Bild nicht mehr verfügbar.

Todesfall mit Symbolwirkung: Dieser Wal hatte mehr als 20 Kilogramm Kunststoffabfälle verschluckt.
Foto: AP/SEAME Sardinia Onlus

22 Kilogramm Plastikmüll wurden im Magen eines Pottwals gefunden, der vor einer Woche tot an die Küste Sardiniens gespült wurde. Der Fund sorgte für Schlagzeilen: Weniger weil er einen traurigen Rekord dargestellt hätte – kaum zwei Wochen zuvor war im Magen eines toten Schnabelwals die doppelte Müllmenge gefunden worden. Sondern deshalb, weil er stellvertretend für einen bedenklichen Trend steht: Pro Jahr verenden laut der Umweltorganisation Greenpeace rund 100.000 Meeressäuger an Plastikmüll.

Und natürlich sind weder Säugetiere die einzigen Opfer noch Plastikmüll das einzige Problem. Dazu kommen andere Schadstoffe aller Art, Überfischung, Tiefseebergbau und nicht zuletzt der alles verändernde Einfluss des Klimawandels. Vor diesem Hintergrund hat Greenpeace nun in Kooperation mit Forschern der Universitäten Oxford und York einen ambitionierten Plan vorgelegt, um einen ausreichend großen und für die Vielfalt der marinen Ökosysteme repräsentativen Teil der Weltmeere unter Schutz zu stellen.

Erhalt eines Megalebensraums

Im 30×30-Report wird angeregt, bis zum Jahr 2030 mindestens 30 Prozent der Weltmeere unter Schutz zu stellen. Dabei geht es immerhin um den größten zusammenhängenden Lebensraum der Erde: die hohe See, die außerhalb der 200-Seemeilen-Zone der Nationalstaaten liegt und etwa 43 Prozent der Erdoberfläche ausmacht.

Die bis zu zwölf Meter langen Walhaie, die größten Fische der Welt, lassen sich zwar auch in Küstennähe sehen. Zumeist halten sie sich bei ihren ausgedehnten Wanderungen aber auf hoher See auf.
Foto: APA/AFP/RICARDO VALENZUELA

Da dieses enorme Gebiet buchstäblich außerhalb staatlicher Gesetzgebungen liegt und es bislang kein global verbindliches Regelwerk für seine Nutzung und seinen Schutz gibt, steht einer zerstörerischen Ausbeutung kaum etwas entgegen. Im September 2018 hat die internationale Staatengemeinschaft aber Verhandlungen über ein UN-Hochseeschutzabkommen aufgenommen, die bis 2020 zum Abschluss kommen sollen. Das 30×30-Konzept ist ein Versuch, ökologische und ökonomische Wünsche unter einen Hut zu bringen.

Lukas Meus, Meeresexperte bei Greenpeace, spricht von "starken" Meeresschutzgebieten. Das heißt, dass in ihnen keine menschlichen Aktivitäten in industriellem Ausmaß stattfinden dürften, ob Fischfang in entsprechender Größenordnung oder Rohstoffabbau. Zudem müssten für jedes dieser Schutzgebiete die gleichen Regeln gelten.

Die wissenschaftliche Grundlage des Konzepts bildete eine Parzellierung des von der hohen See bedeckten Teils der Erdoberfläche. Die Forscher haben die Gesamtfläche in knapp 25.000 Einheiten von jeweils 100 mal 100 Kilometern unterteilt und für jede Einheit gravierende menschliche Aktivitäten ebenso aufgelistet wie besonders relevante ökologische Merkmale des Gebiets – etwa ob dort Wanderrouten migrierender Spezies liegen. Die interaktive Karte unten gibt einen Einblick in dieses Rasternetz:

Wanderrouten sind ein Faktor, dem man im Naturschutz erst vergleichsweise spät Rechnung zu tragen versucht hat – vielfach womöglich zu spät: An Land ist es in vielen stark besiedelten oder landwirtschaftlich genutzten Regionen kaum noch möglich, Tieren Korridore für Migrationen einzuräumen. Diese sind aber aus verschiedenen Gründen notwendig: Etwa um dem mit den Jahreszeiten wechselnden Nahrungsangebot zu folgen, was zum Beispiel dazu führt, dass sich jährlich eine Million Gnus in Ostafrika auf Wanderschaft begeben.

Aber auch der genetische Austausch ist ein wichtiger Aspekt: Bei vielen bedrohten Arten an Land zerfällt das vermeintliche Verbreitungsgebiet in Wahrheit auf einen Fleckerlteppich aus lauter isolierten, kleinen Populationen, zwischen denen kein Austausch stattfinden kann – ein Umstand, der für den Fortbestand diese Arten wenig Gutes verheißt.

Netzwerk statt Fleckerlteppich

Während staatenübergreifende Migrationskorridore an Land nur unter größten Mühen eingerichtet werden können, ginge dies auf hoher See noch um einiges leichter. Und auch hier sind zahllose Spezies auf Wanderschaft, teilweise über tausende Kilometer hinweg: Wale ebenso wie Haie, Schildkröten, Aale oder sogar Pinguine.

Das 30×30-Konzept sieht ein Netzwerk von Meeresschutzgebieten vor, die von Pol zu Pol reichen und den Tieren genügend Freiraum bieten. Im Idealfall wäre das Ergebnis die Umkehrung der Verhältnisse an Land: Während dort Schutzgebiete eher isolierte Inseln innerhalb einer einzigen großen Nutzfläche sind, wären dann auf hoher See Zonen, die für Fischfang oder Rohstoffabbau genutzt werden, in ein naturbelassenes Netzwerk eingebettet.

Bild nicht mehr verfügbar.

Zwischen ihren Brutkolonien und den Nahrungsgründen legen Grüne Meeresschildkröten (früher Suppenschildkröten genannt) mitunter tausende Kilometer zurück.
Foto: REUTERS/Hugh Gentry

Zur Verwirklichung des ambitionierten Ziels braucht es allerdings eine Menge Überzeugungsarbeit – und Maßnahmen, die der Wirtschaft wenig schmecken werden. Beispielsweise wird im Report die Notwendigkeit eines vorläufigen Moratoriums beim Tiefseebergbau angesprochen, damit nicht vor Vollendung des Schutzgebietenetzwerks neue Tatsachen geschaffen werden. Und nicht jedes bisher genutzte Fischfanggebiet dürfte danach noch von Fangflotten angelaufen werden.

Lukas Meus hat an den Verhandlungen über das UN-Hochseeschutzabkommen teilgenommen und verweist auf den Report. Dieser zeige, dass der Schutz der Meere realistisch umsetzbar sei – und "höchste Zeit". (jdo, 5. 4. 2019)

Bild nicht mehr verfügbar.

Das positive Gegenstück zum Eröffnungsbild dieses Artikels: So möchte man Pottwale sehen.
Foto: AP Photo/Guam Variety News, Chris Bangs