Berührt in ihrer Prosa Schmerzzonen: Anke Stelling (47), Trägerin des Belletristikpreises der "Leipziger Buchmesse".

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Sieben Jahre ist es her, dass die Autorin Anke Stelling plötzlich ohne Verlag dastand. Ihre drei bis dahin bei S. Fischer erschienenen Bücher hatten sich zwar nicht gerade als Kassengift herausgestellt, sie galten aber auch nicht als besonders leicht verkäuflich.

Nun hat die 1971 in Ulm geborene Schriftstellerin mit dem Roman "Schäfchen im Trockenen" den Preis der Leipziger Buchmesse, Kategorie Belletristik gewonnen. Mit einer scharfkantigen, harschen Prosa, die wehtun will und wehtun muss, wie es in der Jurybegründung heißt.

Das ist gut gesagt, denn die alles andere als harmlosen Frauenfiguren, die Stellings Romane bevölkern, haben es in sich. Oft erinnern sie an die rigorosen Damen, von denen A. L. Kennedy schreibt – oder Elfriede Jelinek. Das kommt nicht überall gut an und mag einer der Gründe sein, warum der literarische Besänftigungsvirtuose Wilhelm Genazino der Autorin einst einen grausamen Blick attestierte. Er tat es als Dozent des Literaturinstituts Leipzig, das Stelling Ende der 1990er-Jahre absolvierte. In Wahrheit ist der Blick Stellings, die vor 30 Jahren aus dem Schwabenland nach Berlin, Prenzlauer Berg, flüchtete, nicht grausam, er ist präzis.

Widerstand im Berliner In-Bezirk

Niemand hat das Milieu der saturierten und selbstgerechten Erbengeneration im "Prenzlberg" genauer beschrieben als Stelling, die nach wie vor mit ihrem Mann und drei Kindern ebendort lebt. In diesem Berliner In-Bezirk spielt nach Stellings Roman "Bodentiefe Fenster" (2015) auch "Schäfchen im Trockenen". Es geht darin um die Autorin Resi, die mit den Vorgaben ihres hippen Umfeldes abrechnet. Vorgaben, denen sie nicht entsprechen will und es finanziell auch nicht kann. Sie wird dadurch zur Persona non grata.

Formal ist Schäfchen im Trockenen als Monolog aufgebaut, der sich an Resis Tochter Bea richtet. Das Buch lässt sich daher als Aufklärungsroman der anderen Art lesen, der unser Zusammenleben analysiert.

Das Thema Mutterschaft ist indes – wie die Einsamkeit – in den letzten Büchern der Autorin zentral. Zuweilen bricht Stelling dabei Tabus. Etwa im Inzest-Roman "Fürsorge" (2017), gegen den sich die Geschichte von Ödipus wie ein Krippenspiel ausnimmt. Es ist davon auszugehen, dass die Autorin ihrer Radikalität treu bleiben und weiter gegen Schweigen und Nicht-sagen-Dürfen anschreiben wird. Auch nach der Leipziger Auszeichnung, die zum Teil dem kleinen Verbrecher-Verlag gebührt, der sie unter seine Fittiche nahm. (Stefan Gmünder, 22.3.2019)