Rolf Majcen rodelt mit seiner Lebensgefährtin Jin Lan im Abulatal in der Schweiz unter mehreren mächtigen Viadukten hindurch.

Foto: Rolf Majcen

Unterwegs auf der längsten Rodelbahn der Welt in Grindelwald in der Schweiz.

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Die Rodel ist maßangefertigt aus Eschenholz von einem steirischen Rodelbauer.

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Ein Leben für den materiellen Luxus, das ist nicht die Sache von Rolf Majcen. "Ich brauche kein Galadinner, kein Fünf-Sterne-Hotel. Ich will den Moment bewusst wahrnehmen. Dafür brauche ich die Natur", sagt der 52-Jährige. "Und das Rodeln." Mehr als 300 Kilometer ist Majcen im Vorjahr in sechs Tagen auf 18 Bahnen im Alpenraum zwischen dem Ennstal und dem Wallis gerodelt.

Bis zu 30 Minuten bergab, viele Überholmanöver mit Blick auf das Panorama zwischen Ortler, Großvenediger, Eiger-Nordwand oder Matterhorn. "Es ist faszinierend, wenn der Körper kilometerlang auf dem Schlitten die Feinarbeit des Bremsens, Beschleunigens und Steuerns leistet und all deine Sinne von intensiven Reizen berauscht sind. Es hat uns in den Bann gezogen." Uns, das sind Rolf Majcen und seine chinesische Lebensgefährtin Jin Lan. Bevor die 40-Jährige wegen eines auslaufenden Visums zurück nach China musste, wollte Majcen ihr noch "ein besonderes Geschenk machen und die Schönheit der Alpen zeigen". Und weil sie nicht Ski fahren kann, kam die Idee mit dem Rodeln auf.

Rolf Majcen aus Teesdorf bei Baden ist im Brotberuf Kapitalmarktjurist, er hat nicht mehr Zeit als die meisten anderen Menschen im Hamsterrad. Freitagabend geht es in einem Skoda Rapid gen Westen. Statt der Rückbank reicht ein Holzgestell bis in den Kofferraum, darauf eine dicke Matratze. Majcen und Jin Lan schlafen im Auto. "Wir haben ein Glasdach, schauen in der Nacht auf die Sterne." Auf der Autobahn werden schon im Stau mit dem Gaskocher Würstel und Spaghetti gekocht.

Die Ersten auf der Piste

In der Früh wird's im Auto frisch, besonders wenn der Gang ins Freie notwendig wurde. "Dann fahre ich fünf Minuten herum, und dann ist es eh warm." Natürlich könnte sich Majcen ein Hotelzimmer leisten, aber es geht um das "Gesamtpaket, das Naturerlebnis, ich komme mit viel mehr Glücksgefühlen heim." Außerdem ist man schneller mit An- und Abreise, "wir sind in der Früh die Ersten auf der Piste und die Letzten, die am Abend aufhören".

Majcen wirft sich mit Jin Lan auf eine Rodel aus Eschenholz, in Handarbeit gefertigt vom steirischen Rodelbauer Franz Leitner aus Oberwölz, der ihm eines seiner Geräte geborgt hat. "Die hält die Spur millimetergenau." Dass seine Frau überhaupt mitrodelt, gleicht einem Wunder. Jin Lan verließ ihr Elternhaus in der südchinesischen Provinz Guizhou mit 13 Jahren, arbeitete in Kinderfabriken unter unmenschlichen Bedingungen, sieben Tage die Woche, schlecht ernährt. Das Geld schickte sie nach Hause, um damit ihren drei jüngeren Brüdern den Schulbesuch zu ermöglichen. "Mädchen haben in dieser Gegend Chinas nichts gegolten." Nach jahrelanger Tortur brach sie körperlich zusammen und erlitt mit 27 Jahren Lähmungen in beiden Beinen. "In der Folge konnte sie nicht mehr gehen und war fast vier Jahre lang in Peking ans Bett gefesselt", sagt ihr Freund.

Rolf Majcen
Rolf Majcen

Majcen lernte sie übers Internet kennen, auf der Suche nach einer Sprachpartnerin für sein Mandarin-Studium. Drei Jahre lang arbeitete Jin Lan konsequent daran, überhaupt wieder selbstständig gehen zu können, Majcen konnte sie zum Sport motivieren und ihr neue Lebensziele geben. Vergangenes Jahr hat Jin Lan mit Majcen den Olymp-Marathon in Griechenland, einen extremeren Berglauf absolviert. "An manchen Tagen sitzt sie heute 200 Minuten am Hometrainer."

2018 ging es zu den längsten Rodelbahnen in Südtirol, bis zu zehn Kilometer bergab, danach in die Ostschweiz zu den Fideriser Heubergen, "dort reicht das Mondlicht für die Abfahrt", und zum "Rodelmekka" Bergün, wo Majcen und Jin Lan mit der Rhätischen Bahn, einem Weltkulturerbe, auf den Berg gebracht wurden. In Grindelwald fuhr Majcen gegenüber der Eiger-Nordwand die "Big Pintenfritz" vom Faulhorn hinab, sie ist mit 15 Kilometer die längste Rodelbahn der Welt. Im Wallis rodelte er auf 3000 Meter Höhe "im Banne des Matterhorns", dann ging es nach Tirol zur kurvenreichen Bergkastelrodelbahn in Nauders. Den Abschluss ihrer Tour mit 18 Strecken bildete die längste Rodelbahn Österreichs in der Wildkogel-Arena bei Bramberg im Pinzgau: 14 Kilometer bergab.

Treppauf, liftab

Seine Leidenschaft für Extremsport lebt Rolf Majcen schon lange als Treppenläufer. Seit 20 Jahren eilt er die höchsten Gebäude der Welt hinauf, vom Empire State Building (443 Meter) über den Milad Tower in Teheran (435 m) bis zum Shanghai Tower (632 m). Majcen, der in Johannesburg in Südafrika geboren wurde, absolvierte als Skibergsteiger die drei größten Rennen der Alpen, die Patrouille des Glaciers in der Schweiz, die Pierra Menta in Frankreich und die Trofeo Mezzalama in Italien. Er ist übrigens der Neffe von Karl Majcen, der von 1990 bis 1999 als Generaltruppeninspektor der höchste Offizier des Bundesheeres war.

Was ihn antreibt, in einer dunklen Betonröhre den Wiener Donauturm hinaufzulaufen, während draußen auf der Donauinsel Badewetter ist? "Die Glücksgefühle danach machen die Qualen wett. Und ich habe nirgendwo sonst einen derartigen Trainingseffekt." Mit dem Lift ist man in 35 Sekunden wieder unten. "So schaffe ich 1000 Höhenmeter in einer Stunde, das heißt, sechs- oder siebenmal rauf, ohne Aufwand für den Abstieg." Und dann entdeckte er den Weg bergab. Also Rodeln.

Auch 2019 ging es für Majcen wieder auf zwei Kufen bergab, Tochter Livia und Jin Lan begleiteten ihn bei vielen der 26 neuen Abfahrten mit 160 Kilometer Gesamtlänge: vom Ennstal bis in die Schweiz und nach Südtirol. Das Rodeln hat eine Renaissance erlebt, "das merkst du spätestens, wenn du beim Tegernsee bei der Gondel stehst und 300 Rodler warten vor dir in der Schlange. Österreich ist ein Rodelparadies, und die meisten Strecken sind mit Gondeln erreichbar. Majcen: "Es geht auch beim Rodeln immer bergauf. Man findet immer neue Ziele." (Florian Vetter, 12.4.2019)