Rogan (re): "Auf psychologischer Ebene haben die israelischen Spieler in entscheidenden Momenten hundert Prozent ihrer trainierten Fähigkeiten auf den Platz gebracht. Sie haben unter Druck die beste Leistung erbracht."

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STANDARD: Können wir noch einmal den 4:2-Sieg Israels über Österreich besprechen? Sie sind Israels Mentalcoach, mich würde Ihre Sicht auf dieses Spiel interessieren. Was ist nach dem 0:1 passiert?

Rogan: Über allem steht, dass Willi Ruttensteiner und Andi Herzog seit acht Monaten ganz hervorragende Arbeit abliefern. Jeder Spieler, jede Funktionär sagt und spürt, dass im israelischen Fußball eine ganz neue Professionalität Einzug gehalten hat.

STANDARD: Was zeichnet Ruttensteiner, was zeichnet Herzog aus?

Rogan: Willi ist ein echter Manager, der sich immer überlegt, was er verbessern will und wie er das schaffen kann. Sein Arbeitstag beginnt um sieben Uhr und endet oft erst um Mitternacht. Und Andi Herzog ist ein Vollblutsportler. Der denkt tagelang darüber nach, wie er ein Training anlegt, jedes Detail ist vorbereitet und wird dann voller Leidenschaft umgesetzt. Andi hat die Fähigkeit, die nur ganz wenige haben: mit Herz und Hirn gleichzeitig zu agieren.

STANDARD: Wie sind Sie in Kontakt mit Ruttensteiner und Herzog gekommen?

Rogan: Andi und ich kennen uns lange, noch aus der Zeit, als er selbst bei Los Angeles Galaxy gespielt hat und später Co-Trainer von US-Teamchef Jürgen Klinsmann war. Da haben wir uns ein paar Mal getroffen. Und vor fünf, sechs Jahren habe ich an der UCLA eine Studie über Mentaltraining geleitet, wir haben mit der Uni Salzburg kooperiert, da war auch Willi Ruttensteiner dabei. Mir ist aufgefallen, dass er die richtigen Fragen stellt, genaue und gezielte Fragen.

STANDARD: Wie gesagt, es wäre interessant zu wissen, wie es Ihrer Meinung nach zum 4:2 gegen Österreich gekommen ist.

Rogan: Fußballerisch kann ich nichts dazu sagen. Auf psychologischer Ebene haben die israelischen Spieler in entscheidenden Momenten hundert Prozent ihrer trainierten Fähigkeiten auf den Platz gebracht. Sie haben unter Druck die beste Leistung erbracht.

STANDARD: Auch wenige Tage zuvor, beim 1:1 gegen Slowenien, lag Israel in Rückstand und hat nicht verloren. Wie hilfreich war das?

Rogan: In der Sportpsychologie unterscheidet man drei Ebenen: die persönliche Ebene, die Mannschaftsebene und die kulturelle Ebene. Israel hat auf der kulturellen Ebene einen riesigen Startvorteil. Das Gefühl, unter enormem Druck zu stehen, alle gegen sich zu haben, sich unbedingt behaupten zu müssen, dieses Gefühl hat jeder Israeli verinnerlicht. Das hat historische Gründe und hat damit zu tun, wie man in Israel aufwächst. In jedem Israeli steckt dieser unbändige Wille: Egal was passiert, ich überlebe!

STANDARD: Wie groß ist die Freude über die vier Punkte aus den ersten zwei Spielen, wie groß ist die Hoffnung auf die EM-Qualifikation?

Rogan: Israel ist von der Endrunde noch sehr weit weg. Und von Feierlaune kann gar keine Rede sein. Das ist vielleicht auch typisch Ruttensteiner und typisch Herzog. Statt zu feiern, sind Willi und Andi nach dem Spiel noch stundenlang gesessen, um zu analysieren. Vor allem um zu analysieren, was nicht so gut funktioniert hat.

STANDARD: Wie intensiv haben Sie mit der Mannschaft gearbeitet?

Rogan: Willi und ich sind seit ein paar Monaten in Kontakt, wir haben viel vorbereitet. Und in den Tagen, an denen ich jetzt bei der Mannschaft war, habe ich versucht, auf Willi-Ruttensteiner-Intensität zu kommen.

STANDARD: Sind Sie auch auf Skepsis gestoßen?

Rogan: Man trifft oft auf Skepsis, speziell bei Spitzensportlern. Aber jeder Spitzensportler hat ein Ziel, er will besser werden. Und wenn er das Gefühl kriegt, das kann ihm über eine Zusammenarbeit gelingen, in einem gemeinsamen Prozess, dann kannst du ihn erreichen. Erfolg hilft natürlich. Wobei man nicht weit kommt, wenn man sich nur an Resultaten orientiert. Prozessorientierung ist wichtiger. Das war auch ein Schlüssel zum Erfolg am Sonntag: Israel hat sich bis zum Ende auf den Prozess konzentriert.

STANDARD: Ist es hilfreich, dass Sie selbst Weltklassesportler waren?

Rogan: Vielleicht habe ich dadurch einen Vorteil. Wenn ich einem Spieler in die Augen sehe und über Druck rede, dann spüre ich auch, wovon ich da rede. Und der Spieler spürt, dass ich das spüre.

STANDARD: Sie waren Direktor und sind immer noch Consultant des "Paradigm Malibu" in Los Angeles, einer Einrichtung für Teenager mit Depressionen, Angststörungen und Drogenproblemen. Ist die Arbeit mit Spitzensportlern etwas ganz anderes, oder gibt es Parallelen?

Rogan: Es hilft mir, dass ich jahrelang mit schwierigen Jugendlichen zu tun hatte. Davon zehre ich. Jugendliche sind die mit Abstand besten Lehrer, weil sie ihren Weg erst finden müssen, und das ist die schwierigste Aufgabe, die es gibt.

STANDARD: Wie schwierig oder ungewohnt war es, als Österreicher sozusagen gegen Österreich anzutreten? Oder gelingt es einem, das auszublenden?

Rogan: Das habe ich immer am Sport genossen, und heute liebe ich es noch mehr: Vor und nach dem Wettkampf stehen Freundschaften im Vordergrund, aber sobald es um den Sieg geht, kämpft jeder bis zum Umfallen.

STANDARD: Wie sind die weiteren Pläne, werden Sie das israelische Team zu allen Qualifikationsspielen begleiten?

Rogan: Das wäre der Plan. Aber ich habe schon gelernt, dass sich die Dinge im Fußball rasch ändern können. Dazu gibt es ein schönes Sprichwort: Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. (Fritz Neumann, 26.3.2019)