Medienminister Gernot Blümel (ÖVP) gilt als großer Verfechter der neuen Regelung mit dem Namen: Bundesgesetz für Sorgfalt und Verantwortung im Netz.

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Wer künftig im Internet einen Beitrag verfasst, wird das nicht mehr anonym tun können. Geht es nach der Regierung, müssen Nutzer gegenüber Plattformbetreibern künftig ihren Vornamen, Nachnamen und ihre Adresse angeben. Das sieht das neue "Gesetz für Sorgfalt und Verantwortung im Netz" vor. Betreiber müssen die Daten im Fall einer Ermittlung übermitteln – an Behörden, aber auch an Private, sofern der Verdacht auf Beleidigung oder üble Nachrede besteht.

Die Regierung hat ein Gesetz vorgelegt, dass Online-Medien künftig verpflichtet die echten Daten ihrer Nutzer zu sammeln und bei Bedarf offen zu legen. Gelten wird das für alle Plattformen, die entweder mehr als 100.000 registrierte Nutzer haben oder über 500.000 Euro Jahresumsätze erwirtschaften.
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Öffentlich kann weiterhin ein Pseudonym verwendet werden. "Die rechtlichen Vorgaben, die in der analogen Welt gelten, müssen das auch digital tun", sagte Medienminister Gernot Blümel (ÖVP) bei einer Pressekonferenz. "Deswegen gibt es eine Fülle an Beschlüssen, die getroffen werden, um das zu korrigieren." Das sogenannte "digitale Vermummungsverbot" sei ein weiterer Schritt. Eine Umsetzung ist 2020 geplant.

Die Regelungen gelten für Plattformen, die entweder

  • mehr als 100.000 registrierte Nutzer haben,
  • mehr Umsatz als 500.000 Euro im Jahr erzielen
  • oder wenn sie eine Presseförderung von mehr als 50.000 Euro bekommen.

Auch müssen laut dem Begutachtungsentwurf die Seiten dafür sorgen, dass die Angaben echt sind. Wie, bleibt den Diensten selbst überlassen – in der Erläuterung zum Gesetz wird etwa eine Zweifaktor-Authentifizierung mit Handynummer erwähnt. Seit Anfang des Jahres müssen nämlich sämtliche SIM-Karten in Österreich mittels eines Lichtbildausweises registriert werden.

Zudem müssen die Plattformen einen Zustellungsbevollmächtigten in Österreich bestellen, der die Verantwortung dafür trägt, diese Informationen zur Verfügung zu stellen. Wenn er nicht dafür sorgt, dass die Vorgaben eingehalten werden, kann er mit einer Geldstrafe von bis zu 100.000 Euro geahndet werden.

Halten sich die Plattformen nicht an die Vorgaben, sind hohe Bußgelder angedacht. Diese liegt "je nach Schwere" – die Komm Austria soll künftig als Aufsichtsbehörde fungieren – bei bis zu 500.000 Euro, im Wiederholungsfall bei bis zu einer Million. Onlineverkaufsplattformen sind explizit aus der Regelung ausgenommen, reine Bewertungsplattformen nicht. Somit wäre etwa das STANDARD-Forum eindeutig betroffen. Plattformen, die kein Geld verdienen, auch nicht mit Werbung, sind explizit ausgenommen.

unzensuriert.at ausgenommen

Doch auch Seiten, die häufig dafür kritisiert werden, Hasspostings stehen zu lassen, etwa das FPÖ-nahe Portal unzensuriert.at, bleiben somit befreit. Blümel begründet das damit, dass dadurch kleine Plattformen und Start-ups entlastet wären, die sich die Vorgaben womöglich nicht leisten könnten.

Der IT-Rechtsanwalt Markus Dörfler kritisiert im STANDARD-Gespräch, dass in den erläuternden Bemerkungen zu dem Entwurf immer wieder davon gesprochen wird, dass in der digitalen Welt die gleichen Prinzipien wie in der realen gelten müssten. "In der realen Welt verlange ich aber nicht vorbeugend einen Ausweis", sagt er zum STANDARD. Aus seiner Sicht handle es sich um den ersten Schritt zu einer Zensurinfrastruktur.

Dörfler sieht Probleme mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Laut dieser müsste ein Eingriff "angemessen" sein und sich um das gelindeste Mittel handeln. Außerdem stellt er infrage, was mit ausländischen sozialen Netzwerken passieren würde. Bei den meisten von ihnen sei unwahrscheinlich, dass sie einen Verantwortlichen in Österreich ernennen. Als Beispiel nennt er Facebook – aber auch unbekannte, etwa asiatische Plattformen. "Kein chinesisches Netzwerk wird anfangen, die Identität seiner Nutzer zu überprüfen, um sich an die Regel zu halten", sagt Dörfler. Dieser Einschätzung stimmt auch der Rechtsinformatiker Nikolaus Forgó im Gespräch mit dem STANDARD zu.

Server im Ausland

"Im Übrigen trifft das Gesetz sowieso die Falschen", sagt Dörfler, nämlich nicht Plattformen, die Hass und Hetze betreiben würden. Seiten wie etwa das mittlerweile eingestellte, neonazistische "Alpen-Donau.info", würden sich sowieso im Ausland absetzen. Offen sei auch, ob das Gesetz mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) 2016 gegen eine Vorratsdatenspeicherung vereinbar ist.

In seiner Begründung schrieb dieser damals, dass eine "allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung" untersagt sei. Zudem handle es sich um einen Eingriff in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und Schutz personenbezogener Daten. "Bei dem Entwurf handelt es sich um einen Frontalangriff auf den STANDARD und ähnliche, wenige noch vorhandene österreichische Webseiten mit Diskussionsforen", sagt Forgó. "Auf diesem Weg wird nicht einmal annähernd das Ziel einer Disziplinierung im Internet erreicht."

Eher würde die Regelung zu hohen Kosten führen – etwa durch den Ansprechpartner, der rund um die Uhr zur Verfügung stehen muss –, die der "sowieso schwachen" digitalen Infrastruktur Österreichs schaden würden. Auch gebe es datenschutzrechtliche Bedenken – so würden Provider eine gigantische Ansammlung an Daten bekommen, die sie eigentlich nicht wollen. "Außerdem ist es eine große Eintrittshürde für Foren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Forum für anonyme Alkoholiker noch erfolgreich betrieben werden kann." Da bei vielen Beiträgen Interpretationsspielraum herrscht, bräuchte es keine hohen Anforderungen für einen Auskunftsanspruch. "Es handelt sich hier um eine potenziell gigantische Überwachungsmaschine des politischen Diskurses in Österreich", resümiert Forgó.

Regierung braucht EU-Genehmigung

Zudem stimmt er dem IT-Rechtsexperten Lukas Feiler der Kanzlei Baker McKenzie zu, dass es sich bei dem Entwurf um einen Verstoß gegen die E-Commerce-Richtlinie der EU handelt. Feiler hat zuletzt gegenüber dem STANDARD erklärt, dass Dienstanbieter im Netz sich bloß an das Recht ihres Herkunftslandes halten müssen. Österreich dürfe daher keine strengeren Regeln auflegen als das Herkunftsland eines Betreibers.

Dessen ist sich die Regierung auch bewusst, sie schreibt in den Erläuterungen zum Entwurf, dass die EU-Kommission im Vorfeld benachrichtigt werden müsse. Dann würde diese die Forderungen prüfen. Unter bestimmten Umständen, etwa wenn die Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung getätigt werden, würde die Kommission Ausnahmen erteilen.

Feiler zufolge würden diese Ausnahmen nur Straftaten betreffen, nicht aber zivilrechtliche Vorwürfe wie beispielsweise Rufschädigung, die im Entwurf genannt wird. Selbst wenn nur Straftaten einbezogen werden würden, wären die Pläne trotzdem unzulässig, weil Ausnahmen nur "punktuell" sein könnten – also in Bezug auf einzelne Anbieter mit besonderer Rechtfertigung. Eine Plattform, auf die das zutrifft, dürfte es in Österreich nicht geben. "Die E-Commerce-Richtlinie schützt die Dienstleistungsfreiheit von Onlineplattformen", sagt Feiler. Die EU-Kommission würde die Regierungspläne europarechtlich voraussichtlich nicht passieren lassen.

Ursprünglich hatte die Regierung vor, ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) nach deutschem Vorbild einzuführen, die Überlegung wurde aber offenbar während der Konzeption fallengelassen. Dieses sieht vor, dass Plattformbetreiber Hasspostings innerhalb kürzester Zeit löschen müssen. Dem Gesetz wurde eine Ausnahme genehmigt – in Deutschland müssen soziale Netzwerke Verantwortliche im Land haben. Das sei möglich gewesen, da das NetzDG auf Rechtsverletzungen reagiert, anstatt wie das geplante österreichische Gesetz proaktive Maßnahmen vorzusehen.

Kritik von Opposition und Netzaktivisten

Die Bürgerrechtler von Epicenter Works nennen das Gesetz einen "digitalen Ausweiszwang" und sehen eine "massive Grenzüberschreitung in Sachen Datenschutz". Das legitime Ziel, die Verbreitung von Hass im Netz einzudämmen, dürfe nicht mit einer völligen Aushöhlung von Grundrechten einhergehen.

Kritik kommt auch von der Ex-Grünen-Politikerin Sigi Maurer, deren Kampf gegen sexistische Postings von der Regierung als Beleg für die Notwendigkeit des Gesetzes genannt wurde.

"Am Ziel vorbei" geht der Vorschlag für SPÖ-Diversitätssprecher Mario Lindner: "Was die Regierung hier vorgelegt hat, ist keine Lösung für die Herausforderungen, vor denen wir im digitalen Raum stehen." Schon lange sei Anonymität nicht das zentrale Problem – Hasspostings würden regelmäßig unter dem echten Namen abgesetzt.

Als "bestenfalls undurchdacht, schlimmstenfalls ein Angriff auf das freie Internet" bezeichnete Claudia Gamon, EU-Spitzenkandidatin der Neos, die Pläne zur Identifikationspflicht im Netz. Auch sie glaubt, dass Hasspostings dadurch nicht weniger würden. Stephanie Cox von der Liste Jetzt kritisiert, dass österreichische User mit der Regelung "unter Generalverdacht" gestellt würden.

Der Regierungsentwurf wird vom Providerverband ISPA kritisiert. "Eine derartige 'Ausweispflicht' im Internet hat mit den Verhältnissen der physischen Welt nichts zu tun, wie von den Proponenten behauptet wird", teilt er in einer Aussendung mit. Es gebe Bedenken in Sachen Datenschutz und Meinungsfreiheit. (Muzayen Al-Youssef, 10.4.2019)