John Bercow will eine dritte Abstimmung im Parlament nur mit Änderungen an der Beschlussvorlage zulassen.

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Im Ringen um den EU-Ausstieg Großbritanniens erwartet Brexit-Minister Steve Barclay diese Woche kein Votum mehr im Londoner Parlament. Grund sei die Entscheidung von Parlamentspräsident John Bercow, nur einen substanziell veränderten Entwurf des Trennungsvertrags zur Abstimmung zuzulassen, sagte Barclay am Dienstag dem britischen Sender Sky. "Das wäre nicht legitim", hatte der Parlamentspräsident erklärt.

Der Schritt Bercows war ein schwerer Schlag für Theresa May. Übers Wochenende sowie den Montag über hatte die Regierung Spekulationen darüber ins Kraut schießen lassen, sie wolle am Dienstag oder Mittwoch erneut über den mit der EU ausgehandelten Vertrag samt politischer Zukunftserklärung abstimmen lassen. Eine Zustimmung der Abgeordneten hätte es May ermöglicht, beim EU-Gipfel am Donnerstag um eine Verlängerung der Austrittsphase um zwei Monate zu bitten. Stattdessen werde nach der Intervention des Speakers nun eine längere Verzögerung des Brexits wahrscheinlich, teilte der juristische Chefberater der Regierung, Robert Buckland, mit: "Wir befinden uns in einer erheblichen Verfassungskrise."

Zwei mal abgelehnt

Vergangene Woche hatte das Unterhaus das seit November diskutierte Austrittspaket zum zweiten Mal mit klarer Mehrheit abgelehnt. Da die Regierung den Vertrag selbst sowie die politische Zukunftserklärung durch weitere Abmachungen mit der EU ergänzt hatte, sei diese Abstimmung legitim gewesen, erläuterte Bercow. Diese war von mehreren Abgeordneten der Opposition verlangt worden, die sich über das Regierungsvorgehen geärgert hatten. Der Speaker, gestützt auf die Parlamentsjuristen, bezog sich auf einen Präzedenzfall von 1604 sowie weitere Vorgaben seiner Vorgänger, zuletzt von 1920.

Um den für 29. März um Mitternacht geplanten EU-Austritt doch noch auf geordnete Weise zu vollziehen, führten mehrere Kabinettsmitglieder, darunter Finanzminister Philip Hammond, übers Wochenende Gespräche mit der nordirischen Unionistenpartei DUP. Nur wenn deren zehn Abgeordnete Mays Austrittspaket ihre Zustimmung in Aussicht stellen, was wiederum mehrere Dutzend konservative Hinterbänkler zur Änderung ihrer Meinung bewegen würde, wollte die Regierungschefin das Unterhaus zum dritten Mal zur Abstimmung bitten.

Einige Brexit-Hardliner bei den Tories sollen May dabei einen Zeitplan für ihren Rücktritt als Bedingung für die Zustimmung zu ihrem Brexit-Plan nahegelegt haben. May habe das von ihrem Chief Whip Julian Smith erfahren, berichtete die "Financial Times" am Montag. Dieser ist für die Mehrheitsbeschaffung bei den Konservativen zuständig. Einige Abgeordnete wollten sichergehen, dass May nicht eine zweite Runde von Verhandlungen mit der EU leitet, hieß es.

"Nuklearoption": Ende der Parlamentssession

Eine dritte Abstimmung könnte nun aber unmöglich geworden sein – es sei denn, die Regierung entschließt sich zu einem Schritt, den Interpreten der ungeschriebenen britischen Verfassung am Montag als "Nuklearoption" bezeichneten: die Beendigung der laufenden Parlamentssession und die sofortige Wiedereinberufung noch in dieser Woche. Dazu bedarf es einer neuen Regierungserklärung, der sogenannten Queen's Speech, die vom Staatsoberhaupt verlesen wird. Diese Option schloss Brexit-Minister Barclay am Dienstag jedoch aus.

Selbst wenn ein drittes Votum gelingt, liegt eine hohe Hürde vor May. Alle bisherigen Befürworter müssten bei der Stange bleiben und mindestens 75 Abgeordnete ihre Meinung ändern. Dafür sprach am Montag wenig. Mays innerparteilicher Rivale Boris Johnson rief in seiner hochbezahlten "Telegraph"-Kolumne zur Ablehnung auf. Statt über die Verlängerung solle die Premierministerin in Brüssel lieber erneut über die Auffanglösung für Nordirland verhandeln. Dieser sogenannte Backstop soll die innerirische Grenze offenhalten und dadurch der früheren Bürgerkriegsregion den Frieden bewahren.

Der frühere Außenminister Johnson gehört zu jenen Tories, die wie die Außenminister Hunt und Innenminister Sajid Javid sowie die früheren Brexit-Minister David Davis und Dominic Raab seit Wochen ungeniert ihre Ambitionen auf die May-Nachfolge zur Schau stellen.

Mehrere Kehrtwenden

Hingegen vollzog die nicht minder ehrgeizige frühere Sozialministerin Esther McVey am Wochenende eine sehr öffentliche Kehrtwende: Da sich durch die Möglichkeit eines langen Brexit-Aufschubs die Bedingungen verändert hätten, werde sie dem Austrittspaket im dritten Anlauf zustimmen, teilte McVey mit. Für May wünscht sie sich "einen würdigen Abschied".

Ganz so weit ist es noch nicht. Übers Wochenende erhielt May auch positive Signale. Sowohl der frühere Finanzminister Norman Lamont wie auch der nordirische Friedensnobelpreisträger David Trimble, beide Mitglieder des Oberhauses, rieten den Unterhaus-Abgeordneten zur Zustimmung. Beide sind teils langjährige EU-Gegner und standen bisher dem Austrittspaket skeptisch gegenüber. Die Regierung habe "erhebliche Zugeständnisse" erzielt, beteuerte der Jurist Trimble, der als Chef der Unionistenpartei UUP die erste parteiübergreifende Provinzregierung in Belfast angeführt hatte. Sollten Tory-Abgeordnete jetzt indirekt zum Brexit-Scheitern beitragen, "wird die zukünftige Geschichtsschreibung dafür kein Verständnis haben". (Sebastian Borger aus London, 18.3.2019)