In dieser Ausgabe des Familienrats antworten Katharina Weiner vom Jesper-Juul-Familylab in Österreich und der Buchautor, Psychiater und Psychoanalytiker Hans-Otto Thomashoff sowie Nana Siebert, stellvertretende Chefredakteurin des STANDARD, auf die Frage einer Leserin.

Frage:

"Mein Sohn ist 16 Jahre alt und schafft es einfach nicht, Ordnung zu halten. Ich habe ihn schon so oft gebeten, dass er seinen Rucksack nicht einfach am Gang stehen lässt, seine Socken und Wäsche vom Boden aufsammelt und sein Zimmer wenigstens ab und zu aufräumt. Er sagt dann: "Ja, mach ich!" Aber ich muss ihn immer wieder daran erinnern. Von selbst geht so gut wie gar nichts. Mir kommt es so vor, er glaubt, dass er es nur für mich macht, damit er seine Ruhe hat.

Chaos ist bis zu einem gewissen Grad Interpretationssache. Im Zusammenleben mit Teenagern ist Ordnung immer wieder ein heißes Thema.
Foto: https://www.istockphoto.com/at/portfolio/valzhina

Ich finde, es hat auch mit Höflichkeit zu tun und es müsste ja auch für ihn angenehmer sein, wenn er seine Sachen wieder schneller findet. Oder ist das Chaos für alle Teenager normal und ich muss mich für einige Zeit damit abfinden?"

Antwort von Hans-Otto Thomashoff:

Pubertät. Schon das Wort macht Eltern nervös. Was passiert da in den Gehirnen unserer Jüngsten? Nichts, was wir nicht selbst auch erlebt hätten. Dabei geht es vor allem um Stress. Denn der Umbau im Gehirn, das Suchen und das Ausprobieren neuer Rollen, die neuen Rechte und Pflichten, all das bedeutet Stress. Das Problem dabei? Im Stress ist das Gehirn vorwiegend von Gefühlen gesteuert, und damit ist es für rationale Erklärungen, für den Verstand, oft nicht empfänglich. Ermahnungen oder gar Drohungen fruchten nichts, sie bewirken eher das genaue Gegenteil.

Deshalb liegt es an den Eltern, erwachsen zu sein. Klar, konsequent und ruhig den Boden des Verstandes nicht zu verlassen, auch wenn sie dazu herausgefordert werden. Das bedeutet auch, klar und ehrlich zu sagen, wenn uns etwas nicht passt, selbst wenn das auf taube Ohren stößt oder zu Gefühlsstürmen führt. Dann heißt es Ruhe bewahren, und ja, das kann bedeuten, sich ein Stück weit mit den Gegebenheiten abzufinden, allerdings nicht die eigene Meinung dazu aufzugeben: "Mir passt das nicht, aber ein Drama mache ich nicht daraus."

Wenn dann das eigene gelebte Vorbild brauchbar hinzukommt, stehen die Chancen gut, dass der Verstand unseres Pubertierenden das irgendwann begreift. Schließlich baut sich die Kontrolle durch den Verstand erst Mitte 20 richtig auf. Erst dann ist das Großhirn weit genug entwickelt. In der Pubertät selbst dagegen kommt es, wie Untersuchungen belegen, zu einer vorübergehenden Aktivitätsminderung im Großhirn. Der Verstand wird zurückgefahren, den triebhaften Impulsen zuliebe. Die Hirnforschung bestätigt, was die Alltagsbeobachtung lehrt: Im Rausch der Hormone regen sich zwar erwachsene Interessen, aber zugleich wird noch einmal viel Kindliches an die Oberfläche gespült. (Hans-Otto Thomashoff, 24.3.2019)

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
Foto: Alexandra Diemand

Antwort von Katharina Weiner:

Eine der Herausforderungen ist die Differenzierung zwischen Verantwortung für die eigenen Sachen und jene, die eine Selbstverständlichkeit im Sinne der Gemeinschaft sind. Meist dominiert der pädagogische Hintergedanke, dass dieses oder jenes zu lernen und zu tun sei, damit Kinder sich gut entwickeln und später im Leben zurechtkommen werden. Was dabei völlig außer Acht gelassen wird, ist die Tatsache, dass mit dieser Haltung keine Übergabe von Verantwortung stattfindet, sondern vielmehr die Macht der sich verantwortlich Fühlenden bewahrt wird.

Der Weg aus diesem Dilemma ist jener, sich darüber Gedanken zu machen, was denn ein 16-jähriger Teenager bereits selbst erledigen kann. Im Grunde alles, ob nun Kochen, Wäschewaschen, Aufräumen, Schulweg etc. Wenn sie Hilfe wie z. B. Zimmer aufräumen brauchen, können sie darum bitten.

Für die familiäre Gemeinschaft und das Miteinander bedarf es der Beteiligung aller. Manche Familien entscheiden sich für die Aufteilung bestimmter Aufgaben, andere treffen Vereinbarungen, wie z. B. kein Essen im eigenen Zimmer und Schmutzwäsche im dafür vorgesehenen Bereich. Wenn Sie die Unordnung stört, schließen Sie einfach die Türe, um damit die jugendliche Privatsphäre zu respektieren. Sein Zimmer, seine Verantwortung.

Das Wichtigste während dieser Zeit ist Ihr Vertrauen darin, dass Sie Ihrem Sohn alles vermittelt und vorgelebt haben, was Ihnen wichtig ist. Auch wenn es oft nicht danach aussieht, so ist dies dennoch die Basis für sein eigenes Leben und seine Zukunft. (Katharina Weiner, 24.3.2019)

Katharina Weiner ist Familienberaterin sowie Coachin und arbeitet als Trainerin in der Elternbildung. Die Mutter einer Tochter leitet das Jesper-Juul-Familylab in Österreich.
Foto: Sven Gilmore

Antwort von Nana Siebert:

Mit Beginn der Pubertät müsste man eigentlich ein Warnschild an die Zimmertür des Teenagers hängen: "Vorsicht, Messie!" Andernfalls könnte es beim Betreten zu verstärkter Schnappatmung kommen: testosteronmuffeliges Chaos mit zerknüllter Kleidung am Boden, halbleere Eisteeflaschen auf dem Fenstersims, die Chipstüten zerknüllt im Bett, die Krümelreste darauf, daneben, ach was – überall. Es ist jene wunderbare Lebensphase, in der man als Mutter den inneren "Monk" zügeln und mindestens dreimal am Tag ein tiefes Zen-buddhistisches Om ausstoßen muss.

Denn das Chaos im Jugendzimmer bedeutet vor allem Abgrenzung: Hier beginnt des Teenagers Territorium – und in dem haben wir (sorry!) ab jetzt nichts mehr zu suchen. Das muss man bis zu einem gewissen Grad akzeptieren. Denn es ist keine blitzpsychologische Mutmaßung, sondern die leidliche Erfahrung mehrerer Jahre an der Seite eines Mini-Messies, wenn ich Ihnen verrate, dass alle Versuche, den Teenager im Keppelton zur Ordnung zu mahnen, nicht zur Einsicht, sondern nur zu mehr Widerstand führen.

Also besser die Türe schließen und die Verantwortung an den Zimmerbewohner übertragen, nach dem Motto: "Es ist dein Reich. Wenn dich der Zustand stört, dann weißt du, wo der Staubsauger und die Waschmaschine stehen." Aber geben Sie sich nicht der Illusion hin, dass der Teen diese Verpflichtung sofort nach Ihren Vorstellungen annimmt, im Gegenteil. Sie ahnen gar nicht, wie ausdauernd Pubertiere in stinkige Socken schlüpfen oder über Essensreste hinwegsteigen können. Lassen Sie ihn. Om.

Es wird der Moment kommen, an dem der letzte Socken getragen, der letzte Millimeter des Raumes vollgemüllt ist. Aber bitte sparen Sie sich lautstarkes Triumphgeheul, wenn Ihr Teen das erste Mal die Waschmaschine füllt – das provoziert nur neuen Widerstand. Wechseln Sie lieber in fröhlichen Gönnermodus. Indem Sie zum Beispiel anbieten, dass Sie das Zimmer mitsaugen. Jetzt, wo nichts mehr am Boden liegt. (Nana Siebert, 24.3.2019)

Nana Siebert ist stellvertretende Chefredakteurin beim STANDARD.
Foto: Peter Rigaud/DerSTANDARD