Im Sudan sind mehr weibliche Demonstrierende als männliche auf den Straßen. Die weißgekleidete Frau mit erhobenem Zeigefinger ist mittlerweile zur Ikone der Bewegung geworden.

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Noch einmal, vielleicht ein letztes Mal, war Warten angesagt. Das sudanesische Fernsehen hatte am frühen Donnerstagmorgen das Programm unterbrochen, um nur noch Marschmusik zu senden: in Militärdiktaturen ein untrügliches Zeichen dafür, dass Entscheidendes geschieht. Ein Sprecher kündigte eine Erklärung der Streitkräfteführung an. Für hunderttausende Sudanesen stand bereits fest, was diese beinhalten musste: den Abtritt des seit 30 Jahren regierenden Präsidenten Omar al-Bashir, dessen Demission seit vier Monaten erst hunderte, schließlich Millionen Sudanesen auf den Straßen des nordostafrikanischen Landes gefordert hatten.

Schon Stunden vor der Ansage hatte sich der Volksauflauf vor dem Khartumer Hauptquartier der Streitkräfte in ein Volksfest verwandelt: Demonstranten schwenkten die sudanesische Fahne, schwangen sich auf gepanzerte Armeefahrzeuge, küssten Soldaten. Dann, kurz vor 14 Uhr Ortszeit, schließlich die Bestätigung: Im Fernsehen gab Verteidigungsminister Awad Ibn Ouf die Verhaftung des 75-jährigen al-Bashir bekannt: Er befinde sich "an einem sicheren Ort".

Außerdem kündigte der Minister die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen sowie die Vorbereitung von "freien und fairen Wahlen" in zwei Jahren an. In der Zwischenzeit soll ein Militärrat unter Führung des Generalstabschefs den 40 Millionen Einwohner umfassenden Staat regieren. Die weiteren Einzelheiten der Ansprache des einst Bashir-treuen Ministers machten allerdings deutlich, dass es sich weniger um eine Befreiung als um einen Militärcoup handelt: Die Flughäfen und Grenzen des Landes wurden vorübergehend geschlossen, die Verfassung außer Kraft gesetzt und ein drei Monate langer Ausnahmezustand verhängt. Nicht gerade das, was die inzwischen auf weit über eine Million Menschen angeschwollene Menge in Khartum erwartet hatte: "Sie haben nur einen Kriegsverbrecher durch einen anderen ersetzt", echauffierte sich ein gewisser "Shay" auf Twitter: "Geht zurück auf die Straßen und protestiert weiter."

Macht ans Volk

Schon zuvor hatte der wichtigste Organisator der Protestwelle, die Sudanesische Berufsvereinigung (SPA), ihre Forderungen für eine Übergangsregierung bekannt gegeben. Das sudanesische Volk werde "nichts anderes als eine zivile Übergangsbehörde akzeptieren", heißt es auf der Website der Vereinigung. Diese solle von "patriotischen Fachleuten" und nicht von Angehörigen des bisherigen "tyrannischen Regimes" gebildet werden. Auf jeden Fall müsse die Armeeführung "die Macht ans Volk abgeben".

In seiner Fernsehansprache kritisierte Verteidigungsminister Awad Ibn Ouf "das schlechte Management, die Korruption und die Rechtlosigkeit" in der Regierung al-Bashirs, der er allerdings selbst angehörte. Einzelheiten über die Verwerfungen innerhalb der Regierung wurden bislang nicht bekannt. Klar ist bislang nur, dass sich vor allem die unteren Ränge der Armee mit den Demonstranten solidarisierten, während der Geheimdienst NISS und die Spezialeinheit Rapid Security Forces (RSF) dem Autokraten bis zuletzt die Treue hielten.

Auch die Armeeführung stand noch vor wenigen Tagen hinter dem Ex-General: Der unter Druck geratene Präsident hatte sie noch vor wenigen Wochen mit einträglichen Ämtern belohnt.

Al-Bashir war vor 30 Jahren selbst durch einen Putsch an die Macht gekommen. Der von militanten Islamisten unterstützte Offizier gewährte dem Terrorkommandanten "Carlos" und später Osama bin Laden Unterschlupf und unterhielt engste Verbindungen zum Iran. Al-Bashir führte zunächst den Bürgerkrieg gegen die im Süden des Landes lebende christliche Bevölkerung weiter und ließ den Aufstand der Muslime in den Darfur-Provinzen niederschlagen. Dabei kamen nach Uno-Angaben 300.000 Menschen ums Leben. Al-Bashir wurde deshalb vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag des Völkermords angeklagt. Dass er nun nach Den Haag ausgeliefert werden könnte, muss der gestürzte Präsident nicht befürchten: Nicht einmal die Demonstranten erheben diese Forderung.

Nichts deutete am Donnerstagabend darauf hin, dass die Demonstranten ihr Sit-in vor dem Hauptquartier der Streitkräfte in Khartum nun beenden würden: Die Menschenmenge auf der Buri-Straße wurde nicht kleiner. (Johannes Dieterich, 11.4.2019)