Christian Kern soll Aufsichtsrat bei der russischen Staatsbahn werden.

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Die russische Staatsbahn RZD steuert auf Veränderungen zu: Laut mehreren dem Unternehmen nahestehenden Personen wird auf der Jahreshauptversammlung der ehemalige Vizepremier Arkadi Dworkowitsch, ein Vertrauter von Regierungschef Dmitri Medwedew, seinen Posten verlieren. Als Kandidat für die Nachfolge wird der frühere Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) genannt. Offiziell will die RZD die Kandidatur nicht kommentieren. Kern selbst sagt zum STANDARD, er wolle sich zu dem Thema nicht äußern. "Ich bitte um Verständnis."

Die Version ist allerdings durchaus plausibel: Dworkowitsch ist durch den Korruptionsskandal um das ihm nahestehende Unternehmer-Brüderpaar Magomedow 2018 unter Druck geraten. Kurz danach wurde er bei der Regierungsumbildung nicht mehr berücksichtigt und büßte dementsprechend auch den Posten als Aufsichtsratschef bei der Bahn ein. Die anschließende Ernennung zum Leiter des Innovationsfonds Skolkowo und zum Präsidenten des Weltschachverbands (Fide) dienten der finanziellen und politischen Absicherung Dworkowitschs, doch sein Verbleib im Aufsichtsrat der RZD galt schon damals als zeitlich begrenzt. Die Tätigkeit des zwölfköpfigen Aufsichtsratsgremiums wird mit umgerechnet 700.000 Euro abgegolten.

Kein Zufall

Nun soll augenscheinlich die Ablösung ohne weiteren Imageverlust für den 47-Jährigen vollzogen werden. Der Name Kern fällt im Zusammenhang mit der RZD auch nicht ganz zufällig. Die RZD hat bereits in der Vergangenheit mehrfach hochrangige internationale Politiker und Geschäftsleute in das Gremium berufen. So wurde der langjährige Chef der Deutschen Bahn, Hartmut Mehdorn, nach seinem Ausscheiden aus der DB Mitglied im Aufsichtsrat der RZD.

Kern war von 2010 bis 2016 Vorstandsvorsitzender der ÖBB. In dieser Position hat er sich für das von Russland initiierte Projekt einer Breitspurbahn nach Wien ausgesprochen. Das milliardenschwere Projekt werde Österreich 3.000 Arbeitsplätze und durch den Aufbau eines Logistik-Hubs jährlich einen dreistelligen Millionenbetrag in der Wertschöpfungskette bringen, begründete Kern sein Engagement.

Umstrittener Russlandbesuch

Auch als Kanzler zeigte er sich moskaufreundlich: Für Irritationen sorgte sein Auftritt 2017 als Ehrengast beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg. Dort beklagte er öffentlich die westlichen Sanktionen, deretwegen Österreich jährlich 0,3 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts einbüße. Bei dem Besuch versuchte er zudem das zuvor auf Eis gelegte Projekt der Breitspurbahn nach Wien wiederzubeleben. In der Zeit wurden neue Machbarkeitsstudien durchgeführt, die die Effizienz des Projekts beweisen sollten.

Für die RZD ist der Bau weiterhin aktuell. "Das Projekt einer Breitspurbahn erlaubt es, Barrieren zu überwinden, die derzeit die Entwicklung der Eisenbahnen behindern", sagte RZD-Chef Oleg Belosjorow noch bei einem Treffen mit ÖBB-Chef Andreas Matthä im März. Kern könnte mit seinen guten Verbindungen in Politik und Wirtschaft dabei helfen, das Projekt zu forcieren.

Neben der RZD nutzen auch andere russische Staatsunternehmen gern die Hilfe hochrangiger Lobbyisten aus Europa. So setzt Gazprom seit Jahren auf die Hilfe von Deutschlands Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) bei der Vermarktung der Pipeline Nord Stream. Seit 2017 ist er zudem bei Rosneft aktiv. Als Berater bei Nord Stream 2 wurde zudem Ex-Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) angeheuert. Dessen Parteikollege Wolfgang Schüssel, Kanzler von 2000 bis 2007, sitzt seit 2018 beim privaten russischen Mobilfunkanbieter MTS im Aufsichtsrat und soll im Juni eine ähnliche Position beim Ölkonzern Lukoil bekommen. (André Ballin aus Moskau, 1.5.2019)