scheidungsformel "talaq" auskommt. Áls gläubiger Mann muss er sich zumindest drei Monate lang von ihr fernhalten. Damit ist auch schon die Stoßrichtung des Films umrissen: Es geht darum, wie der Versuch, einem Ideal zu entsprechen, unaufhörlich neue faule Kompromisse gebiert.

Oray erzählt packend von der Zwiespältigkeit einer Lebensrealität, die in unserem von Übertreibungen bestimmten Zeitalter auch selten so differenziert in den Blick gerät. (Dominik Kamalzadeh, 2.5.2019)