Rudolf Skarics (61) wollte nie hinter einem Zeichenbrett stehen und hat dieses sehr bald gegen Schreibmaschine, Kamera und schnelle Autos eingetauscht. Schon davor hatte er trotzdem Glück. Gleich nach der HTL sollte er ein ganzes Stahlwerk planen.

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Das Stahlwerk gibt es immer noch.

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Ich wurde nicht zuletzt als Mitglied der sogenannten geburtenstarken Jahrgänge vom Bundesheer für untauglich erklärt, hauptsächlich aber wegen einer Knieverletzung, an der ich sodann ein Jahr lang laborieren sollte, was mir ausreichend Muße verschaffte, mich mit Aquarellmalerei zu beschäftigen. An ein Studium nach der HTL in Steyr oder gar ans Arbeiten dachte ich nicht, bis mein Vater, schon etwas in Sorge um meine Zukunft, mir ein Formular unterschob: Bewerbung als Konstrukteursanwärter im Industrieanlagenbau der Voest Alpine AG, Werk Linz. Bereits wenige Tage später absolvierte ich ein Aufnahmegespräch, bei dem ich mich eher unwillig zeigte, einen Job anzunehmen, indem ich beteuerte, dass mein Knie die Arbeit am Zeichenbrett nicht durchstehen würde. Doch man stellte mir eine Zeichenmaschine in Aussicht, die sitzenderweise zu bedienen wäre. Computer an Arbeitsplätzen gab es damals noch nicht. Ich hatte also keine Chance, diesen Job nicht zu bekommen. Heute stehen junge Leute beim Start ins Berufsleben eher vor dem umgekehrten Problem.

Industrieanlagenbau

Die Voest hatte sich gerade seiner Kompetenz als Stahlwerksbauer besonnen, schließlich hatte man das eigene Werk auch selbst errichtet. So wurde Mitte der 1970er-Jahre ein eigener Vorstandsbereich für Industrieanlagenbau gegründet, gleich in der Dimension von mehreren Tausend Mitarbeitern, ein erheblicher Teil davon frisch aufgenommen, nicht alle ganz sattelfest angesichts ihrer bevorstehenden Aufgaben – ich war einer von ihnen. 9000 Schilling brutto monatlich, ein Mittagsmenü in der Werksküche kostete vier (Pasta Asciutta) oder sechs Schilling (Schweinsbraten), ungefähr so viel wie ein Liter Benzin an der Tankstelle. Es gab eine ungeschriebene Kleiderordnung im Konstruktionsbüro: Die einen trugen einen weißen Mantel, die anderen eine Krawatte, die ganz Eifrigen beides.

Nach ein paar Aufwärmübungen, beispielsweise die Konstruktion von Materialschütten und Trichtern, bekam ich eine wirklich große Aufgabe: Ich sollte ein Elektrostahlwerk planen – 600.000 Tonnen im Jahr, Standort: USA, Bundesstaat Louisiana, nordwestlich von New Orleans. Ich startete mit einem Plan des Grundstücks in meine Aufgabe: links der Mississippi, rechts die Illinois Central Gulf Railroad, damals jedem Gitarrenschüler, der ich nebenbei auch war, bereits wohlbekannt durch Arlo Guthries Hit City of New Orleans.

Hierachien

Die Situation war beklemmend: Über mir eine ganze Pyramide an Chefs, unter mir niemand mehr, an den ich die Arbeit weiter abschieben hätte können. Wie ein großer Architekt war ich gezwungen, ein Stahlwerk mit Stranggussanlage und angeschlossenem Walzwerk in das vorhandene Grundstück einzupassen, samt Transportlogistik via Eisenbahn und Schiff, Anlieferung des Schrotts, Transport der Stranggussbrammen zum Walzwerk, Abtransport der fertigen Bleche in die ganze Welt hinaus.

Meine Kollegen waren nett, aber nicht besonders kooperativ, jedenfalls insofern, als sie in ihrer Herangehensweise an die Arbeit selbst nicht sehr souverän wirkten. Die große Kopiermaschine im Keller wurde zu meiner besten Freundin. Mit ihr war es möglich, Pläne maßstabsgetreu zu vergrößern und zu verkleinern. So besorgte ich auf Geheiß meines Gruppenleiters aus den Fachabteilungen Zeichnungen von Stahlwerken, Stranggussanlagen und Walzwerken, kopierte sie auf einen einheitlichen Maßstab zurecht, klebte sie an meine Zeichenmaschine, pickte einen neuen Bogen Transparentpapier drüber und pauste das Ganze durch.

Erfinder der 3D-Simulation

Um die Verschiebevorgänge der Eisenbahn nachzuahmen, legte ich das Zeichenbrett flach, bastelte Waggons aus Büroklammern und schob die Züge hin und her und legte danach den Verlauf der Gleise fest. Irgendwie glaubte ich nicht wirklich daran, dass am Ende jemand das alles so bauen würde, wie ich das plante. Jedenfalls hatte ich spätere 3D-Simulationen, ohne es zu wissen, analog vorweggenommen. Doch so wurde das Stahlwerk tatsächlich errichtet. Und es gibt dieses Elektrostahlwerk immer noch. Nach ihm ist sogar der ganze Stahlkonzern benannt, der es heute betreibt: Bayou Steel Group. Das Google-Earth-Luftbild unterscheidet sich immer noch nicht wesentlich von dem, was ich als Plan in Erinnerung habe.

Über den Tisch gezogen

Der Voest-Alpine brachte das Werk in den USA allerdings kein Glück. Das Projekt endete in einem finanziellen Fiasko. Die Gründe waren vielfältig, die wichtigsten waren wohl, dass die österreichische Politik recht wenig Ahnung vom globalen Stahl- und Rohstoffgeschäft hatte und das Verstaatlichten-Management ganz ordentlich über den Tisch gezogen wurde. Bald danach wurde auch die Voest-Alpine von politischen Verfilzungen befreit und privatwirtschaftlich neu aufgestellt. Im Rahmen dieser Wende kam es zu unerklärlichen Herzinfarkten und unerwarteten Gefängnisaufenthalten unter Vorstandsmitgliedern.

Ein Elektrostahlwerk zu bauen war zwar fortschrittlich, weil damit große Mengen Eisenschrott systematisch zu hohen Stahlqualitäten wiederverarbeitet werden können, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dafür sind aber bis heute hoch risikobehaftet, weil stark abhängig von den Zyklen der Schrott- und Strompreises durch den rein elektrischen Schmelzvorgang. (Rudolf Skarics, 2.5.2019)