Treffsicherheit wird im Kampf gegen Thanos nicht genug sein – Scarlett Johansson als Black Widow in "Avengers: Endgame".

Foto: Disney

Auf einem Gedenkstein in San Francisco steht ein Name inmitten vieler anderer: Scott Lang ist einer der "Verschwundenen", derer mit diesem Stelenfeld gedacht wird. The Vanished, das Wort ist wohl mit Bedacht gewählt, denn zu einem richtigen Tod gehört ein Leichnam. Die vielen Verschwundenen aber haben sich einfach in nichts aufgelöst, mit einen Fingerschnippen des Titanen Thanos am Ende des Film Avengers: Infinity War.

Ein Schnitt, mitten durch das Universum, ein radikal negatives Fifty-fifty. Na ja, nicht ganz. Denn in San Francisco steht Scott Lang vor der Stele, auf der sein Name zu lesen ist, und er begreift, dass da etwas nicht ganz stimmen kann. In dieser Szene des neuen Marvel-Action-Abenteuers Avengers: Endgame liegt einer der Schlüssel zu einer ausufernden Geschichte, mit der ein seit inzwischen mehr als einem Jahrzehnt expandierendes Erzähluniversum an ein (vorläufiges) Ende kommt.

Marvel Entertainment

Scott Lang ist im Berufsleben der Ant-Man. Er verfügt über die Gabe, sich zu verdünnisieren. Und er ist in der Riege der Marvel-Wunderwesen einer der witzigsten. Daran lag es aber nicht, dass er den nihilistischen Schnitt des Thanos überlebt hat. Scott Lang war im entscheidenden Moment gerade anderswo. Zeitlich gesehen.

Das Getrippel einer Ratte weckt ihn auf, und so ist er nun zuerst einmal für einen Moment auf beiden Seiten der Geschichte – verschwunden, aber wiedergefunden.

Trauerarbeit und Bierwampe

Er trifft auf Kollegen, die alle auf unterschiedliche Weise mit Trauerarbeit beschäftigt sind: der Iron Man Tony Stark hat sich mit Pepper Potts und Töchterchen in die Einschicht verabschiedet, die Black Widow hält trübsinnig das Büro besetzt, und Thor hat sich in dem Weiler New Asgard eine Bierwampe zugelegt. Am ehesten kommt noch Hulk mit der neuen, halbierten Welt zurecht – er steht inzwischen zu seinem Gigantenkörper.

Bei aller Versuchung, sich hängenzulassen, kann die Superheldenriege den Sieg von Thanos nicht auf sich sitzen lassen. Für ein großes Osterwunder bietet sich aber nur eine Strategie an, die Hollywood schon ziemlich abgenudelt hat: zurück in die Zukunft? Bei Zeitreise denken die Avengers zuerst einmal an eher spezielle Filmklassiker wie Hot Tub Time Machine.

Es ist der Tüftler Tony Stark, der schließlich den Ausschlag dafür gibt, es doch auf diese Weise zu versuchen: Ein "time heist" wird geplant, also ein Raubzug quer durch die Dimensionen und Kompossibilitäten, in denen Scott Lang auf die Ratte gewartet hat. Ziel ist es, die Infinity Stones an sich zu bringen, bevor sie Thanos für die Vervollständigung des tödlichen Handschuhs zu fassen kriegt. "Wir sind Avengers, keine Prevengers", heißt es zwischendurch einmal, doch in diesem Fall geht es tatsächlich um Präventivgeschichte.

Verquast, aber überzeugend

Die Sache mit den Steinen und dem Handschuh klingt jetzt als Inhaltsangabe ein bisschen sehr nach einem verquasten Mix aus Fantasy und Action, nach einem Harry-Potter-Remix mit Quantenqueste. Tatsächlich ergibt sich in Avengers: Endgame aber sehr überzeugend immer wieder alles eines nach dem anderen. Das inzwischen bewährte Regieduo Anthony und Joe Russo sammelt auf der Grundlage eines Drehbuchs von Christopher Markus und Stephen McFeely geduldig die verbliebenen Figuren ein, darunter auch das "new girl" Captain Marvel, hier mit neuer Frisur.

Zwei Stunden lang ist Avengers: Endgame ein Charakterdrama mit verhaltenem Witz. Den ersten Höhepunkt gibt es, als Captain America und Iron Man auf einer US-Armeebasis in New Jersey in den 1970er-Jahren eine Abzweigung aus ihrer Schleife nehmen. Von nun an wird improvisiert.

Die ganze Idee mit der Zeitreise hat einen tieferen Sinn, weil das Marvel Cinematic Universe dabei auch noch einmal Stationen seines Entstehens abklappern kann. Ganz ohne postmoderne Ironie, sondern aus einem Geist genuiner Selbstrevision treffen Avengers hier auf frühere Ichs: Man meint sogar, frühere CGI-Schichten zu erkennen, also nicht nur zeitliche, sondern auch Virtualitätsdimensionen.

Nuanciert und klug zusammengefügt

Was aber an diesem Schlussstein zu einer großen Ensembleerweiterung vor allem überzeugt, ist die Figurenzeichnung: Die drei Stunden Erzählzeit sind gut angelegt, weil sie auch dazu dienen, nuancierte Charaktere in spannende Verhältnisse (und in schräge Welten) zu bringen. Und als Thanos schließlich noch einmal seines verkehrten Schöpfertums walten möchte, tritt ihm tatsächlich eine Weltgesellschaft gegenüber – man merkt dabei auch, wie viel sich in den Jahren seit 2008 (als der erste Iron Man herauskam) identitätspolitisch verändert hat.

Wer diese Zeit in einem Quantenloch versäumt hätte, bekäme einiges zu staunen. Mehr Vergnügen (und ein paar wehmütige Knoten im Hals) macht Avengers: Endgame aber als bewusst nachvollzogene, kreative Summe aus vielen Ideenatomen, die hier klug zusammengefügt werden. (Bert Rebhandl, 24.4.2019)