"Klassisch millennial-europäisch" sei er, sagt Benjamin Wolf über sich selbst. Wolf wurde in den Neunzigern in Graz geboren, Schüleraustausch in Italien, ein Erasmus-Semester in Prag, Praktikum in Frankreich. Zur Europawahl wollte er österreichischer Spitzenkandidat der Partei Volt werden. Am Freitag platzte dieser Traum.

Volt hat es nicht geschafft, die nötigen 2.600 Unterstützungserklärungen bis zur Deadline am 12. April aufzubringen, die es braucht, um auf dem Stimmzettel zu stehen. Ganz vorbei ist der Wahlkampf damit für das österreichische Team um Wolf trotzdem nicht. Er will seine Mitstreiter in anderen EU-Ländern unterstützen.

Volt ist eine europäische Bewegung. Offiziell gegründet hat sie sich am 29. März 2017 – an jenem aus europäischer Sicht symbolträchtigen Tag, an dem die britische Premierministerin Theresa May den Austritt Großbritanniens aus der EU beantragt hat. Damals hieß die Bewegung noch Vox. Später musste sie sich umbenennen, als die rechtspopulistische Vox-Partei in Spanien erstarkte. Volt steht nach eigenen Angaben für neue Energie und Veränderung in der EU. Nach zwei Jahren hat die Bewegung europaweit rund 25.000 Unterstützer und ist in 30 Ländern aktiv.

Volt mobilisiert über Twitter für eine Reform der EU.

Reaktion auf europäische Schreckgespenster

Damian Boeselager aus Deutschland war einer von drei jungen Europäern, die die Idee einer "paneuropäischen" Bewegung hatten. Im Herbst 2016 studierte er in New York und begann mit seinem italienischen Studienkollegen Andrea Venzon und der Französin Colombe Cahen-Salvador über europäische Politik zu diskutieren.

Das Fazit der drei: Klimawandel, Jugendarbeitslosigkeit, Migration und Asyl sind europäische Probleme. Lösungsvorschläge seien aber meist national motiviert. "Und die klassischen Altparteien haben keine Vision, wie es mit der EU weitergehen soll", sagt Boeselager, der am 26. Mai als deutscher Spitzenkandidat bei den Europawahlen antritt.

Vor allem der Brexit, die Wahl von US-Präsident Donald Trump und stärker werdende rechtspopulistische Parteien in ganz Europa bereiteten Boeselager, Venzon und Cahen-Salvador Sorgen. Und wer etwas ändern will, müsse aktiv werden, sagt Boeselager. Mit diesem Gedanken war Volt geboren – und zwar von Anfang an mit der Vision, 25 Abgeordnete aus sieben Mitgliedstaaten ins EU-Parlament zu bringen und so eine eigene Fraktion zu gründen.

Der deutsche Spitzenkandidat Damian Boeselager wirbt bei einer Wahlkampfveranstaltung für Volt.
Foto: Volt Europa

Von einer Bewegung zu einer Partei

Ob das idealistische Programm von Volt Wähler mobilisieren kann, wird sich bei der Wahl Ende Mai zeigen. Diese ist die erste große, politische Etappe der jungen Bewegung.

Trotz des länderübergreifenden Ansatzes, einem Alleinstellungsmerkmal, muss Volt den Umweg über nationale Parteien gehen. Davon gibt es inzwischen 14, unter anderem in Deutschland, Italien, Belgien und eben auch in Österreich. In den EU-Verträgen sind europäische Parteien vorgesehen, von Zusammenschlüssen wie der Europäischen Volkspartei unterscheidet sich Volt durch den einheitlichen Namen und das einheitliche violette Logo. In Deutschland wird die Partei parallel zur EU-Wahl auch bei drei Lokalwahlen antreten.

Insgesamt hat Volt, das sich vor allem durch kleinere Spenden finanziert, es in sieben Mitgliedstaaten geschafft – zumindest bis hierher: Neben Deutschland wird die Partei in Bulgarien, Spanien, Schweden, den Niederlanden, Belgien und Luxemburg auf dem Stimmzettel für die Europawahl stehen.

Mitglieder von Volt bei einer Generalversammlung in Amsterdam.
Foto: Volt Europa

In Österreich reicht es nicht fürs Europäische Parlament

Die deutsche Politikwissenschafterin Ursula Münch glaubt trotzdem nicht, dass die junge Partei bei der EU-Wahl sehr erfolgreich sein wird. Am ehesten rechnet sie ihr bei "städtischen Schichten mit formal hoher Bildung" Chancen zu. Doch für eine neue Partei sei es extrem schwierig, innerhalb weniger Wochen ausreichend viele Wahlberechtigte zu mobilisieren.

Das hat Volt Österreich zu spüren bekommen. Die im Oktober 2018 gegründete Partei mit aktuell rund 100 aktiven Mitgliedern hatte einige Hürden zu nehmen. "Die größte Herausforderung war es, überhaupt Medienöffentlichkeit zu bekommen", sagt Benjamin Wolf. Soziale Medien spielten daher für Volt eine wichtige Rolle. Für den Weg von Österreich ins Europäische Parlament reichte es am Ende trotzdem nicht.

Behördenwahnsinn

Die Bedingungen für ein Antreten zur Europawahl sind EU-weit nicht einheitlich geregelt. In Italien zum Beispiel sind dafür 150.000 Unterschriften aus fünf Regionen notwendig. In Deutschland (das rund 22 Millionen mehr Einwohner als Italien hat) sind es nur 4.000 Unterschriften, die auf der Straße gesammelt und bei den Behörden eingereicht werden müssen. In Österreich können die erforderlichen Unterschriften nur beim Magistrat oder dem Gemeindeamt geleistet werden. Die Hemmschwelle für Bürger, Volt zu unterstützen, ist also deutlich höher.

In anderen EU-Ländern ist die Situation für Volt noch schwieriger. In Ungarn traue die Bewegung sich aufgrund der politischen Situation nicht, eine Partei zu gründen, sagt Benjamin Wolf, der wie sein deutscher Kollege Boeselager nie gedacht hätte, dass er einmal in die Politik gehen würde. 70 Prozent der Volt-Mitglieder waren vorher nie politisch aktiv.

Weder rechts noch links

Volts Wahlprogramm zur EU-Wahl ist europaweit dasselbe. Es hat vor allem die Reform der EU zum Ziel und ergänzt das mehr als 200 Seiten umfassende Grundsatzprogramm der Bewegung, in dem sie für eine EU-Arbeitsagentur, eine europäischen Armee, eine gemeinsamen EU-Außenpolitik und die sofortige Abschaffung des Dublin-Abkommens eintritt. Außerdem fordert Volt eine EU-Steuer auf CO2 und mehr Bürgerbeteiligung.

Auf einer ideologischen Links-rechts-Skala positioniert Volt sich bewusst nicht. "Uns geht es um Fakten und pragmatische Lösungen", sagt Boeselager. Eine Einordung in "irgendwelche Kategorien aus dem 18. Jahrhundert" wäre nicht zeitgemäß, findet er.

Der Europa-Blogger Manuel Müller ordnet Volt als "liberal-progressiv" und "offensiv europäisch" ein. Die Partei sei ein spannendes Experimentierfeld für grenzüberschreitende Parteiarbeit, sagt er, und Indikator dafür, dass gerade junge Menschen die EU als Rahmen für eine gesamteuropäische Demokratie sehen. "Weniger originell" sei allerdings die inhaltliche Linie von Volt, findet Müller. In Österreich etwa sieht er die Schwierigkeit, sich inhaltlich klar von den Neos abzugrenzen.

Gebremste Euphorie

Tatsächlich kommt Volt bis jetzt in den Wahlumfragen keines einzigen EU-Mitgliedstaates vor. Müller räumt der Partei am ehesten in Deutschland Chancen ein, denn dort gibt es bei der Europawahl keine Sperrklausel, sodass bereits wenig mehr als 0,5 Prozent der Stimmen für den Gewinn eines Sitzes im Europäischen Parlament genügen.

Der deutsche Spitzenkandidat Boeselager, der Volt inzwischen zu seiner Hauptaufgabe gemacht hat, klingt rund 40 Tage vor den EU-Wahlen nicht mehr ganz so zuversichtlich wie zu Beginn. "25 Abgeordnete werden wir wohl nicht schaffen. Das war ganz schön ambitioniert", sagt er über sein ursprüngliches Ziel. "Aber wir werden es versuchen."

Was nach der Wahl kommt und ob es für Volt allein oder eventuell in einer Fraktion weitergehe, sollten sie Mandate erhalten, entscheide sich dann. "Jetzt geben wir erst einmal Gas bis zur Wahl", sagt der Spitzenkandidat. (Milena Pieper, 12.4.2019)