Wenn die Schilddrüse raus muss: Eine neue Operationsmethode hinterlässt keine Narben.

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Philipp Riss ist Oberarzt an der Universitätsklinik für Chirurgie und Leiter der Arbeitsgruppe "Chirurgische Endokrinologie" an der Medizinischen Universität Wien.

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STANDARD: In der Medizin gibt es viele Abkürzungen. Wofür steht TOETVA genau?

Riss: Es ist eine sehr lange Abkürzung, die konkret bedeutet, dass wir Schilddrüsenknoten jetzt durch den Mund und insofern von innen operieren können. Die Abkürzung steht für "Transoral Endoscopic Thyroidectomy Vestibular Approach".

STANDARD: Und wie lief es bisher?

Riss: Von außen, Schilddrüsen wurden offen operiert. Standard ist der Kocher'sche Kragenschnitt, ein mehrere Zentimeter langer Schnitt, den wir zwar zunehmend kleiner machen konnten, aber eine Narbe am Hals bleibt. Es ist eine kosmetische Beeinträchtigung. Das ist insofern relevant, als dass doppelt so viele Frauen wie Männer von Schilddrüsenentfernungen betroffen sind.

STANDARD: Für welche Diagnosen von Schilddrüsenerkrankungen kann die neue OP-Methode eine Option sein?

Riss: Eigentlich für sämtliche Diagnosen, die eine teilweise oder vollständige Entfernung der Schilddrüse notwendig machen. Es können sogenannte Adenome in der Schilddrüse sein, aber auch sogenannte kalte Knoten, bei denen ein Krebsverdacht besteht, oder die heißen Knoten, die zu viel Schilddrüsenhormon produzieren. Es gibt aber auch Zysten in der Schilddrüse, die wir mit TOETVA entfernen.

STANDARD: Wie genau geht das?

Riss: Wir machen im Mund, also innerhalb der Unterlippe, drei Schnitte. Einer ist zwölf Millimeter lang, die anderen beiden je fünf. Durch diese Zugänge führen wir eine Kamera und zwei chirurgische Werkzeuge ein, gehen von der Unterlippe bis in den Hals und können von innen aus Gewebe entfernen.

STANDARD: Können dabei nicht auch Nerven verletzt werden?

Riss: Aufgrund der speziellen Präparationstechnik können die Nerven der Unterlippe und des Kinns geschont werden, und es kommt höchstens zu vorübergehenden Gefühlsstörungen. Noch wichtiger ist die Schonung der Stimmbandnerven, wobei uns hier die Technik hilft. Mithilfe des Neuromonitorings können wir auch komplizierte Nervenverläufe erkennen und so den Nerv schützen. Diese Technik wird auch bei der offenen Operation eingesetzt.

STANDARD: Und wie fühlen sich Patienten nach so einer Operation?

Riss: Die Unterlippe ist geschwollen, es dauert ein paar Tage, bis diese Schwellung wieder vollständig verschwunden ist. Und sonst fühlt sich die Narbe im Mund in etwa so an, als habe man sich gebissen, in die Wange etwa. Es verheilt dann relativ schnell.

STANDARD: Wo wird das schon gemacht?

Riss: Das AKH und das Landeskrankenhaus in Wiener Neustadt sind die ersten Kliniken in Österreich, die TOETVA einführen. Wir sind auch an der Entwicklung der Qualitätsstandards beteiligt. Denn eines muss man sagen: Vom Resultat her sind die offene Operation und die TOETVA genau gleich. Also in beiden Fällen ist der Knoten weg, und es gibt idealerweise keine Komplikationen wie etwa eine Beeinträchtigung der Stimmbänder. Es hat sehr lange gedauert und es hat viele Versuche gegeben, chirurgisch besser zur Schilddrüse vordringen zu können. Da gab es Versuche über die Brustwarzen, die Achselhöhlen, sogar über den Haaransatz im Nacken. Nichts davon konnte sich durchsetzen. Der Zugang über die Mundhöhle ist deshalb für uns Chirurgen eine Innovation.

STANDARD: Wo eignet sich TOETVA nicht?

Riss: Wenn die Tumoren zu groß sind, also über vier Zentimeter: Das schaffen wir mit dieser Methode nicht. Ebenso wenig können wir Schilddrüsenkarzinome entfernen, die schon Metastasen in den Lymphknoten gebildet haben. Da muss man auf die klassischen Operationsmethoden zurückgreifen. Die TOETVA ist ein internationales Projekt, wir entwickeln zusammen mit den deutschen Kollegen gerade Leitlinien. Das heißt wir begleiten die Einführung dieser Methode auch wissenschaftlich und führen Nachuntersuchungen durch.

STANDARD: Was raten Sie Patientinnen und Patienten mit Schilddrüsentumoren?

Riss: Sich unbedingt an ein Krankenhaus zu wenden, in dem viele Schilddrüsen operiert werden. Die Fallzahlen eines Operateurs lassen Rückschlüsse auf seine Kompetenz zu.

STANDARD: Und wird überall in diesen Zentren schon diese neue Methode angeboten?

Riss: Einstweilen noch nicht, weil es sich, wie gesagt, um einen kosmetischen Vorteil handelt. Für eine bestimmte Gruppe von Patienten ist dieses Kriterium sehr wichtig. Für sie haben wir eine neue Option. (Karin Pollack, 9.4.2019)