Jeder kann einen eigenen Remix machen, Kommentare hinzufügen und Storys aus eigener Perspektive erzählen: hyperaud.io. Wird damit aber nicht das betrieben, was bekämpft werden soll – Dinge aus dem Kontext zu reißen? Genau das ist der Sinn dieses Projektes, erklärt Mark Boas: "So lernen die Schüler auf eigene Faust, wie wichtig der Kontext ist."

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Mark Boas hat "The glorious Contextubot" mitentwickelt. Das ist ein Prototyp, der im Internet gefundene Clips mit der Originalquelle verbindet. Das Internetarchiv sammelt Videomaterial aus verlässlichen Quellen, Contextubot stellt den Kontext her.

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Es gibt viele Methoden, um die Echtheit eines Videos zu überprüfen. Auf diversen Internetseiten finden sich Tipps wie "auf Mundbewegungen achten" oder "den Clip bei niedriger Geschwindigkeit abspielen und nach Unstimmigkeiten suchen". Solche Tipps werden technisch bald überholt sein, glaubt Medientechnologe Mark Boas.

Bei der Bekämpfung von Deep Fakes – durch künstliche Intelligenz hergestellte "synthetischen Videos" – sollte man verstärkt auf Media-Literacy setzen, sagt er. Was Media-Literacy ist und wie sie gefördert wird, erklärt Boas in einem Interview für den STANDARD. Mark Boas spricht beim Journalismusfestival in Perugia (3. bis 7. April 2019) über "The video verification toolkit: the journalist as a data worker".

Ohne Kontext geht es nicht

Boas hat The glorious Contextubot mitentwickelt. Das ist ein Prototyp, der im Internet gefundene Clips mit der Originalquelle verbindet. Das Internetarchiv sammelt Videomaterial aus verlässlichen Quellen, Contextubot stellt den Kontext her. "Abgesehen von Deep Fakes stellen auch aus dem Kontext gerissene Clips ein großes Problem dar, da sich die Absicht und die Botschaft eines Ausschnitts drastisch ändern können."

Mithilfe des Contextubots finden solche Clips einfach zum ursprünglichen Kontext zurück. Man gibt sie ins System ein und bekommt eine Liste der wahrscheinlichsten Treffer. Falls der Clip nicht auf der Liste auffindbar ist, handelt es sich höchstwahrscheinlich um einen Fake.

Auch die Nachrichtenagentur Reuters verwendet ein eigenes System zur Verifizierung von Videos. "Wir entdecken Videofakes jeden Tag", sagt Hazel Baker, Leiterin des User Generated Content Newsgathering bei Reuters. Diese Videos werden in einem Content-Curation-System namens SAM Desk gesammelt.

Das Team verifiziert das Material mithilfe der umgekehrten Bildersuche (Reverse Image Search), Geolocation, Untersuchung von Metadaten, Expertenmeinungen und einer genauen Auseinandersetzung mit den Quellen. "Wir glauben, dass irreführender Inhalt oft nicht in böser Absicht verbreitet wird", so Baker. "Wenn aber eine Quelle regelmäßig solche Inhalte verbreitet, versuchen wir sie zu identifizieren." Baker spricht beim Journalismusfestival über "Preparing for the next wave: video fake news".

Social-Media-Plattformen tun zu wenig

Boas sieht das Problem vor allem darin, dass Menschen einem Deep Fake in der Regel mehr Vertrauen schenken als anderen potenziell unechten Inhalten. "Ich glaube, dass die meisten Leute nicht wissen, wie gut Deep Fakes bereits sind", meint er. "Aber wenn man die Menschen aufklären würde, wären sie vermutlich nicht allzu überrascht." Vor allem Social-Media-Kanäle sind stark von verschiedensten Fakes betroffen. "Ich fände es sehr toll, wenn auf diesen Plattformen neben jedem Video ein Link zur Originalquelle stehen würde." Social-Media-Firmen sind aber im Kampf gegen Fake-News noch nicht aktiv genug.

Media Literacy möglichst früh lehren

Der in Florenz lebende Medientechniker will vor allem die Jugend früh aufklären. "Wenn man sehr früh ein gewisses Niveau von Media Literacy bei jungen Leuten schafft, verstehen sie die Wichtigkeit des Quellencheckens viel besser." Boas hat auch das Tool hyperaud.io mitentwickelt. Dieses funktioniere ähnlich wie eine Playlist, man könne damit auf einfache Art kurze Dokumentarfilme machen.

Alle Bausteine dafür sind bereits im System vorhanden. Jeder kann einen eigenen Remix machen, Kommentare hinzufügen und Storys aus eigener Perspektive erzählen. Wird damit aber nicht das betrieben, was bekämpft werden soll – Dinge aus dem Kontext zu reißen? Genau das ist der Sinn dieses Projektes, erklärt Boas. "So lernen die Schüler auf eigene Faust, wie wichtig der Kontext ist." Wir brauchen Media Literacy, um zu verstehen, womit wir uns befassen und wie wir mit den Quellen kritisch umgehen können." Boas ist bereits im Gespräch mit einer Schule in Italien, in der er sein Projekt in einer Klasse Zehnjähriger testen möchte. (Anja Malenšek, 4.4.2019)