Theresa May hörte am Montagabend Jeremy Corbyns Anmerkungen zu.

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Der Brexit ist zumindest auf den 12. April oder – wenn sich das Parlament in London doch noch einigt – auf den 22. Mai verschoben. Die EU geht mittlerweile von einem ungeordneten Austritt am 12. April aus. Denn Premierministerin Theresa May entgleiten zunehmend die Zügel. Die Abstimmung im Unterhaus am Montagabend war ein Schlüsselmoment im Machtkampf zwischen Regierung und Parlament.

Frage: Was ist am Montagabend im britischen Unterhaus passiert?

Antwort: Es kam zu einer Abstimmung über einen Abänderungsantrag, der Folgendes zum Inhalt hatte: Das Parlament soll die Kontrolle über die Tagesordnung am Mittwoch bekommen und an diesem Tag über verschiedene Brexit-Szenarien abstimmen. Der Antrag geht auf eine Initiative des konservativen Abgeordneten Oliver Letwin zurück und erreichte eine Mehrheit: 329 Abgeordnete stimmten dafür, 302 dagegen. Somit wird das Unterhaus am Mittwoch Testabstimmungen über Brexit-Alternativen durchführen, sogenannte "indicative votes".

Frage: Was sind diese "indicative votes", die am Mittwoch zur Abstimmung kommen?

Antwort: Die "indicative votes" sind Testabstimmungen, die rechtlich nicht bindend sind – im Gegensatz zu den "meaningful votes", die schon zweimal über Mays Brexit-Deal durchgeführt wurden. Beide Male erhielt die Premierministerin dabei eine Abfuhr. Die Testabstimmungen dienen dazu auszuloten, welche alternativen Brexit-Varianten eine Mehrheit im Parlament hätten. Die Ergebnisse – wiewohl rechtlich nicht bindend – könnten May und ihre Regierung unter erheblichen Druck bringen.

Frage: Warum hat Oliver Letwin den Antrag eingebracht?

Antwort: Weil die beiden bisherigen Abstimmungen über den Austrittsdeal kein gangbares Ergebnis brachten, herrscht Stillstand. Der Austrittsprozess befindet sich in einer Sackgasse. Das Parlament stimmte mit deutlicher Mehrheit gegen Mays Abkommen, aber gleichzeitig auch gegen einen No Deal. Sprich, die zwei einzigen Varianten, die die Regierung dem Parlament vorgelegt hatte, wurden abgelehnt.

Das Unterhaus setzte sich nun damit durch, noch weitere Varianten zur Abstimmung zu bringen. Auf dem Tisch sind am Mittwoch also wieder die Fragen: Soll es ein zweites Referendum geben? Soll man den Artikel 50 revidieren? Soll es ein harter oder ein weicher Brexit sein? May ist naturgemäß gegen diese Abstimmungen. Sie bleibt bei ihrer Devise "Mein Deal oder kein Deal". Den Alleingang des Parlaments bezeichnet die Regierung als "gefährlichen, unberechenbaren Präzedenzfall", der das "Gleichgewicht zwischen den demokratischen Institutionen auf den Kopf stellt".

Frage: Was bedeutet das für Theresa May?

Antwort: May steht somit noch mehr unter Druck, als sie das ohnehin schon war. Eigentlich will sie Ende der Woche noch einmal – also zum dritten Mal – in einer "meaningful vote" über ihren Deal abstimmen lassen. Am Montag kursierten Gerüchte, dass das schon am Dienstag über die Bühne gehen sollte. Am Montagnachmittag gab May aber bekannt, dass sie nicht ausreichend Stimmen für ihren Deal habe. Erst wenn die Abstimmung Aussicht auf Erfolg hätte, würde sie stattfinden.

Auch wenn ihr die Partei im Dezember und das Parlament im Jänner das Vertrauen ausgesprochen haben (ein Jahr sitzt sie somit fest im Sattel), gehen May zunehmend die Verbündeten aus. Von der eigenen Partei stimmten nur 29 Abgeordnete gegen Letwins Antrag – der ja selbst Tory ist. Und noch in der Nacht auf Dienstag traten drei Regierungsmitglieder zurück. May hatte als Regierungslinie vorgegeben, den Antrag nicht zu unterstützen. Inmitten der Rücktrittsaufforderungen und -gerüchte bleibt aber die Frage, wer sich statt May das Amt des Premiers in dieser Phase antun will. Das Parlament will sie wohl auch nicht zum Rücktritt drängen, sondern dazu, alternative Brexit-Wege zu gehen.

Frage: Wie will May mit den "indicative votes" am Mittwoch umgehen?

Antwort: Was auch immer dabei herauskommt, ist für die Regierung rechtlich nicht bindend. Die Premierministerin hat betont, dass selbst bei Mehrheiten für bestimmte Varianten deren Umsetzung für die Regierung nicht möglich wäre – etwa wenn das Szenario gegen die konservative Parteilinie spricht (Zollunion mit der EU) oder die EU nicht zustimmen würde (Neuverhandlungen des Abkommens).

Frage: Wie reagiert die EU?

Antwort: Von EU-Seite gab es bisher keine Reaktionen auf die neuesten Entwicklungen. Am Montag betonte eine Sprecherin der EU-Kommission lediglich, dass nur noch bis Freitag Zeit sei, die dritte Abstimmung über Mays Deal zu organisieren. Wenn das nicht geschehe, müsse Großbritannien bis zum 12. April eine überzeugende Alternative präsentieren – oder ohne Abkommen aus der EU austreten. Aus Deutschland meldete sich der CDU-Abgeordnete und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im deutschen Bundestag, Norbert Röttgen, zu Wort. Er begrüßte die Geschehnisse im britischen Parlament. "Endlich übernehmen die Abgeordneten die Kontrolle über Brexit", erklärte er auf Twitter. (Anna Sawerthal, 26.3.2019)