Eine alte Dame steigt strahlend weiße Stufen hinauf, ihr Blick ist andächtig auf das große Gebäude gerichtet, auf das sie zugeht: den Obersten Gerichtshof in Washington, D.C. Es ist Ruth Bader Ginsburg, die echte Ruth Bader Ginsburg, die in den letzten Filmsekunden des Biopics "Die Berufung" einen kurzen Auftritt bekommt. Der Film befasst sich mit Ginsburgs juristischem Kampf für Gleichberechtigung, ihre wichtigsten Erfolge hatte sie in den 1970er-Jahren.

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Foto: AP/Jonathan Wenk

Jetzt, Jahrzehnte später, setzte man ihr gleich zweimal ein filmisches Denkmal. Kurz vor dem Hollywoodfilm "Die Berufung" erschien auch eine Doku über die Richterin am Obersten Gerichtshof: "RBG – Ein Leben für die Gerechtigkeit".

Die Doku wimmelt geradezu von Ginsburg-Devotionalien. Die Richterin prangt mit Robe und lässig, schräg sitzender Krone auf dem Kopf auf Tassen, T-Shirts, Kappen. Der Film bietet einmal mehr einen deutlichen Eindruck davon, wie wichtig Feminismus inzwischen für die Popkultur ist. Und für die Filmindustrie. Spätestens seit dem Erfolg der Komödie "Brautalarm" im Jahr 2011 sind All-Female-Casts zumindest nicht mehr die totale Ausnahme inmitten unzähliger rein männlicher Buddy-Movies. Ähnliches passiert seit einigen Jahren im SuperheldInnen-Genre. Nach "Ocean's 8" (2018), "Mad-Max: Fury Road" (2015), "Wonder-Woman" (2017), einem rein weiblichen "Ghostbusters"-Team (2016) und "Captain Marvel" (2019) zeigt das Hollywoodkino nun über diese Präsenz von Frauen im Blockbusterkino hinaus auch Interesse an feministischen Inhalten.

Auf den britischen Film über die erste Frauenbewegung "Suffragette" folgten Hollywoodproduktionen, die sich mit Gleichberechtigung befassen. Mit "Hidden Figures" (2017) wurde die Geschichte dreier afroamerikanischer Mathematikerinnen erzählt, deren Leistungen für die Nasa nie anerkannt wurden. In "Die Verlegerin" (2017) schickte Steven Spielberg die Story über die Veröffentlichung der Pentagon-Papiere Anfang der 1970er-Jahre in die zweite Reihe und bot vor allem der Selbstermächtigungsstory der "Washington Post"-Chefin Katharine Graham (Meryl Streep) eine große Bühne.

2018 und 2019 folgten eine Filmbiografie über die feministische Vorkämpferin, Journalistin, Schriftstellerin und Varietékünstlerin Sidonie-Gabrielle Claudine Colette mit Keira Knightley in der Hauptrolle ("Colette") und die Verfilmung des gleichnamigen Romans "The Wife".

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Darin spielt Glenn Close eine geniale Schriftstellerin, die unter dem Namen ihres Mannes veröffentlichte, der schließlich den Literaturnobelpreis für ihre Leistungen erhält. Und schließlich schien auch der richtige Zeitpunkt für einen Film gekommen zu sein, der die zähe Arbeit an gesetzlicher Gleichstellung in einen leicht verdaulichen Film verpackt ("Die Berufung").

Was hat es mit dem Feminismus in Hollywood also auf sich? "Es wäre seltsam, wenn eine Debatte wie #MeToo im Kino nicht greifbar wäre", sagt Andrea Braidt, Filmwissenschafterin und Vizedirektorin der Akademie der bildenden Künste Wien. Andererseits gebe es bei derartigen Filmen sehr lange Produktionszeiten, fünf oder sechs Jahre von der Idee bis zum fertigen Film, sagt Braidt. Die Zeit für feministische Erzählungen im Hollywoodkino war demnach schon vor #MeToo reif.

Als neues Phänomen will Braidt diese Entwicklung allerdings nicht einstufen. Es habe immer wieder Konjunkturen von Filmen mit mehr und weniger emanzipatorischer Stoßrichtung gegeben. "Eine Kinopraxis, die derart am sexuellen Begehren interessiert ist wie Hollywood, hat sich im Grunde von Beginn an für Geschlechterdifferenzen interessiert", sagt Braidt. "Als Kunstpraxis konstruiert und reflektiert Hollywood die Welt", insofern seien die aktuellen feministischen Betrachtungen eigentlich keine Überraschung.

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Keira Knightley als Varietékünstlerin Sidonie-Gabrielle Claudine Colette.
Foto: AP/Robert Viglasky

"Nichts Neues", das sagt auch die feministische Journalistin Andi Zeisler in ihrem Buch "We Were Feminists Once" (2016). Schon in der Stummfilmära war man nicht nur auf narrativer, sondern auch auf der Produktionsebene sehr offen. Es wurden Geschichten mit "komplexen Beziehungen und progressiven Themen" geschaffen, schreibt sie. Die US-amerikanische Filmregisseurin Lois Weber bezog etwa in dem über hundert Jahre alten Film "The Hand That Rocks the Cradle" (1917) für die Legalisierung der Geburtenkontrolle Stellung. Und auch die repräsentierten Frauenbilder in der sogenannten Pre-Code-Ära waren derart vielschichtig, dass die Beschreibung "Menschenbilder" weitaus passender erscheint. Gewitzt, unverblümt, kompetent, undurchsichtig und kriminell: Frauen durften nicht nur als Heilige oder Huren auf die Leinwand, sondern als Menschen – wie Männer eben auch.

Der Hays-Code und seine Folgen

Damit war es Anfang der Dreißigerjahre unter dem damaligen republikanischen Postminister Will Hays vorbei. Er fürchtete den Verfall "moralischer Maßstäbe" durch Hollywoodproduktionen und war maßgeblich an der Installierung des "Motion Picture Production Code" im Jahr 1934, auch Hays-Code genannt, beteiligt. Damit wurde der "unsittlichen" und der "Moral zersetzenden" Kunst ein Riegel vorgeschoben. Inhalte wie Kriminalität, Sexualität und Politik wurden von nun an stark reguliert. Besonderes Interesse galt Themen wie Ehebruch, Homosexualität und Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, der sogenannten "unreiner Liebe". Der Code für "rechtschaffene Filme" war über dreißig Jahre, bis 1968, gültig. Der Hays-Code sei wie eine nasse Decke gewesen, mit der die Chancengleichheit erstickt wurde, so Zeisler. Die Auswirkungen des Codes sind vor und hinter der Kamera bis heute spürbar.

28 Oscar-Nominierungen für Frauen

Vor und hinter der Kamera: Beides ist wichtig, wenn man die Frage nach einem feministischen Aufbruch in Hollywood stellt, sagt die Filmwissenschafterin Nicole Kandioler. "Die Geschichten selbst sind tatsächlich aus feministischer Perspektive interessanter geworden", auf der Produktionsebene sehe es allerdings anders aus. Heuer gingen zwar 28 Prozent der Oscar-Nominierungen an Frauen, das war bisher der höchste Wert in der Geschichte der Oscars, "trotzdem sind Regie und Produktion noch immer klar eine Männerdomäne", sagt Kandioler.

Dem wohligen Gefühl vieler KinobesucherInnen nach Filmen wie "Die Berufung" tut das selten einen Abbruch. Wer ackert schon den Abspann nach Frauennamen durch, wenn man sich dem angenehmen Gefühl hingeben kann, endlich ein paar Früchte harter feministischer Arbeit genossen zu haben – noch dazu auf so leicht verdauliche Art und Weise.

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Zu leicht vielleicht? Werden so höchst politische Themen durch Hollywood ausgehöhlt? Fest steht, dass Feminismus im aktuellen Hollywoodkino vor allem auf Individuen reduziert wird. Das Komplizierte und vor allem das Kollektive fällt weitgehend unter den Tisch, der Film über die "Suffragetten" mal ausgenommen. Kandioler findet besonders die Castingpolitik bemerkenswert, die für eine gewisse "Feminismus-Verträglichkeit" sorge. So spielt Meryl Streep in "Die Verlegerin" eine Frau, die erst ihre eigene Handlungsfähigkeit entdecken muss und schließlich zur unbeugsamen Verteidigerin der Pressefreiheit wird, um in einem anderen Film – wenige Jahre zuvor – als Margaret Thatcher eine konservative, antifeministische Politikerin zu geben. "Die politische Haltung, ob links oder rechts, das ist völlig egal, Hauptsache 'starke Frau' – insofern findet tatsächlich eine Relativierung politischer Ziele statt", meint Kandioler. Es gehe in den aktuellen feministisch ausgerichteten Filmen vor allem um Selbstermächtigung einzelner, und damit gehe es letztlich immer auch um Selbstoptimierung. Kandioler: "Mit feministischer Politik hat das nicht mehr viel zu tun."

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Apropos Meryl Streep: Trotz ihres starken feministischen Auftretens in der Öffentlichkeit können ihr Feministinnen wie Andi Zeisler ihre Hauptrolle in "Kramer gegen Kramer" nicht ganz verzeihen. In dem Film aus dem Jahr 1979 verlässt Joanna Kramer ihre traditionell organisierte Kleinfamilie – und wird als Zerstörerin der Karriere ihres Mannes und Rabenmutter inszeniert. Feminismus zerstört Familie, so könnte der Plot auch zusammengefasst werden.

Stars wählen ihre Rolle somit, wenig überraschend, danach, was gerade zu funktionieren scheint. Nicht viel anders ist es mit Hollywood selbst. Die Rolle von Frauen in Hollywood verändert sich nicht entlang von feministischen Bewegungen, so Zeisler. Letztendlich gehe es um das Bestreben, neue Märkte für Filme zu erschließen. "Und dieses Bestreben wurde mit der Zeit immer stärker vom Gender geprägt", schreibt sie.

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"Hidden Figures" erzählte die Geschichte dreier Frauen und ihrer Leistungen für die Nasa – die ohne Anerkennung blieben.
Foto: AP / Hopper Stone /Twentieth Century Fox Film Corporation

Trotzdem: Die neue und neuartige Präsenz von Frauen und feministischen Themen im Kino kann eine Aufbruchsstimmung, einen "Spirit", vermitteln, sagt Kandioler. Täuschen dürfe man sich aber dadurch nicht lassen, davon ist auch Andrea Braidt überzeugt. Die Gefahr eines "feministischen Trugschlusses" beschrieb schon 1990 die Medienwissenschafterin Marjorie Ferguson, wenn gerade mal ein paar mächtige Frauen dargestellt werden. Das bedeute weder kulturelle Sichtbarkeit noch institutionelle Ermächtigung.

Dabei waren die letzten Bilder in "Die Berufung" so verheißungsvoll. Die entschlossenen Schritte der alten Richterin Ginsburg in Richtung Gerechtigkeit. (Beate Hausbichler, 14.4.2019)