Der Protest der Schülerinnen und Schüler gegen eine unzureichende Klima- und Energiepolitik weist eindeutig auf die vielen noch unbeantworteten Fragen der Klima- und Energiewende hin. Wir als Gesellschaft müssen die Frage beantworten, wie wir einen sozial ausgewogenen Wandel hin zu einer nachhaltigen Wirtschafts- und Lebensweise organisieren möchten, um die Klimaziele zu erreichen und soziale Spannungen und Ungleichheit nicht noch weiter befeuern.

Angestoßen von der jungen Aktivistin Greta Thunberg organisierten sich im Laufe der vergangenen Wochen weltweit unter dem Namen Fridays for Future Schülerinnen und Schüler, um ihrem Protest durch freitägliche Schulstreiks Ausdruck zu verleihen. Sie möchten damit auch erreichen, dass ihrer Unzufriedenheit gegenüber der – aus ihrer Sicht – unzureichenden Klima- und Energiepolitik und ihrer großen Skepsis hinsichtlich der Frage, ob der politische Wille ausreicht, zur Lösung der Klimakrise mehr Platz in der öffentlichen Diskussion eingeräumt wird.

Greta Thunberg bei einer Demonstration in Hamburg.
Foto: APA/AFP/AXEL HEIMKEN

Studieren vor protestieren

Anstatt jedoch über die berechtigten Anliegen der Schülerinnen und Schüler zu diskutieren, wird darüber debattiert, ob sie überhaupt an einem Schultag der Schule fernbleiben dürfen. Vor dem Protestieren kommt das Studieren, dröhnt es da aus Kommentarspalten und Foren: Der Protest müsste an Wochenenden oder gar in den Schulferien stattfinden.

Jedoch lenken diese Fragen von den zentralen Anliegen ab. Es gilt nämlich rasch – innerhalb der nächsten elf Jahre – die große Frage zu beantworten, wie wir einen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Wandel organisieren, der dazu in der Lage ist, die Klimaziele zu erreichen und die massive Ausbeutung der Natur hintanzuhalten.

Plan- und Ratlosigkeit

Gerade hier zeigt sich jedoch große Plan- und Ratlosigkeit. Während die nationale und internationale Politik weiterhin auf ein bisschen "Grün" setzt und darauf vertraut, dass die technologischen Entwicklungen rasch genug dazu führen werden, die Klimakrise zu lösen, wird die Zeit immer knapper, um rechtzeitig die großen Fragen der Transformation zu beantworten:

Wie geht man mit den notwendigen Abschreibungen milliardenschwerer Anlagegüter in der fossilen Industrie um? Wie organisiert man einen Ausstieg aus Technologien und ganzen Industriezweigen? Was passiert mit den Beschäftigten in diesen Branchen, und welche Perspektive kann ihnen geboten werden? Wer trägt die notwendigen Investitionskosten, und wie wirken Maßnahmen verteilungspolitisch? Im Grunde müsste dies alles in den nächsten elf Jahren zumindest angegangen und die großen Stellschrauben gedreht worden sein. Freilich auch unter Einbeziehung der negativen verteilungspolitischen Auswirkungen, um den Rückhalt von Klima- und Energiepolitik innerhalb der Bevölkerung nicht zu gefährden.

"Gelbe Westen" und die Klimapolitik

Bei ehrlicher Betrachtung der Lage muss man aber leider feststellen: Beantwortet sind all diese Fragen kaum. Man beschäftigt sich lieber mit Fragen der Vereinheitlichung der Fortschrittsmessung und Zieldefinition, setzt blindlings auf die Hoffnung, die technologische Entwicklung möge den Tag schlussendlich retten, und vertraut darauf, dass tiefgreifende Veränderungen vermieden werden können.

Es zeigt sich aber bereits jetzt, dass eine Klima- und Energiepolitik nur dann tragfähig sein kann, wenn nicht ausschließlich auf Technologie und eine verengte ökonomische Betrachtung abgestellt wird. Zu welcher politischen Situation es führt, wenn die sozialen Fragen der Klima- und Energiepolitik ausgeblendet werden, sieht man am Beispiel der Gelbwesten-Proteste in Frankreich.

Klima- und energiepolitische Maßnahmen erfahren nur breite Akzeptanz in der Bevölkerung, wenn die sozialen und verteilungspolitischen Aspekte mitberücksichtigt werden.
Foto: APA/AFP/DAMIEN MEYER

Die Initialzündung für diese Proteste war die Ankündigung, die Steuern auf fossile Treibstoffe in Frankreich aufgrund ökologischer Ziele zu erhöhen. Die geplanten Preiserhöhungen bei Benzin und Diesel bildeten aber nur einen kleinen Teil des Unmuts, der sich in den Demonstrationen entlud.

Das Fundament der Gelbwesten-Proteste ist die wachsende soziale und ökonomische Ungleichheit innerhalb der Gesellschaft, die zusätzlich durch eindimensional geplante klimapolitische Maßnahmen weiterbefeuert wird. Damit tritt auch markant zutage, dass klima- und energiepolitische Maßnahmen nur dann breite Akzeptanz in der Bevölkerung erfahren, wenn die sozialen und verteilungspolitischen Aspekte mitberücksichtigt werden. Geschieht dies nicht, droht die Gefahr, dass Widerstände in der Bevölkerung verstärkt werden und zu guter Letzt auch die Klimapolitik daran scheitert. Die Konsequenz: enorme soziale und ökonomische Verwerfungen und ein politisches System, das ins Wanken gerät.

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Warum lernen, wenn wir keine Zukunft haben, fragen Jugendliche in Brüssel.
Foto: ap/Geert Vanden Wijngaert

Was zu tun ist

Um weg von der Dystopie und hin zu einer Utopie zu kommen, bedarf es daher einer Klima- und Energiepolitik, die die ökologische, soziale und ökonomische Dimension miteinander verknüpft. Das haben auch die Schülerinnen und Schüler von Fridays for Future längst erkannt. Während einige Konzepte wie sozial-ökologische Steuerreformen mit Rücksicht auf verteilungspolitische Auswirkungen bereits lange in den Schubladen auf ihre Stunde warten, zeigen sich auf europäischer und internationaler Ebene erste zarte Pflänzchen in Form der Idee einer "Just Transition". Aber auch Konzepte zu einem auf nationalen oder europäischen "Green New Deal" gewinnen wieder an Bedeutung. Konzepte, die Beschäftigung, Industriepolitik, Nachhaltigkeit, Verteilung und soziale Teilhabe zusammendenken und nicht in Einzellösungen verharren.

Ziel muss es sein, aktiv die Neuorganisation unserer Gesellschaft zu gestalten, darauf zu achten, dass negative soziale Auswirkungen abgefedert und den Beschäftigten in fossilen Branchen neue Perspektiven geboten werden. Mit voranschreitender Zeit und dem immer kleiner werdenden Zeitfenster müssen gerade diese Fragen nach einem sozial ausgewogenen und gerechten Wandel viel breiter und intensiver diskutiert werden und nicht die Frage, ob es Schülerinnen und Schülern erlaubt sein darf, an einem Schultag zu protestieren. (Michael Soder, 14.3.2019)