Auch die leicht veränderte Neuordnung der Mindestsicherung stößt bei Opposition wie Hilfsorganisationen auf Ablehnung.

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Wien – Höchst unzufrieden mit dem Regierungsentwurf zur Mindestsicherung waren am Mittwoch die Oppositionsparteien – allerdings mit unterschiedlichen Kritikpunkten. SPÖ, Jetzt und Grüne kritisierten die Kürzungen für Kinder. Den Neos missfällt vor allem, dass ohne Einbindung der Länder "der Fleckerlteppich einzementiert" werde.

"Die Regierung produziert und fördert hier sehenden Auges Kinderarmut", verwies SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner darauf, dass ab dem dritten Kind künftig nur mehr 1,50 Euro pro Tag vorgesehen seien. Einmal mehr hätten ÖVP und FPÖ mit diesem "Kürzungspaket ihre Rücksichtslosigkeit und soziale Kälte gezeigt". Das Vorgehen bei diesem Entwurf ist für Rendi-Wagner "Ausdruck höchster politischer Unkultur": Habe die Regierung doch die vielen negativen Stellungnahmen – 137 von insgesamt 140 – ignoriert, den angekündigten Dialog mit den Ländern "verweigert" und den Entwurf einfach "durchgepeitscht".

Unzufriedene Rote auf einer Linie

In der Sache erhielt die rote Frontfrau parteiintern diesmal durchgehend Unterstützung – auch aus Wien und dem Burgenland. Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig erklärte vor Beginn einer außerordentlichen Landeshauptleutekonferenz im Rathaus: "Was uns in Wien sauer aufstößt, ist, wie mit den Bundesländern umgegangen wird." Er schlussfolgert aus der Tatsache, dass die Neuregelung bereits vor einem für den 8. April vereinbarten Treffen zwischen Landeshauptleuten und Sozialministerin im Ministerrat beschlossen wurde: "Die Meinung der Bundesländer ist offensichtlich für die Bundesregierung nicht relevant." Ob Wien rechtlich gegen die neue Mindestsicherung vorgehen wird, ließ Ludwig offen: "Das wird auf den Entwurf ankommen", er kenne diesen noch nicht im Detail.

Die grüne Sozialsprecherin und künftige Vizebürgermeisterin Birgit Hebein war sich hingegen schon sicher: "Mit uns wird es kein Armutsförderungsgesetz geben. Wien wird gegebenenfalls alle Möglichkeiten ausschöpfen, dieses Gesetz zu verhindern."

Auch bei der SPÖ herrscht durchwegs Unzufriedenheit. Der burgenländische Landeschef Hans Peter Doskozil findet es "nicht okay", dass Änderungen beschlossen werden, bevor miteinander geredet wird. Er will "große formale Defizite" im Entwurf erkennen.

Schwarze Landeschefs fühlen sich ausreichend eingebunden

Die schwarzen Landeshauptleute hielten dem Vorwurf der Gesprächsverweigerung durch die Bank entgegen, dass von einem Drüberfahren der Regierung keine Rede sein könne. Der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer formulierte es so: "Umgesprungen wird überhaupt nicht mit uns. Wir haben ein gutes Einvernehmen." Auch die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner fühlt sich ausreichend eingebunden: "Wir diskutieren zum Thema Mindestsicherung schon seit Monaten und Jahren", sagt sie. Es habe sehr wohl die Möglichkeit gegeben, Stellungnahmen abzugeben. Durchaus zufrieden mit der Regierungsvorlage zeigten sich auch Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner und Tirols Landeshauptmann Günther Platter.

Geballte Oppositionskritik

Geballte Kritik kam dafür auch von den übrigen Oppositionsparteien. "Die einstige Familienpartei ÖVP und die Blauen treiben mit diesem bundesweiten Mindestsicherungsgesetz Familien und Kinder in die Armut", kritisierte Grünen-Chef Werner Kogler die "Sozialeinschnitte am Rücken der Kinder". Von jenem Betrag, der ab dem dritten Kind pro Tag zur Verfügung stehe, könne "kein Kind würdevoll leben".

Für Jetzt-Chefin Maria Stern ist es "unverschämt, ignorant und kurzsichtig", dass die Regierung nichts gegen die Kinderarmut unternehme. Die Regierung sei bei der Sozialhilfe der Logik "Wer schwach ist, muss schwach bleiben" gefolgt, kritisierte Jetzt-Sozialsprecherin Daniela Holzinger.

Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker stieß sich daran, dass das Gesetz, "für das es neun Landesgesetze braucht und das am Ende von den Ländern vollzogen werden muss", ganz ohne deren Einbeziehung erstellt worden sei. "Das kann so nicht funktionieren. Die Sozialministerin scheint bei diesem Vorgehen vollkommen überfordert zu sein", richtete er Beate Hartinger-Klein (FPÖ) aus. Inhaltlich stört ihn, dass es keine bundesweit einheitliche Lösung gibt: "Die Postleitzahl wird weiter über die Höhe der Leistungen entscheiden."

Hilfsorganisationen kritisieren Armutsverschärfung

Die letzten Modifizierungen beim neuen Mindestsicherungsmodell haben auch an der Kritik der Hilfsorganisationen wenig geändert. Sie lehnen das Sozialhilfevorhaben der Regierung entschieden ab. Österreich verabschiede sich damit vom Ziel der Armutsbekämpfung, stellte Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger fest. Und: Kinder seien der Regierung offenbar egal. Die soziale Unsicherheit werde erhöht und die Schere zwischen Arm und Reich vergrößert, kritisierte die Armutskonferenz.

Der türkis-blaue Entwurf bringe "die Sozialhilfe aus dem vorigen Jahrhundert zurück – aber schlimmer und in Zukunft nach Bundesland zerstückelter, als sie es je war", wandte sich das Netzwerk von Hilfsorganisationen in einer Aussendung dagegen, "die Chancen für tausende Kinder weiter zu verschlechtern, Familien in krankmachende Lebensbedingungen zu treiben und Menschen bis weit in die unteren Mittelschichten großer sozialer Unsicherheit auszusetzen".

Mit dem Entwurf "verkommt die Sozialhilfe zu einem Mittel, mit dem fremdenpolizeiliche Ziele verfolgt werden und durch die hohen Sprachhürden diskriminiert wird", stellte Fenninger fest. Mit der Familienstaffelung würden Kinder "zu einem Leben in Armut" verurteilt und "bestraft, weil ihre Eltern sich in einer schwierigen Situation befinden". Unterstes soziales Netz sei diese Sozialhilfe dann nicht mehr, merkte die Volkshilfe an, einige Bestimmungen seien auch verfassungsrechtlich bedenklich.

"Brutalität"

Sehr scharf fiel die Kritik des Arbeiter-Samariter-Bunds an der Regierung aus: "Die Brutalität, mit der sie sich auf die Schwächsten in unserer Gesellschaft eingeschossen hat, ist einfach unfassbar", meinte Bundesgeschäftsführer Reinhard Hundsmüller. Dieser Ministerratsbeschluss bringe "nicht nur menschliches Leid, sondern kostet den Staat künftig viel Geld", merkte er unter Hinweis auf die Folgen von Kinderarmut an.

"Die Regierung hat eiskalt ein Armutsverschärfungspaket geschnürt, das sich gegen zehntausende Frauen, Männer und Kinder in Österreich richtet. Die Folgen werden tiefere Armut und mehr Unsicherheit sein", zeigte sich SOS-Mitmensch-Sprecher Alexander Pollak "entsetzt". "Viele Armutsbetroffene werden wieder zu Almosenempfängern, was bald auch viele NotstandshilfebezieherInnen treffen wird."

Das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR "bedauerte" den Ministerratsbeschluss zur Sozialhilfe – denn auch Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte bräuchten ein tragfähiges Auffangnetz.

Der Österreichische Städtebund kritisierte den Gesetzesentwurf ebenfalls als "unzureichend". Die in der Stellungnahme des Städtebunds geäußerten Bedenken seien zum Großteil offenbar nicht berücksichtigt worden. (APA, 13.3.2019)