Wien – Im Wiener Rathaus wird der aktuelle Entwurf zur Neuregelung der Mindestsicherung – wobei die Unterstützung für Bedürftige künftig unter Sozialhilfe firmiert – weiter abgelehnt. Das hat politische, aber auch ganz pragmatische Gründe: Nach Ansicht von Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) ist etwa der Umsetzungszeitraum viel zu gering bemessen. Dieser müsse deutlich länger sein, sagte er.

Am morgigen Montag treffen sich die Soziallandesreferenten mit Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ), um über die Causa zu beraten. Wien wird dabei einmal mehr Änderungsvorschläge mit im Gepäck haben. Hacker stößt sich nicht zuletzt an der vorgegebenen Frist.

Hacker zweifelt an Verfassunsgkonformität

Denn der Bund habe von der Ankündigung im Regierungsprogramm bis zum voraussichtlichen Inkrafttreten im Juni 2019 über 18 Monate für den Entwurf gebraucht – seit der Vorstellung in der Regierungsklausur seien immerhin zwölf Monate vergangen, hieß es. Länder wiederum sollen Vollzugsgesetze sowie den Vollzug in sieben Monaten umsetzen. "Für die vorgesehenen, sehr gravierenden Veränderungen ist ein deutlich längerer Zeitraum notwendig", erläuterte er Stadtrat.

Das vorliegende Gesetz ist nach Ansicht Hackers weiters in mehreren Punkten verfassungswidrig bzw. widerspricht geltendem EU-Recht. Es führe zu "unsachlichen Schlechterstellungen" und Beschränkungen der Leistungsbezüge bei bestimmten Gruppen – also etwa bei Kindern oder Asylberechtigten. Die vorgesehenen Kürzungen bei Familien mit mehreren Kindern seien "nicht akzeptabel", weil sie zu verstärkter Kinderarmut führen würden, warnte er.

Ausnahmeregelungen gefordert

Hacker forderte Ausnahmeregelungen im Gesetz für Personen in allen Formen von betreuten Wohngemeinschaften. Hier dürfe es keine Deckelung geben und auch die Haushaltsdefinition nicht zum Tragen kommen. Das sei aktuell nur für Behinderte und Pflegebedürftige geplant, aber nicht für Wohnungslose, psychisch Kranke und Mutter/Kind-Einrichtungen.

Während der "Arbeitsqualifzierungsbonus", also die Abschläge bei unzureichenden Sprachkenntnissen, für Menschen mit Behinderungen nicht gelten, seien Personen mit Lernschwächen oder psychisch Kranke davon nicht ausgenommen, hielt er außerdem fest. Aufgaben aus den Bereichen Fremdenrecht, Arbeitsmarkt oder Integration würden vom Bund auf die Länder abgewälzt. "Auch die Finanzierung von Sprach- und Qualifizierungskursen soll den Ländern aufgebürdet werden", kritisierte Hacker.

"Unsachlich und nicht praktikabel"

Als "unsachlich und nicht praktikabel" erscheine weiters die Regelung, dass nur aktuelle Deutschzertifikate für die Erfüllung der Voraussetzungen und Integrationsverpflichtungen herangezogen werden sollten. Laut den Erläuterungen dürfen sie nicht älter als sechs Monate sein, gab Hacker zu bedenken: "Nimmt man das ernst, müssten viele Bezieher Kurse nachmachen."

Der SPÖ-Politiker verwies auch auf andere Punkte, die den Vollzug seiner Ansicht nach äußerst komplex machen würden. Umfassende Anrechnungsregelungen hätten hier Auswirkungen über die Mindestsicherung hinaus. So müssten Gebührenbefreiungen etwa für Rezepte bzw. Rundfunk oder Gutscheine beim Bezug berücksichtigt werden. Und: Es seien auch "alle zur Deckung der eigenen Bedarfe zur Verfügung stehende Leistungen Dritter"anzurechnen.

Darunter fallen laut Hacker auch Spenden an Bedürftige, die zum Beispiel im Rahmen der Aktion "Licht ins Dunkel" gewährt werden. Private Organisationen würden so Pflichtleistungen des Sozialstaates übernehmen, zeigte sich der Stadtrat erstaunt – der nun Korrekturen verlangt: "Die Bundesländer haben im Begutachtungsverfahren ihre Kritik sehr klar zum Ausdruck gebracht. Ich erwarte mir, dass die Ministerin am Montag nicht nur gesprächsbereit ist, sondern auch handlungsbereit, das Gesetz zu ändern."

Kinder in Armut gedrängt

Die "Plattform für Alleinerziehende" kritisiert in einem offenen Brief, "dass damit Kinder in die Armut gedrängt werden". Sie appelliert an die Länder, sich für den Erhalt von Mindeststandards einzusetzen. Denn trotz des von der Regierung vorgesehenen "Alleinerzieherbonus" bewirke die Reform, dass die Kinderbeiträge bei Alleinerziehenden mit jedem Kind geringer werden – ebenso wie bei Familien mit beiden Elternteilen.

Damit drohe Familien nicht nur gesellschaftliche Ausgrenzung, sondern "Armut im sprichwörtlichen Sinne" – also zu wenig Geld für Essen und Wohnraum. Im schlimmsten Fall seien dann ganze Familien von Obdachlosigkeit bedroht, heißt es in dem Sonntag veröffentlichten offenen Brief an Landesregierungen und Landtage: "Finanzielle Unsicherheit raubt den Menschen viel Kraft, lähmt sie und lässt deren Leben stagnieren. Das ist eigentlich genau das Gegenteil von dem, was das Gesetz vorgibt zu wollen."

In die selbe Kerbe schlugen am Sonntag auch die Grünen, die ÖVP und FPÖ Sozialabbau am Rücken von Kindern und Familien vorwarfen und ankündigten, in Ländern mit Grüner Regierungsbeteiligung Spielräume auf Landesebene nutzen zu wollen. Dass die Bundesregierung die Reform bereits im Parlament eingebracht habe, verheiße für die Bund-Länder-Verhandlungsrunde am Montag nichts Gutes, kritisierte Parteichef Werner Kogler. (APA, 7.4.2019)