Der Garten auf dem Grazer Science Tower ist ein Experimentierfeld für nachhaltiges urbanes Wirtschaften unter den Bedingungen des Klimawandels.

Foto: Manuela Schwarzl

In Richtung Himmel ist der Garten offen. Damit unterscheidet er sich von bereits realisierten kommerziellen Dachgärtnereien, die meist auf Glashauskulturen setzen

Foto: Manuela Schwarzl

Gartenbesichtigungen bei strömendem Regen sind normalerweise eine matschige Angelegenheit. Bei diesem Garten aber, 60 Meter über dem Erdboden auf dem Dach des Grazer Science Tower, ist bis auf die vielen Pflanzen kaum etwas so, wie man es kennt.

An die 20 große Hochbeete sind ringförmig wie die Felder eines Parasolfächers auf der runden Dachfläche angeordnet, und wenn man aus dem Turminneren tritt, blickt man über die Salat-, Gemüse- und Kräuterbeete, die Feigen- und Olivenbäumchen auf die Baustellen der entstehenden Smart City und die grünen Hügel des Plabutsch im Hintergrund. Die Fußwege sind überdacht, sodass auch die ungnädige Witterung dem ersten öffentlichen Auftritt des "Smart City Rooftop Farming"-Projekts nichts anhaben kann.

Was diesen Garten im 14. Stock so besonders macht, ist nicht nur der Ehrgeiz seiner Betreiber, auf rund 100 Quadratmetern das ganze Jahr über Gemüse anzubauen. Denn diese Rooftop-Farm soll neben Lebensmitteln auch Energie produzieren.

"Wenn wir die Klimaziele ernst nehmen, müssen wir alle verfügbaren Dachflächen für die Stromproduktion nutzen", sagt Franz Prettenthaler, Projekt-Initiator und Direktor des Life-Zentrums für Klima, Energie und Gesellschaft von Joanneum Research.

Grätzel-Zellen und LED-Beleuchtung

Wo aber sind die Photovoltaik-Module? "Wir gewinnen unseren Strom nicht mit Photovoltaik, sondern mit der sogenannten Grätzel-Zelle, durch die das Licht – auf das die Pflanzen ja angewiesen sind – nicht abgehalten wird", so der LIFE-Direktor.

Wie eine hohe, orange Glaswand umfassen diese Farbstoffsolarzellen den Rand des kreisrunden Dachgartens und halten damit auch kalte Winde ab, was für die Pflanzen im Winter überlebenswichtig ist. Auch wenn die Technologie noch nicht ganz ausgereift ist – hier will man Erfahrungen sammeln.

In Richtung Himmel ist der Garten offen. Damit unterscheidet er sich von bereits realisierten kommerziellen Dachgärtnereien, die meist auf Glashauskulturen setzen. In Graz arbeitet man mit frosttoleranten Pflanzen, von denen man etliche den ganzen Winter über auch ohne Glashausbeheizung, nur mit zusätzlicher LED-Beleuchtung, ernten konnte.

"Mangold, Palmkohl oder Asia-Salate wuchsen auch in den kalten Monaten so gut, dass wir regelmäßig an das Restaurant auf der anderen Straßenseite liefern konnten", schildert Prettenthaler.

Ziemlich smart

Da man auch den sozialen Aspekt nachhaltigen Wirtschaftens ernst nimmt, wird der städtische Höhengarten von jungen Männern und Frauen aus dem Caritas-Beschäftigungsprojekt "tag.werk" unter Anleitung eines erfahrenen Gärtners betreut.

Die 50 Tonnen Bioerde wurden übrigens mit Kränen aufs Dach gehievt. "Die Flächen, die man unten im Ausmaß von 30 Fußballfeldern pro Tag versiegelt, kann man sich auf diese Weise in der Höhe teilweise wieder für die Nahrungsmittelproduktion zurückholen", so Prettenthaler.

Angesichts von Landverbrauch, Klimawandel, Bevölkerungswachstum und Verstädterung ist das Grazer Rooftop-Farming-Projekt inmitten der entstehenden Smart City viel mehr als eine hippe Bobo-Lifestyle-Schablone. Hier wachsen gesunde Lebensmittel, die nicht erst von irgendwo in die Stadt transportiert werden müssen, hier wird Ökostrom produziert, hier wird im Humusboden der Beete Regenwasser gespeichert (das unten wegen der Versiegelung oft kaum noch versickern kann) und im Sommer für eine natürliche Abkühlung der überhitzten Stadt gesorgt. Alles zusammen ziemlich smart – und das nahezu ohne elaborierte High-Tech- und IT-Systeme.

Frostöfen und Lebensstil-Check

Im Bestreben, die Widerstandsfähigkeit gegenüber Klima- und Wetterrisiken zu stärken, werden am Life-Zentrum der Joanneum Research nicht nur neue Formen einer ökologischen Stadtwirtschaft erprobt, sondern auch Problemlösungen für die konventionelle Landwirtschaft erarbeitet.

So leiden etwa die Obst- und Weinbauern durch den Klimawandel unter vermehrten Spätfrösten, die allein im Frühjahr 2017 in Europa volkswirtschaftliche Kosten von geschätzten 3,3 Milliarden Euro verursacht haben. Um sich vor diesen verheerenden Frösten besser schützen zu können, haben die Grazer Forscher einen Masterplan sowie CO2-neutrale Frostöfen für Apfelplantagen erarbeitet.

Zudem wurde am Life-Zentrum auch ein "Climate Lifestyle Check" entwickelt. Damit kann jeder seine persönliche CO2-Bilanz ermitteln (www.lifestylecheck.at) und überprüfen, wo er damit im Vergleich zum österreichischen Durchschnitt steht. Die pro Jahr verbrauchten Kilos an CO2 ergeben sich u. a. aus der Wohnsituation, Mobilitäts-, Konsum-, Ernährungs- und Freizeit-Gewohnheiten. Dachgärtner dürften bei diesem Test ziemlich gut abschneiden. (Doris Griesser, 18.4.2019)