Kiki Kogelniks "War Baby" von 1972 gehört zum Sammlungsbestand des Wiener Mumok. Das Stifterpaar Peter und Irene Ludwig hat überwiegend männliche Künstler gesammelt.

Foto: Kiki Kogelnik Foundation

Im Londoner Museum Tate Britain sind die Stunden der weißen männlichen Kunstgeschichte gezählt. Dort beginnt jetzt das große Abhängen: Ab April verbannt das Museum alle Gentlemen seiner Abteilung "Britische Kunst seit 1960" ins Depot und überlässt den Ladies das Feld. Tate-Chefin Maria Balshaw möchte beweisen, dass Künstlerinnen ebenso viel geleistet haben wie ihre männlichen Kollegen.

Im besten Fall bemerke das Publikum gar nicht, dass es eine Women-only-Show besuche, zitierte der Guardian die Museumschefin. Weibliche Positionen sollten längst ein selbstverständlicher Teil des Kanons sein. Da das alles viel zu langsam vorangeht, tritt Balshaw jetzt aufs Gas.

Auch das New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) schafft Platz für Künstlerinnen. Ab Juni baut das Haus um 400 Millionen Dollar zusätzliche 4600 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Ziel ist eine Imagekorrektur, wird das MoMA doch schon lange als Hort von "white male artists" kritisiert. Mittels weiblicher, afro- und lateinamerikanischer sowie asiatischer Positionen wird die Schausammlung in den neuen Hallen "diversifiziert".

Kuratorische Manie?

Noch nie wurde so viel über Kunst von Frauen geredet, niemals gab es derart viel davon zu sehen. Es scheint schon fast eine kuratorische Manie, vergessene Künstlerinnen zu entstauben. Auch hiesige Institutionen holen sich derzeit als Entdeckerinnen Lorbeeren. So versammelt das Belvedere in Stadt der Frauen erstmals Wiener Künstlerinnen aus dem eigenen Bestand, und das Bank Austria Kunstforum richtet in Flying High die Scheinwerfer auf schmählich vernachlässigte Schöpferinnen von Art Brut.

"Es besteht ein riesiger Nachholbedarf", bestätigt Mumok-Direktorin Karola Kraus. Sie selbst habe seit ihrem Antritt 2010 viele Arbeiten von Künstlerinnen erworben. "Leider hat das Sammlerpaar Ludwig fast nur Männer gekauft", meint Kraus zum Grundstock ihres Hauses. Dieser Mangel wurde auch in der Schau Ludwig Goes Pop 2015 sichtbar, in der unter Warhol & Co gerade mal eine einzige Skulptur der Objektkünstlerin Marisol zu finden war.

Das Fehlen von Popartistinnen befremdete umso mehr, als die Kunsthalle Wien schon fünf Jahre zuvor die tolle Schau "Power Up! Female Pop Art" gezeigt hatte. Deren Kuratorin Angela Stief wollte zunächst gar keine reine "Frauenschau" machen, aber die hohe Qualität überzeugte sie. "Die Recherchen waren wie Goldschürfen", erinnert sich die Kunsthistorikerin. "Ich konnte kaum glauben, dass so großartige Positionen aus den 1960ern unbekannt sind."

Bilder mit Aha-Effekt

Stief hätte nie gedacht, dass es noch einmal zu einem solchen Durchbruch weiblicher Kunst kommen könnte. Als Kuratorin sei bis heute die beste Karrierestrategie, sich "an den Rockzipfel bekannter Künstler" zu hängen. Im (männlichen) Strom mitzuschwimmen hat Stief aber nie interessiert. Lieber kuratierte sie 2018 in Berlin und London Galerieausstellungen der belgischen Pop-Artistin Evelyn Axell. "In der Berliner Schau gab es einen echten Aha-Effekt", schwärmt Mumok-Direktorin Kraus über die knalligen Bilder der 1972 verstorbenen Künstlerin. Mit den Mitteln der Stiftung Ludwig konnte das Mumok ein Gemälde von Axell um 170.000 Euro ankaufen – das sei ein Schnäppchen im Vergleich zu den Preisen männlicher Sixties-Künstler.

Längst zeigt der nimmersatte Kunstmarkt Appetit auf die unterbewerteten Frauennamen. Die Kunstmesse Frieze zeigte 2018 in London einen speziellen Sektor mit Künstlerinnen, und Sotheby’s veranstaltete seine erste Auktion mit Gemälden alter Meisterinnen. "Wollen Sie durch Kunstkauf reich werden?", fragte die New York Times im Herbst. Die Autorin Mary Gabriel empfahl in dem Artikel den Kauf jener abstrakten Expressionistinnen, deren Karrieren sie in ihrer vielgelobten Neuerscheinung "Ninth Street Women" aufgearbeitet hat.

Das Frühwerk Cindy Shermans

Hierzulande besitzt ausgerechnet der Energiekonzern Verbund den größten Bestand an feministischer Kunst. Die Sammlungsleiterin Gabriele Schor begann 2004 für das Unternehmen Foto- und Videoarbeiten zu kaufen. Schors erster Coup war der Ankauf des Frühwerks der berühmten US-Künstlerin Cindy Sherman. In der Folge tigerte sich die Kuratorin in die Kataloge frauenbewegter Ausstellungen seit den 1960er-Jahren und erwarb bisher mehr als 600 Arbeiten.

Das Verbund-Logo prangt auch auf einer seit 2010 tourenden Überblicksschau, die schon in sieben Städten zum Publikumshit wurde. "Ich finde sehr wichtig, was die Tate jetzt tut, das hat Signalwirkung", sagt Schor im Gespräch. 2017 machte ihre eigene Erfolgsausstellung Feminis tische Avantgarde im Mumok Station. Damals betonte sie, dass viele der gezeigten Arbeiten jahrzehntelang eingelagert waren und sie als erste Kunsthistorikerin darum gebeten hätte, diese sichten zu dürfen.

Aber warum hat das Mumok nicht schon früher bei Künstlerinnen wie Renate Bertlmann, die Österreich auf der kommenden Biennale in Venedig vertritt, angeklopft? Um wenig Geld könnten deren Arbeiten heute im Museumsbesitz sein. Mumok-Direktorin Kraus antwortet diplomatisch: "Damals gab es niemanden, der sich dafür interessiert hat." Das sei aber nun "Gott sei Dank" endlich anders. (Nicole Scheyerer, 24.3.2019)