Der Körper als Eingabegerät: Das braucht Kraft und Kontrolle.
Foto: Icaros

Wie Superman flitzt man als Testpilot durch die Lüfte. Im Flug durch eine enge Schlucht sollte man die Ringe, die regelmäßig auftauchen, durchqueren. Dann gibt es 1000 Punkte. Doch das ist nicht so einfach. Man muss Balance halten und die Flugbahn vorsichtig und kontrolliert austarieren. Nur keine abrupten Bewegungen. Doch aller Anfang ist schwer und ein Ziel leicht verfehlt. Manchmal hilft im letzten Moment noch, schnell den Körper nach links oder rechts zu werfen, um den Ring doch noch zu erreichen.

Der Flug durch die Landschaft, die die Virtual-Reality-Brille vorgaukelt, ist anstrengend. Denn hier ist nicht Maus oder Joystick, sondern nichts weniger als der ganze Körper das Eingabegerät. Als "Pilot" nimmt man die Position eines Unterarmstützes – man sagt im Englischen auch Plank – auf einem Gerät ein, das in alle Richtungen dreh- und neigbar ist.

Nur Schienbeine und Unterarme liegen an der Konstruktion auf, während die Brille am Kopf in eine andere Welt entführt. Es braucht Kraft und Kontrolle, um die Position kontinuierlich zu verlagern und in der virtuellen Realität (VR) die richtigen Manöver zu absolvieren.

Der Flug durch die Landschaft, die die Virtual-Reality-Brille vorgaukelt, kann ganz schön schweißtreibend sein.
Foto: Icaros

Das Gerät, das dem Trend zum Einsatz neuer Technologien im Fitnessbereich entspricht, kommt vom Start-up Icaros, das in Martinsried nahe München beheimatet ist. Die Gründer Johannes Scholl und Michael Schmidt haben den Virtual-Reality-Boom genutzt, um ein neuartiges Instrument für Freizeit, Training und Therapie zu kreieren. Das digital erweiterte Sportgerät soll besonders die zwischen Zwerchfell und Becken gelegene Core-Muskulatur stärken.

Die Idee zu dem Gerät stammt jedoch aus einer Zeit, als von der aktuellen Virtual-Reality-Technik noch keine Rede war, blickt der in Saarbrücken ausgebildete Industriedesigner Scholl zurück: "Im Rahmen eines Uni-Projekts fragte ich mich 2011, wie Zukunftskonzepte für Fitnesstraining aussehen könnten. Ich dachte dabei an ein System, das Nutzer dem Traum vom Fliegen näherbringt."

Nutzer als "Piloten"

Als bald darauf plötzlich leistungsstarke VR-Brillen verfügbar wurden, ging für Scholl "die Reise los". Bereits seine Diplomarbeit hatte er dem neuen Fitnessgerät gewidmet, beim Innovationsdienstleister Hyve entwickelte er das Konzept mit seinem Kollegen Michael Schmidt weiter. 2014 gab es den ersten Prototypen. 2015 gab Scholl den Job bei Hyve auf, um mit Schmidt Icaros zu gründen.

Das Gerät selbst ist ähnlich aufgebaut wie ein Gyroskop, das etwa im Smartphone als Sensor für Ausrichtung und Neigung des Geräts dient. Nutzer – Scholl nennt sie tatsächlich "Piloten" – können die Mechanik in jede Richtung um etwa 30 Grad kippen. Genug, um einen Looping zu simulieren. Die Bewegungen werden von Sensoren am Gerät abgenommen und in Eingabeinformationen für die VR-Brille übersetzt. "Der Körper wird zum Controller", sagt Scholl.

Man muss Balance halten und die Flugbahn vorsichtig und kontrolliert austarieren.
Foto: Icaros

Mittlerweile wurde eine Reihe von Produktvarianten entwickelt, die sich an Heimanwender, Spielhallen und Fitnessstudios richten. Ein Typus wurde auch als Medizinprodukt zugelassen. Studien hätten ergeben, dass die Muskelaktivierung beim stetigen Austarieren der Position auf der beweglichen Mechanik gerade bei Problemen im unteren Rückenbereich helfen könne.

Signifikante Verbesserung durch Training

Der für Icaros tätige Sportwissenschafter Simone Girardi, der ein Trainingsgerät in seiner Praxis nahe Innsbruck stehen hat, sieht bei Probanden, die dreimal wöchentlich zwölf Minuten "fliegen", signifikante Verbesserungen bei Koordination und Haltungskontrolle. Zurzeit vergleicht er 20 Icaros-Flieger mit einer Kontrollgruppe, die auf konventionelle Art trainiert.

Für Girardi helfen VR-Brillen beim Training, weil sie das für Emotionen zuständige limbische System austricksen. Trotz besseren Wissens reagieren Teile des Gehirns etwa mit dem Gefühl, sich in einer Gefahrensituation zu befinden. "Diese Reaktionen kann man mit therapeutischen Aspekten verbinden", so Girardi.

Man nehme längere Anstrengungen in Kauf, die Motivation bleibe erhalten. "Meine 70-jährigen Patienten fliegen – also planken – zehn Minuten lang. Ich kenne sonst keine Gleichaltrigen, die das machen." Virtual-Reality-Sickness sei mit dem Gerät, mit dem körperliche Bewegung und Wahrnehmung näher zusammenrücken, weniger stark ausgeprägt.

Multiplayer-Planken

Von den hunderten verkauften Geräten, die zwischen 2000 und – im Medizinbereich – 12.000 Euro kosten, gehen viele an internationale Märkte – einer der größten ist Japan. Mittlerweile bietet Icaros, das bereits drei Investorenrunden und ein Anwachsen auf 30 Mitarbeiter hinter sich hat, eine Reihe virtueller Umgebungen an – von abstrakten Grafiken bis zu fotorealistischen Landschaften.

Auch eine Anbindung an kommerzielle VR-Spiele, die etwa vom Wingsuit-Fliegen handeln, ist möglich. Und auch eine Online-Community gibt es mittlerweile, die übers Internet im Unterarmstütz Rennen austrägt. (Alois Pumhösel, 7.4.2019)

Ein Video des letzten Icarace-Wettbewerbs inklusive österreichischem Weltmeister Thomas Ebner, aka Tomislav.
ICAROS flight