"Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein!" Mit Sätzen wie diesem wird das Phrasensparschwein des Gastkommentarautors gefüllt.

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Medienminister Gernot Blümel will eine digitale Ausweispflicht schaffen und per Gesetz für "Sorgfalt und Verantwortung im Netz" sorgen. Nikolaus Forgó, Technologierechtsprofessor an der Universität Wien, hat sich den Gesetzesentwurf näher angesehen. Im Gastkommentar finden Sie seine Anmerkungen aus rechtlicher Sicht.

Ich habe ein Phrasensparschwein. In dieses werfe ich jedes Mal, wenn ich den Satz "Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein!" höre oder lese, einen Euro. Der Inhalt des Schweins finanziert seit Jahren meinen Sommerurlaub (heuer: Japan). Am 10. 4. fiel wieder ein Euro ins Schwein. "Das Internet kann und darf kein rechtsfreier Raum sein [...]" ist nämlich der zweite Satz in den Erläuterungen zum "Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über Sorgfalt und Verantwortung im Netz erlassen und das KommAustria-Gesetz geändert wird" (im Folgenden: Wohlverhaltensgesetz). Der erste Satz der Erläuterungen ist fast ebenso phrasenhaft trivial und richtig: "In der digitalen Welt müssen die gleichen Prinzipien gelten wie in der real gelebten Welt."

In der Tat. In der "real gelebten Welt" – was und wo auch immer diese in unserem vernetzten Heute noch sein soll – lassen sich Teile einer sozialen Identität trennen. Eine Arbeitgeberin muss nicht wissen, ob ihr Mitarbeiter gerne ins Theater geht. Eine Ärztin braucht nicht zu kümmern, welche politische Meinung ihr Patient hat. Wer im Laden bar zahlt, muss nicht sagen, wie er heißt. In einer digitalen Welt lassen sich Teilidentitäten hingegen nicht mehr (ohne Weiteres) trennen und verbergen, denn sie sind gespeichert und vernetzt.

Anlassfall Maurer

In der digitalen Welt kostet es drei Sekunden, um den vielleicht prominentesten Anlassfall der Diskussion – den von Sigi Maurer – nachzurecherchieren. In drei Sekunden sieht man, mit welchen Sexismen und strafrechtlich relevanten Beleidigungen ein Shitstorm über Maurer hereingebrochen ist. Die, die diese Postings und ihre gewalttätigen, erniedrigenden Fantasien abgesetzt haben sollen (und dies zum Teil bestreiten), heißen Andi oder Peter, Christian oder Björn (Namen geändert). "Andi" (oder jemand, der behauptet, "Andi" zu sein) beleidigt nicht nur Maurer, sondern zeigt auf seinem Facebook-Profil, wie und wo er lebt. "Peter" (oder jemand, der behauptet, "Peter" zu sein) verunglimpft nicht nur Maurer, sondern ist "in der real gelebten Welt" Mitarbeiter der Pressestelle einer Partei.

Alle diese Postings sind noch heute zu sehen, und all diese Profile sehen so aus, als wären die dahinter stehenden Personen sehr real und namentlich bekannt. Wir hätten alle Mittel dieser Welt – von der Unterstützung der Betroffenen, der Einrichtung von Ombudsstellen bis zur Strafverfolgung –, etwas an diesem Zustand zu ändern. Dies geschieht nicht. Wie soll nun an diesem Versagen ausgerechnet ein Gesetz etwas ändern, das Forenbetreiber verpflichtet, unterschiedslos die Identität aller "Poster" zu erheben – wo doch schon jetzt jeder Andi oder Peter kennt?

Die Grundannahme des Gesetzesentwurfs ist doppelt falsch. Nicht nur ist, wie man buchstäblich millionenfach nachlesen kann, das Internet schon seit seinem Entstehen kein rechtsfreier Raum, sondern weit intensiver reguliert als alles andere, worin wir leben. Sondern es zeigt sich an Fällen wie dem Maurers in aller Deutlichkeit auch, dass die Problematik nicht in der fehlenden Regulierung oder der "Anonymität" liegt, sondern, ganz banal, am Versagen bei der Durchsetzung des Rechts gegen Andi oder Peter.

Aufruf zur Datensammlung

Die Grundannahme des Gesetzes ist auch doppelt gefährlich. Es ist, erstens, ein Treppenwitz, dass der Vorschlag ausgerechnet die, die seit Jahren in der Kritik stehen, zu viele Daten zu erheben – die Googles und Facebooks dieser Welt –, nun zwingen will, noch mehr Daten über die Nutzerinnen und Nutzer in Erfahrung zu bringen. Dass das Wohlverhaltensgesetz – entgegen europarechtlicher Vorgaben – für sich auch noch in Anspruch nimmt, überall gelten zu wollen, wenn denn nur Österreicherinnen und Österreicher mitdiskutieren, wird zur abstrusen Situation führen, dass hier Daten erhoben werden müssen, deren Erhebung und Übermittlung im Sitzstaat des Unternehmens gerade verboten ist.

Innovation wird belastet

Zweitens haben wir in Österreich zwar ein Digitalisierungsministerium, Roboter-Räte und Chief Digital Officer, aber keine nennenswerte digitale Infrastruktur und Kultur. Es braucht daher weniger ein Wohlverhaltensgesetz als mehr Innovation. Das Wenige, was im hier interessierenden Kontext an Infrastruktur, Inhalt und Potenzial (noch) im Land vorhanden ist, wird durch das Gesetz (weiter) belastet.

Wie und warum soll, zum Beispiel, das Diskussionsforum des STANDARD weiter betrieben werden? Wie soll DER STANDARD hier gegen Foren wie Reddit oder 4Chan ankommen, deren (unbekannte) Betreiber Österreich vermutlich nicht einmal auf der Landkarte finden?

Wer bezahlt die Bürokratiekosten bei Forenbetreiber und Kontrollbehörde? Wie soll die sprichwörtliche "Oma Erna" (© Tilo Jung und Stefan Schulz) ihre Identität und Anschrift nachweisen, wenn sie in einem Forum mitdiskutieren will – per Fax und Kopie des Meldezettels? Wie soll die mirakulöse Handyzaubersoftware zur Zwei-Faktor-Authentisierung, die verwendet werden können soll, irgendetwas Rechtssicheres über die Identität eines konkreten Posters aussagen, wenn sogar im Fall Maurer der namentlich bekannte Profilinhaber (vorläufig erfolgreich) bestreiten konnte, das Posting abgesetzt zu haben? Und wie soll sie einem Auslandsösterreicher zugänglich sein?

Vorsichtige verstummen

Warum soll der Satz "Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein!" erst dann gelten, wenn das Forum eine bestimmte Größe hat, die gerade von Foren, in denen besonders häufig rechtlich Problematisches gepostet wird, nicht erreicht wird? Und vor allem: Wie kann verhindert werden, dass die vielen Vorsichtigen verstummen und die, die das Gesetz erreichen soll, einfach weiterziehen?

Der dritte Satz der Erläuterungen des Wohlverhaltensgesetzes ist ebenso wahr wie die ersten beiden: "Grundprinzipien [des geltenden Datenschutzrechts], Regeln [der Verfassung und des Europarechts] und Gesetze [der Vernunft] müssen auch im digitalen Raum gelten." Denn: "Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein!" Und schon wieder fällt ein Euro rein ins Schwein. (Nikolaus Forgó, 13.4.2019)