Auch andere sollten durch seine Bilder die Natur so sehen können, wie er das tat: Vincent van Gogh (Willem Dafoe) in Schnabels Filmbiografie.

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Passion für Kunst und Künstler: Julian Schnabel.

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Unter den Malern ist Vincent van Gogh ein veritabler Filmstar. Im richtigen Leben missachtet, eroberte er im Kino, gespielt von Kirk Douglas, schon 1956 eine Hauptrolle. Mit Julian Schnabel widmet sich nun erstmals ein Regisseur und Maler der letzten Lebensphase Van Goghs. Großartig besetzt mit Willem Dafoe in der Rolle des getriebenen Künstlers, dringt Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit (At Eternity's Gate) tiefer zum inneren Schaffensdrang des Malers vor. Schnabel will den schöpferischen Prozess als sinnliche Erfahrung mit den Mitteln des Kinos beschwören, einen Prozess, der sich vom Takt des Lebens jedoch immer weiter entfernt. Für Schnabel geht es weniger um biografische Genauigkeit, sagt er im Interview, als um das Abenteuer des Sehens selbst.

STANDARD: In Ihrem Film "Basquiat" gibt es ein Zitat des Kunstkritikers Rene Ricard: "Everybody wants to get on the van Gogh boat". Er kritisierte die Romantisierung des verkannten Künstlers. Wie kam es, dass Sie jetzt selbst an Bord gingen?

Schnabel: Lustigerweise war mir das gar nicht mehr so präsent. Doch man muss sich das ganze Zitat vor Augen halten (zitiert es auswendig, Anm.). Man kann es auch so verstehen: Warum können die Leute nicht sehen, was vor ihnen liegt – wie der Maler die Welt sah? In meinem Film sieht man viele Künstler, die über sich selbst sprechen. Van Gogh ist einer unter ihnen, er fragt nach etwas Tabak, er will mit den anderen ins Gespräch kommen. Wir hören, wie van Gogh über Delacroix und Veronese spricht, ich lasse ihn auch über Velázquez und Goya reden. Ist das nicht viel interessanter, als wenn er über Manet spricht?

STANDARD: Sie sprechen von künstlerischen Wahlverwandtschaften?

Schnabel: Es geht mir darum, eine andere Einsicht zu ermöglichen. Ich will zu einem anderen Blick auf seine Gemälde verhelfen. Und ich will die abstrakten Arbeitsschritte sichtbar machen, die man üblicherweise nicht sehen kann. Die Leute sehen das Mädchen, die Blumen, eine Kapelle. Aber sie sehen nicht das Gelb, das Weiß, das Schwarz. Sie sehen nicht, wie der Maler erst etwas formt, das erst später einen Namen bekommt.

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STANDARD: Da scheint der Maler in Ihnen zu sprechen. Aber was genau leistet der Film? Ergänzt der Regisseur die zeitliche Dimension?

Schnabel: Was mich als Filmemacher beschäftigt, ist die Bewegung selbst. Und die Arbeit mit dem Material des Films. Niemals will ich das Malen illustrieren. Wenn ich Julie Taymors Film über Frida Kahlo sehe, wo die Bilder an bestimmten Stellen zu Animationen werden – das ist das Schlimmste, was man machen kann! Ich versuche, den Film innerhalb der Gemälde arbeiten zu lassen. Deswegen habe ich auch viel in der ersten Person gedreht. Man kann van Gogh in der ersten Person erleben. Es geht darum, zu zeigen, wie beim Malen etwas mit dir geschieht. Die Lichter gehen aus, du sitzt im Dunkeln, dann geht es wieder an, und du siehst das Bild wie eine Skulptur.

STANDARD: Wie sind Sie dafür szenisch vorgegangen? Es wurden ja auch biografische Aspekte frei ergänzt.

Schnabel: Ein wesentlicher Anstoß war die Van Gogh / Artaud-Ausstellung The Man Suicided by Society im Musée d'Orsay. Ich erzählte Jean-Claude Carrière davon, der am Ende mit Louise Kugelberg und mir das Drehbuch schrieb. Im Museum hatte ich die Idee, den Film gleichsam um die Bilder herum zu arrangieren. Ich bat Carrière also, die Bilder mit erzählerischen Vignetten aufzufüllen. Das ergab einen Katalog von Episoden; wichtiger war mir aber die Intensität des Gefühls, die Segen und Fluch im Leben von van Gogh war. Es ist der ausdrücklichste Film, den ich je gemacht habe. Es geht darum, wie man auf die Dinge blickt.

STANDARD: Wie haben Sie das Ihrem Kameramann Benoît Delhomme erklärt?

Schnabel: Ich habe mit ihm Spaziergänge durch die Natur gemacht. Ich habe ihm gesagt, was ich von ihm wollte, aber er hat es auch selbst draufgehabt. Ab einem bestimmten Punkt antizipierte er meine Vorstellungen. Wir sind oft noch nach Drehschluss los, zur magischen Stunde, und haben weitergedreht. Ganz viel wurde von den Originallandschaften selbst vorgegeben.

STANDARD: Sie behandeln aber auch die Bedingungslosigkeit, mit der van Gogh am Malen festhält, obwohl er keinen Erfolg hat.

Schnabel: Auf jeden Fall. Van Gogh hatte zumindest das Glück, einen Bruder zu haben, der ihn unterstützt hat. Das ermöglichte ihm, weiterzumachen, obwohl er nichts verkauft hat. Auch wenn es nicht genug war: Er schuf ein ziemlich ansehnliches Werk! Doch die Idee, so etwas wie eine Vereinbarung zu finden, bevor man überhaupt anfängt, halte ich ohnehin absurd.

STANDARD: Die Idee, einen Auftrag zu erfüllen, einem Konzept von außen zu folgen, halten Sie für falsch?

Schnabel: Das wäre ja so etwas wie Instagram. Man teilt nur mit, in wessen Gesellschaft man gerade war. Das ist obszön. Van Gogh spricht von menschlicher Würde, von der Hingabe an ein Schaffen. Kurz bevor er gestorben ist, bekam er eine hymnische Kritik. Er war berühmt. Doch er wollte keinen Ruhm. Er wollte nur, dass die Leute das sehen können, was er sah. Deswegen hat er sich so verausgabt. Wenn er allein in der Natur war, bereitete ihm erst der Akt der Umsetzung Freude. So wie es für mich das Wesentliche war, den Film zu machen.

STANDARD: Willem Dafoe haben Sie selbst im Malen unterrichtet. Ein guter Schüler?

Schnabel: Ja, weil er es verstehen wollte, damit es authentisch aussieht. Van Gogh hatte zwanzig verschiedene Pinsel zur Verfügung – man muss wissen, was er da auspackt, wie er es anwendet. Umgekehrt wusste ich bei vielen Dingen nicht, wie Willem das getan hat, obwohl ich ihm die Sätze zur Verfügung gestellt habe. Wir haben versucht, die Dynamik dieses Schaffensdrangs zu beschreiben. Das Nichtübereinstimmen von Kunst und Leben. Dank Willem ist kein Selbsthass in diesem Film. Keine Spur von Zynismus. (Dominik Kamalzadeh, 16.4.2019)