Wien – Christiane Ö. führte 76 Jahre lang ein gesetzestreues Leben. Nun hat sie ein Schöffensenat unter Vorsitz von Christian Gneist zur zweiten Vorstrafe innerhalb von drei Jahren verurteilt. Über 110.000 Euro soll die 79-jährige Pensionistin in den vergangenen Jahren nämlich veruntreut haben. Aus gesundheitlichen Gründen und aus Hoffnung auf das Vorhandensein einer ausgeprägten Zweiklassenmedizin, beteuert die Angeklagte.

Die Pensionisten kommt, gestützt von ihrem Begleiter, langsam und schwer atmend in den Saal. Nur mit Hilfe kann sie auf dem Anklagestuhl vor der Richterbank Platz nehmen, Vorsitzender Gneist erlässt ihr sogar das obligatorische Aufstehen bei der Vereidigung der Laienrichter.

Probleme mit der Schulter und dem Herzen

"Mir geht es überhaupt nicht gut, ich habe solche Herzprobleme!", erklärt sie, warum sie den Prozess immer wieder verschieben ließ. Es war aber ein anderes körperliches Problem, das sie ab dem Jahr 2011 kriminell werden ließ, wie sich im Laufe des Verfahrens herausstellt.

2011 begann die Frau, die 920 Euro Pension und Pflegegeld der Stufe 2 bekommt, sich Privatdarlehen zu besorgen. Insgesamt 60.000, die sie nie zurückzahlte. Im Jahr 2016 wurde Ö. dafür zu 14 Monaten bedingter Haft verurteilt. Vor Gneist geht es um eine weitere Einnahmequelle: Laut Staatsanwalt soll die Angeklagte zwischen 2012 und 2017 über 50.000 Euro vom Konto ihres Schwagers, dessen Sachwalterin sie gewesen ist, entfernt haben.

Loch-auf-Loch-zu-Politik

"Ich habe eine Behandlung für die Schulter gebraucht", argumentiert sie keuchend. "Ich habe die dritte Prothese, zwei habe ich privat gezahlt. Ich habe gehofft, dass es besser wird, wenn man es privat machen lässt. Es hat nichts genutzt", winkt sie resigniert ab. Mit dem nun gegenständlichen veruntreuten Geld des dementen Verwandten habe sie teilweise die Schulden zurückgezahlt – eine klassische Loch-auf-Loch-zu-Politik also.

Von einem bereits im Jahr 2008 von ihrem Schwager abgeschlossenen Bankkredit über 15.000 Euro, den die nunmehrige Erwachsenenvertreterin des in einem Pflegeheim untergebrachten Mannes ebenfalls zu den Ermittlungsakten gegeben hat, weiß Ö. dagegen nichts. "2008? War er da nicht im betreuten Wohnen in Wien?", versucht sie sich zu erinnern.

"Allerallerletzte Chance"

Das Urteil muss sie dann doch im Stehen entgegennehmen, ihr Begleiter hilft ihr auf. Bei einer Strafandrohung bis zu drei Jahren Haft erhält sie 18 Monate bedingt. Für die 14 Monate aus der ersten Verurteilung wird die Probezeit von drei auf fünf Jahre verlängert. "Sie haben eine allerallerletzte Chance bekommen. Wenn nochmals irgendeine Kleinigkeit passiert, sind Sie Jahre im Gefängnis", mahnt der Vorsitzende. Ö. nimmt das Urteil an, für den Ankläger ist es "gerade noch" akzeptabel – die Entscheidung ist daher rechtskräftig. (Michael Möseneder, 1.4.2019)