Der Tod der Fernsehjournalistin Elizabeth Toni Spira hat in der österreichischen Öffentlichkeit ein großes Echo gefunden. Das war neben ihren journalistischen Verdiensten auch der Tatsache geschuldet, dass Spira eines der letzten Exemplare des urwienerischen assimilierten jüdischen Bildungsbürgertums war, einer Spezies, die heute nur noch in Spurenelementen vorhanden ist.

Toni hatte am 24. Dezember Geburtstag. Dieser Anlass wurde Jahr für Jahr mit einem großen sogenannten "Weihnukka"-Brunch im Hause Spira gefeiert, einer Mischung aus Weihnachten und Chanukka. Mit beiden Festen, dem christlichen wie dem jüdischen, hatte das Geburtstagskind nicht viel im Sinn, aber es war eben doch ein Wiener Fest. Und das musste gebührend begangen werden.

Die meisten Wiener Juden, die die Nazizeit überlebt hatten, waren seinerzeit nicht aus der Emigration zurückgekehrt, nicht zuletzt deshalb, weil sie niemand dazu ermutigt hatte. Das offizielle Österreich war ganz froh, sie los zu sein. Wer zurückkam, waren die jüdischen Kommunisten, unter ihnen Tonis Vater Leopold ("Poldi") Spira. Ihr Parteiauftrag lautete: in die Heimat zurückkehren und dort den Sozialismus aufbauen. Leopold Spira verließ nach 1968 die KPÖ, seine Tochter Toni hatte mit dieser nie etwas zu tun haben wollen. Aber sie war im jüdisch-kommunistischen Milieu aufgewachsen und betrachtete sich zeitlebens als kritische, dezidiert linke, politische Journalistin. Damit eckte sie an, eine ihrer "Alltagsgeschichten" wurde nicht gesendet, weil darin alte Stammtisch-Nazis vorkamen. Die Gestalterin landete eher nolens volens bei den scheinbar harmlosen "Liebesg'schichten und Heiratssachen", die zu einem großen Publikumserfolg wurden.

Ruhm des Vorkriegs-Wien

In den letzten Jahren haben die Österreicher den jüdischen Beitrag zu ihrer Kultur erkannt und feiern und vermarkten ihn ausgiebig. Die Ringstraße, die Wiener Moderne, das Rote Wien – alles nicht denkbar ohne die maßgeblich beteiligten jüdischen Protagonisten. Aber es waren eben nicht nur die Schnitzlers und Werfels, die Freuds und Mahlers, die Adlers und Bauers, die den Ruhm des Vorkriegs-Wien begründeten. Mindestens ebenso wichtig waren die vielen kleinen Journalisten, die Buchhändler und Kinobesitzer, die Zeitungsleser und Kunstkäufer, die Salondamen und Kaffeehausliteraten, die Gewerk-schafter und Volkshochschulreferenten. Sie schufen die Atmosphäre, die Stefan Zweig in seiner "Welt von Gestern" als unvergleichlich und weltbürgerlich schilderte.

Ist davon noch etwas übrig? Doch, ein wenig schon. Und das nicht zuletzt deshalb, weil die von manchen vielgeschmähte Assimilation der Juden bis zur Machtübernahme der Nazis trotz eines tiefsitzenden Antisemitismus in der Mehrheitsgesellschaft jahrzehntelang funktionierte. Auf dem Döblinger Friedhof gibt es viele Familiengräber mit einer hebräischen Inschrift (für den Großvater) und einer deutschen (für den Enkel). Toni Spira, konfessionslos, trat nach der Waldheim-Äffäre in die Israelitische Kultusgemeinde ein. Wenn hierzulande auf einmal wieder die Juden gezählt werden, meinte sie, will ich mitgezählt werden. Ein Weihnukka-Brunch, diese typische "Wiener Mischung", wird es heuer freilich nicht mehr geben. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 20.3.2019)