Justizminister Josef Moser (ÖVP) präzisiert im STANDARD-Interview das Regierungsvorhaben einer präventiven Sicherungshaft. Er spricht von einer "adaptierten Schubhaft" und möchte dafür die Verfassungsbestimmung zum Schutz der persönlichen Freiheit ändern. Dort wird in Ziffer 7 bestimmt, dass Personen inhaftiert werden können, um eine "beabsichtigte Ausweisung oder Auslieferung zu sichern". Moser will das Wort "beabsichtigt" streichen, damit auch jene in Schubhaft genommen werden können, die man aktuell nicht abschieben kann. Des Weiteren möchte er den Rechtsschutz in die Verfassung schreiben.

Darüber hinaus hat sich die Regierung nun auf die Maximaldauer der Sicherungshaft festgelegt: Grundsätzlich beträgt sie sechs Monate, sie könne aber auf bis zu 18 Monate ausgedehnt werden, wenn "das Auslieferungsverfahren weiter betrieben wird und die Gefahr nach wie vor tatsächlich, gegenwärtig und hinreichend ist", erläutert Moser. Die Opposition steht für eine Verfassungsänderung allerdings weiterhin nicht zur Verfügung.

STANDARD: Haben Sie sich schon einmal darüber Gedanken gemacht, was es mit einem macht, wenn man eingesperrt ist?

Moser: Das nicht, aber ich kenne als Justizminister natürlich die Situation in Gefängnissen, die ich laufend besuche. Die Freiheit zu verlieren ist das Schlimmste, was einem passieren kann. Das muss man immer bedenken.

STANDARD: Einerseits setzen Sie auf "beraten statt strafen", andererseits auf längere Haft für Sexualstraftäter. Wann ist Wegsperren sinnvoll?

Moser: Neben dem Schutz der Bevölkerung erfüllt die Haft einen doppelten Zweck: die Wirkung auf den Einzelnen, damit er die Tat nicht wieder begeht, und die Wirkung auf die Gemeinschaft, damit man alle möglichst von einer Tat abhält. Um beides zu gewährleisten, ist Haft notwendig.

Josef Moser will sich zwar nicht in die Situation versetzen, eingesperrt zu sein, Freiheitsentzug halte er dennoch für das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann.
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STANDARD: Der unumstrittenste Zweck der Haft ist es, die Allgemeinheit vor gemeingefährlichen Menschen zu schützen. Kann man für alle anderen nicht Modelle abseits der Haft andenken?

Moser: Das tun wir etwa mit einer Ausweitung der Anwendungsdauer der Fußfessel.

STANDARD: Der Utopie einer gefängnislosen Gesellschaft des früheren Justizministers Christian Broda (SPÖ) können Sie nichts abgewinnen?

Moser: Wir haben derzeit leider das Thema, dass die Gewaltbereitschaft zunimmt. Wir haben immer mehr geistig abnorme Rechtsbrecher. Will man Sicherheit schaffen, muss man also das Strafrecht nützen und auf Täterarbeit in den und außerhalb der Gefängnisse setzen. Wichtig ist bei Menschen in Haft selbstverständlich, dass sie danach in die Gesellschaft reintegriert werden können und dann ein Leben führen, das nicht mehr zulasten anderer geht.

STANDARD: Derzeit wird jeder zweite Gefangene in Österreich nach einer unbedingten Haftstrafe wieder straffällig.

Moser: Die generelle Rückfallrate aller Verurteilten liegt bei 33,5 Prozent. Wenn jemand eine Fußfessel bekommt, liegt die Rückfallquote bei elf Prozent. Maßnahmen wie Nachbetreuung und Bewährungshilfe sind sehr wirksam.

Der Justizminister will auf künstliche Intelligenz im Strafvollzug setzen.
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STANDARD: Gefängnisse sind ein Hort der Gewalt. Schätzungen zufolge ist jeder zweite Häftling in Österreich in der Justizanstalt mit körperlicher Gewalt konfrontiert. Justizwachebeamte beklagen Übergriffe. Was tun Sie dagegen?

Moser: Wir arbeiten kontinuierlich an Deradikalisierung und daran, dass Straftäter auch im Gefängnis von Gewalttaten abgehalten werden. Angriffe auf Justizwachebeamte haben im Jahr 2018 abgenommen. Ich kann unserer Justizwache also ein optimales Zeugnis ausstellen, unsere Maßnahmen greifen. Das ist aber keine Entwarnung, die Sicherheit der Beamten hat höchste Priorität.

STANDARD: Worauf arbeiten Sie langfristig hin? Wie stellen Sie sich den Strafvollzug der Zukunft vor?

Moser: Wir haben da mannigfaltige Aufgaben vor uns. Es sitzen Straftäter aus 102 Nationen in Österreichs Gefängnissen. Das bedeutet eine unglaubliche Vielfalt an Sprachen. Gleichzeitig ist das Ausbildungsniveau der Straftäter absolut unterschiedlich. Wir müssen hier einerseits Mitarbeiter optimal ausbilden und ausstatten und andererseits die Digitalisierung nutzen.

STANDARD: Wie könnten Hightech-Gefängnisse aussehen?

Moser: Ich will künstliche Intelligenz auch im Strafvollzug einsetzen, das bereiten wir gerade vor. Es soll Übersetzungssoftware zum Einsatz kommen, die zwischen Häftlingen und Wachebeamten dolmetscht. Ärzte sollen auch online konsultiert werden. Der Überblick über Medikamente ist via E-Medikation gegeben. Wir sind auch dabei, die Digitalisierung zu nutzen, um die Sicherheit in Haftanstalten zu erhöhen – etwa durch Drohnenabwehr, damit auf diese Weise keine gefährlichen Gegenstände in die Haftanstalten gebracht werden. Auch bei bürokratischen Aufgaben soll Technik entlasten.

STANDARD: Und wann soll das alles Realität werden?

Moser: Hier werden wir in diesem und im kommenden Jahr Meilensteine setzen.

Moser spricht lieber von einer "adaptierten Schubhaft" als einer Sicherungshaft.
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STANDARD: Derzeit wird eine neue Form der Haft, eine präventive Sicherungshaft, geprüft. Halten Sie das für eine richtige Maßnahme in einem modernen Rechtsstaat?

Moser: Es handelt sich hier um eine adaptierte Schubhaft, die nicht in den Gefängnissen abgesessen wird, sondern in polizeilichen Anhaltezentren. Das spielt sich also im Bereich des Innenministeriums ab.

STANDARD: Trotzdem sind auch Sie mit der Sache befasst, weil die Verfassung betroffen ist.

Moser: Jede freiheitsentziehende Regelung muss auf jeden Fall menschenrechtskonform sein. Da gibt es keine Abstriche. Wir nehmen nun aber Bezug auf eine EU-Richtlinie, die uns mehr Möglichkeiten einräumt. In Österreich kann aktuell nur dann jemand in Schubhaft genommen werden, wenn er bald abgeschoben werden kann und Fluchtgefahr besteht. Diese beiden Bedingungen sollen gelockert werden.

STANDARD: Können Sie ein Beispiel nennen?

Moser: Nehmen wir einen Gefährder aus Syrien, der kein Asyl bekommt, den man aber nicht abschieben kann, weil er in seiner Heimat mit Folter oder unmenschlicher Behandlung rechnen muss. Der kann derzeit nicht in Schubhaft genommen werden und bleibt eine Gefahr für die Öffentlichkeit. Wenn außer Streit steht, dass eine Tatausführungsgefahr von ihm ausgeht, soll es künftig die Möglichkeit der Sicherungshaft geben. Es würde dann reichen, dass er sich in einem schwebenden Abschiebungsverfahren befindet.

STANDARD: Die Sicherungshaft ist für sechs Monate angedacht. Nach dieser Zeit wird man aber auch weiterhin in viele Länder nicht abschieben können?

Moser: Es gibt da eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu einem Fall aus Belgien. Hier wurde die Ausdehnung der Sicherungshaft auf bis zu 13 Monate als zulässig erkannt. In Österreich wollen wir es so handhaben: Wenn das Auslieferungsverfahren weiter betrieben wird und die Gefahr nach wie vor tatsächlich, gegenwärtig und hinreichend ist, soll die Sicherungshaft auf bis zu 18 Monate ausgedehnt werden können. In vielen Ländern stabilisieren sich die Verhältnisse in dieser Zeit.

Die klare Zuteilung von Kompetenzen ist eines der Lieblingsthemen des früheren Rechnungshofpräsidenten.
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STANDARD: Vom Koalitionspartner wird Ihnen regelmäßig vorgeworfen, dass Sie zu wenig täten. Bereuen Sie es, ein solches Großressort übernommen zu haben?

Moser: Im Gegenteil. Wir haben im vergangenen Jahr schon so viel erreicht – auch im Bereich der Kompetenz- und Rechtsbereinigung. Wir haben das Vergaberecht und den Datenschutz reformiert. Vieles, was über Jahrzehnte nicht ging, haben wir jetzt geschafft.

STANDARD: Die großen Reformen sind aber ausgeblieben. Sie haben es geschafft, dass sich die Länder künftig allein um Schädlingsbekämpfung kümmern, für die Mindestsicherung sind weiterhin mehrere Ebenen zuständig.

Moser: Krankenanstalten, Elektrizitäts- und Armenwesen, unter das die Mindestsicherung fällt, müssen wir in der Verfassung noch klar zuordnen. Das wird im ersten Halbjahr 2019 geschehen.

STANDARD: "In Österreich steht das Machtdenken, das Strukturdenken im Vordergrund und nicht, wie man staatliche Aufgaben im Sinne der Bürger optimal erfüllt." Stimmen Sie diesem Satz zu?

Moser: Dieser Satz stammt von mir! Und dazu stehe ich nach wie vor. Denn viele Jahrzehnte hat bei allen Reformverhandlungen gegolten: Wer bekommt was? Wir sind mit den Ländern jetzt einen anderen Weg gegangen und stellen die Frage: Wer macht es besser? So konnten wir 70 Prozent der Materien klar zuordnen. Wir wollen einen klaren Föderalismus. Sonst verlieren wir viel Geld und können nicht zeitgemäß arbeiten.

STANDARD: Könnten Sie sich eigentlich vorstellen, als gemeinsamer Kandidat für ÖVP und FPÖ als Bundespräsident zu kandidieren?

Moser: Dafür bin ich zu alt (lacht). Das kann ich ausschließen.

STANDARD: In Ihrem ersten STANDARD-Interview als Rechnungshofpräsident 2004 haben Sie gesagt, dass Sie nie Alkohol trinken. Schafft man das auch in der trinkfreudigen österreichischen Politik?

Moser: Ja! Ab und zu bei Magenweh nehme ich einen kleinen Limoncello. Das sind im Jahr circa vier. Ansonsten trinke ich am liebsten Himbeersoda. Die Leute haben sich daran gewöhnt. (Katharina Mittelstaedt, 14.3.2019)