Der Zusammenbruch kam nach der Premiere. Heinrich Breloer präsentierte "Brecht" bei der Berlinale, danach kam der Zusammenbruch. Lungenentzündung, nichts ging mehr. Danach kam die Reha, seit zwei Tagen ist Heinrich Breloer wieder aufrecht. "Ob mein Geist schon wieder halbwegs da ist, das werden wir jetzt gleich merken."

STANDARD: 1978 haben Sie schon einmal über Bertolt Brecht einen Film gemacht, "Bi und Bidi in Augsburg". Wie hat Brecht Sie in den letzten 40 Jahren begleitet?

Breloer: Zunächst hat meine Generation, die 68er, das "kritische Denken" auch bei Brecht gelernt, von seiner Art, Fragen zu stellen, haben wir viel übernommen. Das wirkte stark. 1977 war ich in Augsburg und konnte mit vielen Zeitgenossen sprechen, die Brecht in seiner Jugend erlebt hatten. Vor neun Jahren ging ich nun noch einmal auf die Reise und konnte viele der jungen Mitarbeiter Brechts aus den Jahren 1949 bis 1956 vor die Kamera bekommen. Jetzt sind sie fast alle nicht mehr da, aber sie haben mir noch einmal das wunderbare Lied von ihrem Leben mit Brecht vorgesungen.

Tom Schilling als Bertolt Brecht in jungen Jahren – in Teil 1 von "Brecht".
Foto: WDR/Stefan Falke

STANDARD: Haben Sie denn noch etwas über ihn herausgefunden, das Sie noch nicht wussten?

Breloer: Aber selbstverständlich. Ich zog ja 1977 etwas naiv und voller Bewunderung los. Ich sah nur die Vorderseite, die harte Seite, den Unverwundbaren. Ich konnte Paula Banholzer, seiner ersten Geliebten, damals Brechts Tagebuch vorlegen, worauf sie ihn der Lüge bezichtigt, weil er schreibt, dass er ihr das Schwimmen beigebracht hat. Kann Brecht lügen? Ich musste lernen, dass Brecht sehr gut lügen konnte. Ich sah dann auch den ängstlichen, den scheuen Brecht, der sich im Ledermantel und mit Zigarre als der Unverletzliche inszeniert hat. So konnte ich allmählich auch die dunkle Seite des Mondes ausleuchten. Dass er in der DDR nur geduldet, aber nicht geliebt wurde, erfuhr ich auch erst jetzt. Da habe ich vieles gelernt, das ich jetzt in den Szenen zeigen kann. Das Neue an meinem Film ist auch, dass man zum ersten Mal dabei sein kann, wie Brecht denkt, wie er lebt, wie er im Umgang mit anderen Menschen war.

Heinrich Breloer im Gespräch mit der Schauspielerin Regine Lutz.
Foto: WDR/Stefan Falke

STANDARD: Brechts Leben wurde bisher noch kaum in einem Spielfilm abgebildet.

Breloer: Es gab tatsächlich vor langer Zeit einmal "Abschied. Brechts letzter Sommer" und vor kurzem einen Kinofilm mit dem Titel "Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm". Nur eine Momentaufnahme. Für mich war es wichtig, den ganzen Brecht zu zeigen. So können auch die Brecht-Gymnasiasten den Mann kennenlernen, dessen Namen ihre Schule trägt. Es war schwierig, den Vertrag dazu zu verhandeln – wegen des Copyrights. Wenn Sie eine Szene aus einem Theaterstück Brechts zeigen, sind Sie möglicherweise im Copyright. Wenn Brecht spricht, und in seinen Texten kommt etwas vor, das er erzählt hat, befinden Sie sich möglicherweise im Copyright. Das sollte man vorsorglich vertraglich regeln. Ich bin froh, dass wir es hinbekommen haben, aber es ist eine Menge Arbeit gewesen.

STANDARD: Adele Neuhauser spielt Helene Weigel – wann stand die Besetzung fest?

Breloer: Sehr spät, wir haben lange gesucht, und dann fuhr ich nach Wien und traf Adele Neuhauser. Ich saß in ihrer Küche und hatte ein großes Foto von Helene Weigel bei mir und bat sie, das Foto neben ihr Gesicht zu halten. Ich machte mit meinem Handy ein Foto, und als sie es sah, war sie selber sehr verblüfft. Sie sah in dem Augenblick zum ersten Mal, welche geradezu erschreckende Ähnlichkeit sie mit Helene Weigel hat. Ich kannte Adele Neuhauser davor nur als Bibi Fellner aus dem "Tatort" – Gebrauchsfernsehen. Die eine Person, die uns Wien geschenkt hat, war Helene Weigel. Und nun habe ich von dieser Stadt Wien ein zweites Geschenk bekommen. Adele Neuhauser ist die ideale Schauspielerin, die mit all ihren Schmerzen ein Leid, wie es die Weigel tragen musste, auch in sich trägt. Sie ist das schauspielerische Ereignis im Film, schreibt der "Spiegel". Das hat sicher meine Männer, beide auf ihre Art großartige Brecht-Darsteller, nicht gefreut. Man darf aber wohl sagen: Der Film zeigt mit einem Schlag, was sie kann und was sie sonst noch spielen könnte. Die Kamera liebt die Adele, und sie teilt sich ihr mit, und das wird jeder, der noch um 22 Uhr wach ist, intensiv miterleben können.

Adele Neuhauser als Helene Weigel und Burghart Klaußner als Bertolt Brecht.
Foto: WDR/Stefan Falke

STANDARD: Wie schafft man es als Regisseur, das Beste aus einem Schauspieler herauszuholen?

Breloer: Ein sehr freundlicher, sehr naher Umgang mit der Person, dem Menschen, kein Diktatorgehabe, sondern die Figur erklären, alle Materialien geben, dann miteinander sprechen. Und vor allem am Drehort eine Stimmung schaffen, in der sich die Darsteller öffnen können, in der alle Kreativität hervortreten kann. Wir sind unter Freunden dort. Im Bühnenbild, im magischen Licht der Filmlampen, das einem Schauspieler ermöglicht, als Figur in eine andere Welt einzutreten. Dann der Moment, in dem man sagt: "Bitte." Damit er losfliegen kann, sich fallen lassen, wirklich spielen kann. Wir trödeln nicht herum. Mit dem Kameramann Gernot Roll habe ich die "Auflösung" jeder Szene genau vorbereitet. Wir wissen was wir wollen, können es aber jederzeit ändern, wenn jemand eine gute Idee hat.

STANDARD: "Die Manns" haben Sie als Ihr "bisher ehrgeizigsten Projekt" bezeichnet. Was ist "Brecht" in dieser Deutung?

Breloer: Brecht ist eine Fortsetzung mit einem anderen, völlig gegensätzlichen Autor. Es stand für den Dreh ungefähr die Hälfte an Geld zur Verfügung – acht Millionen Euro –, und es hat sehr viel Mühe gemacht, das auch durchzusetzen. Die Überzeugung, dass Brecht kein Langweiler ist, kein Quotenkiller, sondern einer, der in uns allen irgendwo mit einem Stück Drama haust, und dass es wichtig ist, ihn vom Denkmal herunterzubitten und ihn als Mensch zu zeigen, mit seinen Schwächen und seinen Stärken und seinem Leben, wie es war.

Foto: WDR/Stefan Falke

STANDARD: Was bleibt von Brecht?

Breloer: Was wir mit hinübernehmen können, ist das Fragen, das Infragestellen der Schein-Gewissheiten. Das Recht auf den Zweifel, auf das Denken in Widersprüchen. Letztlich das Beharren auf der Vernunft. Das hat mich angetrieben, das sind ja große, aktuelle Themen. Ich hätte auch drei Teile machen können. Mein Buch "Brecht – Roman seines Lebens" erzählt viel ausführlicher. Hier gibt es auch ein Kapitel über das Exil. Nicht, dass Brecht die Welt mit seinem Theater verändert hätte, aber er hat die Welt des Theaters verändert.

STANDARD: Wollten Sie keinen dritten Teil?

Breloer: Es war finanziell nicht möglich, drei Teile zu bekommen. Es gab eine lange Diskussion. Bei Thomas Mann brachte ich noch drei Spielfilme durch. Wobei ich die heutigen Programmmacher in Schutz nehmen möchte, denn sie haben Sparmaßnahmen durchzusetzen, die ihnen auferlegt werden. Ich habe die Geschichte im Großen und Ganzen so erzählt und durchgebracht, wie ich wollte.

STANDARD: Wie sind Sie zufrieden mit der Ausstrahlung an einem Tag, diesen Freitag auf Arte und am 27. März in der ARD?

Breloer: "Brecht" an einem Abend zu zeigen ist sehr schön, aber ich frage mich schon: Wie ist das, wenn die Zuschauer an einem Mittwochabend gegen 22 Uhr gemeinsam mit den Quoten ins Bett gehen und den spannenden zweiten Teil mit Burghardt Klaußner versäumen? Aber wir leben in einer anderen Zeit. Mein Trost ist, dass der Programmplatz nicht mehr das Schicksal des Films ist. Heutzutage ist es ja möglich, dass sich die klugen Jungs und klugen Mädchen die Programme auf vielerlei Weise nach Hause holen.

STANDARD: Sie wurden oft als deutscher Oliver Stone genannt und gelten als einer, der es sich bei seinen Projekten nicht allzu einfach macht, also gründlich vorgeht.

Breloer: Das ist viel zu groß. Ich mache politische Filme und habe immer das deutsche Narrativ bearbeitet. Der Mythos von der "Mordnacht in Stammheim" war nach der Sendung meines "Todesspiels" nicht aufrechtzuerhalten. Man konnte sozusagen dabei sein in Stammheim und sehen, wie leicht die Selbstmorde für die Untersuchungsgefangenen der RAF möglich waren. Nach den "Manns" gab es ein Drittel mehr Thomas-Mann-Buchverkäufe. Viele neue junge Leser. Albert Speer wurde als Verbrecher sichtbar und war in der öffentlichen Wahrnehmung nicht länger der Gentleman-Nazi. So hoffe ich jetzt, mit "Brecht" ein Bild zu bringen, das ihn erlebbar macht.

STANDARD: Was, wenn Netflix käme und Sie wollte?

Breloer: Netflix saugt gerade den deutschen Markt ab. Ich würde mich nicht wundern, wenn sie anrufen, sie kennen mich ja. Sie wissen, ich bin ein freier Mitarbeiter und gehöre von Haus aus zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Wenn ich dort aber nicht mehr gemocht werde und wenn Netflix sagt, dann mach es doch mit uns, wir produzieren das, da käme ich ins Grübeln. Ich bin jetzt gerade 77 Jahre alt geworden und werde jetzt ein paar Monate Pause machen und nachdenken. Aber ich habe noch Lust auf etwas, es sind ja noch nicht alle Geschichten erzählt. (Doris Priesching, 22.3.2019)