Leipzig, Sachsen, im März 2019. Ein Mann beklebt Stufe für Stufe einer Treppe mit dem Logo der Leipziger Buchmesse in der Glashalle der Leipziger Messe.

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In einem an die Feuilleton-Redaktionen und Rundfunkanstalten gerichteten Brief sah sich der Suhrkamp-Verlag im September 1960 veranlasst, ein paar Anmerkungen zu einem dünnen Roman zu machen, den man gerade aus dem Französischen übersetzt hatte. Dies nicht etwa, weil der Inhalt des Bändchens pikant gewesen wäre oder dessen Autor wie unlängst Uwe Tellkamp mit seinen Gedanken über die Flüchtlingspolitik den "Meinungskorridor" (Tellkamp) verlassen hätte.

Groß, größer, am größten. Die Verlagsbranche ist geprägt von Großkonzernen, die diverse Verlage unter einem Dach vereinen. Die Grafik zeigt einige der "Big Player" des Verlagswesens

Vielmehr machte man sich im Frankfurter Verlagshaus, dessen Geschicke seit einem Jahr in Händen des legendären Siegfried Unseld lagen, Sorgen über den "ganz überraschenden Erfolg" von Raymond Queneaus Roman Zazie in der Metro. Man habe das "Buch gleich nach Erscheinen von Galimard erworben", so Suhrkamp zerknirscht, und zwar "noch nicht als den französischen Bestseller, sondern als ein Buch über die Sprache, ein Experiment mit der Sprache". Und weiter: "Um diesen ernsthaften und kritischen Aspekt des zugleich so heiteren, grotesken Buches geht es uns." Man erlaube sich daher, quasi als Wiedergutmachung, einen Aufsatz des französischen Literaturkritikers Roland Barthes beizulegen, den die "sehr geehrten Herren" vielleicht "kennenlernen wollen".

Zahlen, Zahlen, Zahlen

Dass sich ein Verlag verschämt für einen Bestseller rechtfertigt oder Briefe ausschließlich an geehrte Herren adressiert, ist heute schwer vorstellbar, nicht nur, weil renommierte Verlage wie S. Fischer, Kiepenheuer & Witsch oder Piper mittlerweile von Frauen geleitet werden. Und zugegeben, es ist eine Weile her, dass Verlage wie Suhrkamp von sich behaupten konnten, geistige Zentren oder die Theorieschmieden der Studentenbewegung zu sein. Das ändert indes nichts daran, dass das Verlagswesen nach dem Krieg eine der erfolgreichsten Branchen überhaupt war.

Immer noch werden mit Büchern und Fachzeitschriften allein in Deutschland neun Milliarden Euro umgesetzt, also mehr, als die Musik-, Film- und Computerspieleindustrie zusammen generieren. Ein einfaches Geschäft ist das Büchermachen hingegen nie gewesen, vor allem für Kleinverlage nicht. Schon zu Lebzeiten Siegfried Unselds (1924–2002) kam das festgefügte Koordinatensystem des Büchermachens in Bewegung. Die Verlegerei wurde nach und nach zu einem schnelllebigen Geschäft unter hohem Umsatz- und Marketingdruck. Autoren kamen und gingen, Trends wie das unsägliche "Fräuleinwunder" wurden ausgerufen, um in der nächsten Saison durch neue ersetzt zu werden.

Feuchtgebiete

Gleichzeitig begann der Aufstieg von Verlagskonzernen wie Holtzbrinck (u. a. S. Fischer, Rowohlt, Kiepenheuer & Witsch), Bonnier (u. a. Carlsen, Piper, Ullstein) oder Randomhouse (u. a. C. Bertelsmann, Luchterhand, Heyne) mit gewaltiger Marktmacht. Manche behaupten, dass seit diesen Konzentrationsprozessen im Verlagswesen mehr das Geld als der Geist regiert. Und in der Tat wird in der nervösen Kampfzone des Buchmarkts heute mehr in Bestsellern als in Verlagsprogrammen gedacht. Ein Dan Brown, irgendwelche Feuchtgebiete oder ein Harry Potter können die Jahresbilanz eines Konzerns retten – und die Gesamtbilanz der ganzen Branche schönen. Ab dem Jahr 2000 geriet die Branche durch das Internet, neue und soziale Medien sowie Netflix, Selfpublishing und Content-Plattformen aller Art weiter unter Druck. Es brach die digitale Zeit mit neuen Vertriebskanälen an.

Letzteres mit entsprechenden Herausforderungen für die Verlage, die den Leser über die klassischen Kanäle (Printwerbung etc.) immer schlechter erreichen. Dasselbe gilt für den Buchhandel – Stichwort Onlinehändler. Diese neue Ungemütlichkeit zieht sich schon Jahre hin. Zunächst wurde Entwarnung gegeben, da die Umsätze halbwegs stabil blieben. Seit 2018 die Lesermarktstudie "Buchkäufer – quo vadis" publiziert wurde, die ergab, dass die Zahl der Buchkäufer zwischen 2013 und 2017 um 6,4 Millionen (minus 18 Prozent) schrumpfte, ist allerdings Feuer am Branchendach.

Generation Golf am Steuer

Wobei die Stimmung bei der viertägigen Leipziger Buchmesse, die heute für das Publikum öffnet, kaum schlechter als in den letzten Jahren sein dürfte. Denn Buchmessen können sich ihres Publikums in einem vermehrt eventgetriebenen Literaturbetrieb nach wie vor sicher sein. Wie immer wird man daher auch heuer versuchen, die Probleme auf Verlagsfesten wegzufeiern.

Die Buchreport-Studie "Die 100 größten Verlage" und die Untersuchung "Verlage in Deutschland 2017" fördern indes unerfreuliche Zahlen zutage. Sie beruhen auf Erhebungen aus dem Jahr 2017, da die neuen Zahlen meist erst im Verlauf der Messe verlautbart werden. Sie ergeben, dass 95 Prozent des Gesamtumsatzes mit Büchern (5,16 Milliarden Euro) von nur sieben Prozent der Verlage generiert werden. Allerdings mit unterschiedlichem Erfolg. So brachen die Umsätze von Random House (minus 5,4 Prozent), S. Fischer (minus 11,2 Prozent), Rowohlt (minus 10,8 Prozent), dtv (minus 11,3 Prozent), Hanser (minus 8,3 Prozent) und Piper (minus 3,4 Prozent) im Vergleich zum Vorjahr teils beträchtlich ein.

Krimis und mehr

Suhrkamp, wie Hanser einer der wenigen noch unabhängigen Verlage, und Bastei-Lübbe konnten mit 15,6 Prozent beziehungsweise 19,5 Prozent ihre Umsätze steigern – dank Topsellern wie Elena Ferante (Suhrkamp) und Ken Follett oder Dan Brown (Bastei). Insgesamt steigen die Auflagen von Bestsellern – jedes vierte verkaufte Buch ist ein Krimi –, bei anspruchsvolleren Titeln sinken sie.

Während Randomhouse (insgesamt 46 Verlage) zum ersten Mal seit langem nicht einen Controller, sondern einen Literaturwissenschafter und Literaturkritiker, nämlich den 57-jährigen Thomas Rathnow, zum Vorsitzenden der Geschäftsführung macht, soll es auch bei Piper, Hanser und Rowohlt eine andere, neue Generation von Verlegern richten. Auffallend ist dabei, dass es sich bei Felicitas von Lovenberg (Jahrgang 1974, Piper) und Florian Illies (1971, Rowohlt) ebenfalls um ehemalige Journalisten (beide FAZ) handelt. Wobei Illies auch als Autor (Generation Golf) hervorgetreten ist – so wie der 1968 geborene neue Hanser-Verleger Jo Lendle, der Kulturwissenschaft studierte und einer der ersten Absolventen des Literaturinstituts Leipzig war, bevor er für einige Zeit den Dumont-Verlag leitete.

Alle Genannten gelten als nahe am Puls der Zeit agierende Charismatiker, ausgestattet mit einem Riecher für gesellschaftliche Themen. Auch mit Twitter und Facebook wissen sie umzugehen. Ziel ist es wohl, das verstaubte Image der Verlagsszene aufzumöbeln, Publikumsnähe zu suggerieren und das unbekannte Wesen namens Leser in den Weiten des Netzes anzusprechen. Wie man aus Verlagen hört, versucht man händeringend herauszufinden, über welche Kanäle Leser überhaupt noch über Bücher informiert werden können. Das schönste Buch nützt nichts, wenn man nicht irgendwie das Publikum darauf aufmerksam machen kann.

Was ist mit Österreich?

Und Österreich? Die hiesige Verlagslandschaft ist weniger konzerndominiert und von Kleinverlagen geprägt. Zu reden gab unlängst die Entscheidung Hansers, den Deuticke-Verlag (u. a. Daniel Glattauer), der wie Zsolnay zu Hanser gehört, nach der Pensionierung der Verlagsleiterin Martina Schmidt de facto in Zsolnay aufgehen zu lassen. Ansonsten ist, oder bleibt, die Situation für die österreichischen Verlage wie für den Buchhandel prekär, wobei man hierzulande verlegerisch schon immer am Rand zur Selbstausbeutung agierte, durch die schlanken Verlagsstrukturen aber auch weniger krisenanfällig ist (Krise ist immer) – und sich insgesamt mehr als Kunstvermittler denn als Wirtschaftsunternehmen sieht.

In diesem Zusammenhang verweist auch Gerhard Ruiss von der IG Autorinnen und Autoren auf die kaum zu überschätzende Bedeutung der 1992 eingeführten Verlagsförderung, den neu etablierten Österreichischen Buchpreis, der die heimische Literaturproduktion in den Mittelpunkt rückt, sowie die Buch Wien als Kommunikationsplattform.

Verstörungen

Es war dann mit Thomas Bernhard ein Österreicher, der den erwähnten Suhrkamp-Verleger Unseld in den 1960er-Jahren an den Rand eines Nervenzusammenbruchs brachte. Überall im Verlag witterte der Autor Infamie und Inkompetenz. Als von seinem Roman Verstörung nur 1.800 Exemplare verkauft wurden, und das in drei Jahren, schrieb er an Unseld: "Selbst wenn ich alleine mit meinem Rucksack durchs Land ginge, verkaufte ich in vier Wochen mehr." Unseld kalmierte, verglich Bernhard mit Kafka und postulierte: "Wir müssen uns nach den Realitäten richten." Damals ein Versprechen, heute klingt es eher wie eine Drohung. Auch wenn Queneaus Zazie im Mai in neuer Übersetzung bei Suhrkamp erscheint. (Stefan Gmünder, 21.3.2019)