Wien – Die RTL-Gruppe verabschiedet sich von fast zweieinhalb Jahrzehnten strikter Enthaltsamkeit in Österreich: Nach – unbestätigten – STANDARD-Infos plant Europas größte TV-Gruppe nun doch ein erstes Programmfenster für Österreich. Ein Paradigmenwechsel im Umgang mit der Heimat der zwei prägenden, langjährigen RTL-Bosse Helmut Thoma und Gerhard Zeiler: Werbeakquise in Österreich in dreistelliger Millionenhöhe – aber keine eigenen Programme für die kleine Nachbarrepublik Deutschlands.

Perfektes Privatfernsehen – ohne Programmkosten

Privatfernsehen in seiner Idealform waren die Werbefenster für den Wiener Helmut Thoma, der RTL 1984 als Geschäftsführer gegründet hat: Werbeeinnahmen ganz ohne Programmkosten.

Als Gerhard Zeiler 1998 das ORF-Generalsbüro verließ, um Thoma als RTL-Chef (und später als Boss der RTL Group) abzulösen, schloss er bald eine Art Nichtangriffspakt mit seinem bisherigen ORF-Generalsekretär und Nachfolger Gerhard Weis. Für die Abnahme von RTL-Formaten und -Rechten verzichtete RTL auf Österreich-Programme – ein guter Deal für beide Seiten, soweit von außen nachzuvollziehen.

"Willkommen zuhause": RTL arbeitet nach STANDARD-Infos an einem ersten Programmfenster für Österreich. Ein fundamentaler Paradigmenwechsel nach fast zweieinhalb Jahrzehnten striktem Fokus auf Werbefenster.
Foto: RTL Screenshot

Viele Anläufe österreichischer Vermarkter stießen auch bei Zeilers Nachfolgern auf überschaubares Verständnis – rechnerisch perfektes Privatfernsehen lässt sich eben schwer perfektionieren. Aber: Die Konkurrenz zeigte vor, dass sich Programm für Österreich doch lohnen kann – wirtschaftlich und etwa auch politisch. In der ewigen Debatte über deutsche Privatfernsehkonzerne, die mit günstigen Werbefenstern österreichische Werbegelder abholen und damit eigenständiges österreichisches Privatfernsehen erschweren bis verunmöglichen, hatte RTL ohne Produktion für Österreich die unangenehmste Rolle.

Das Sendungsbewusstsein der Konkurrenz

Markus Breitenecker, Gründer, Chef und Motor von ProSiebenSat1 in Österreich, verfolgte indes sehr nachdrücklich seine Vorstellungen von Österreich-Programm: Mit Society-Bildern ab 2002, Österreich-Nachrichten ab 2004 auf ProSieben, mit "Café Puls" auf den konzerneigenen Sendern und Puls TV, den Stadtsender unterstützte die Gruppe schon vor dem Start bei der Vermarktung. 2007 übernimmt ProSiebenSat1 Puls 4 und macht daraus ab 2008 ein nationales Vollprogramm, 2009 beginnt ProSieben Austria mit "Austria's Next Topmodel".

2017 übernimmt ProSiebenSat1Puls4 dann auch noch den ersten nationalen und größten österreichischen Privatsender ATV (samt ATV 2) – die Wettbewerbsbehörden winken den Deal zugunsten des marktbeherrschenden Players mit einigen Auflagen durch.

Kein Funke Kommunikation bei "Krone"/ATV

2017 hatte RTL sein Österreich-Dogma schon überdacht: Nach STANDARD-Informationen war der deutsche TV-Konzern sehr konkret entschlossen, ATV zu kaufen. Allein: Der Österreich-Partner der RTL-Gruppe war gespalten wie gewohnt: 50 Prozent an der RTL-Vermarktungsgesellschaft RTL hält die "Kronen Zeitung". Und deren 50:50-Gesellschafter – Familie Dichand und die Funke-Gruppe – haben fast so lange eine tiefe Beziehungskrise wie RTL ein Österreich-Werbefenster. Und das startete am 1. April 1996, vor 23 Jahren.

Um gemeinsam einen Sender zu kaufen, und sei es für in diesem Genre vergleichsweise überschaubare 20 bis 25 Millionen Euro, sollten zumindest alle relevant Beteiligten gefragt werden. Also auch die deutsche Funke-Gruppe, die damals noch alleine und ohne Milliardär René Benko an Bord 50 Prozent hielt. RTL hatte nach – unbestätigten – STANDARD-Infos das Kaufangebot für ATV schon abgenickt, da hatten die Dichands die Funke-Gruppe noch nicht einmal gefragt.

Da war Breiteneckers ProSiebenSat1Puls4-Gruppe in diesem Jänner 2017 mit dem damaligen ATV-Eigentümer Herbert Kloiber längst in der Poleposition. Und tat sich entsprechend einfacher gegen diesen uneinigen Mitbewerb, als einziges ernsthaftes Angebot auch die Wettbewerbsbehörden zu überzeugen.

Im Anflug: Das erste Österreich-Programm der RTL Group, wohl künftig zu finden auf auf n-tv. (Im Bild eine Drohnen-Doku).
Foto: NTV Screenshot

Lieber Breitenecker als Dichand oder Fellner

Die Politik – damals regierten Kanzler Christian Kern von der SPÖ und Vize Reinhold Mitterlehner von der ÖVP, Außenminister war ein gewisser Sebastian Kurz (ÖVP) – schien ohnehin wenig begeistert von der Idee, die "Krone" könnte auch noch einen einigermaßen relevanten TV-Sender bekommen – oder gar Wolfgang Fellners Mediengruppe um "Österreich"/Oe24, die sich ebenfalls sehr konkret um ATV bemühte.

RTL blieb auf seinem Kurs des – kommerziell ziemlich perfekten – Privatfernsehens ohne zusätzliche Programmkosten, aber mit sehr soliden Werbeeinnahmen. 112 Millionen Euro setzt die Vermarkterin der RTL-Programme in Österreich um – geschätzt im Jahr 2017 für das bisher jüngste STANDARD-Ranking der größten Medienhäuser in Österreich. ProSiebenSat1Puls4 kommt auf 158,1 Millionen Euro und ausnahmsweise nicht flotte 20 bis 30 Millionen Ergebnis vor Steuern wie jedes Jahr seit 2010, sondern wegen des ATV-Kaufs – wohl vorübergehend – nur 1,5 Millionen. Die Ausschüttungen für die IP-Gesellschafter RTL Deutschland und "Krone" dürften auch keinen Grund zur Klage geben, sie sind aufgrund der Konstruktion und Jahresabschlussstruktur nur schwerer nachzuvollziehen.

Programmfenster für Österreich auf dem RTL-Nachrichtensender n-tv.
Foto: NTV Screenshot

Lizenzantrag bei Medienbehörde

Nun allerdings dürfte die programmliche Enthaltsamkeit der RTL-Gruppe in Österreich ein Ende haben. Nach STANDARD-Infos liegt bei der Medienbehörde KommAustria ein Antrag der RTL Group Austria GmbH für ein Österreich-Programm vor. Die Behörde will diese STANDARD-Info auf Anfrage weder bestätigen noch dementieren, die RTL Group in Deutschland reagierte am Sonntag nicht auf Mail-Anfrage dazu.

Thema des Antrags bei der Medienbehörde, soweit aus der Ferne zu erkennen: ein Programmfenster im RTL-Nachrichtenkanal n-tv. Dieser bringt viel österreichische Tradition mit: Helmut Brandstätter, inzwischen noch "Kurier"-Herausgeber, war von 1997 bis zur RTL-Übernahme Geschäftsführer des deutschen Nachrichtensenders; Markus Föderl war ab 1992 Redakteur und später Chef vom Dienst, ab 1998 stellvertretender und von 2001 bis 2007 Chefredakteur von n-tv. 2017 wird er einen Österreich-Talk auf dem Konkurrenzsender N24 ("Welt"/Springer) für Österreich beginnen.

Ein Österreich-Programm auf n-tv klingt noch nicht nach einer großen Ansage für österreichische Programmschöpfung, jedenfalls keiner in den ökonomischen Schwergewichten von RTL abwärts. Aber immerhin nach einer fundamentalen Abkehr von der Reinheit der Ökonomie in Österreich. (Harald Fidler, 8.4.2019)