Noch lagen die zwei Tonnen Eisen, verteilt auf 19 Kettenglieder, auf der Straße. Das rostige Ungetüm musste erst mit vereinten Kräften in die Galerie gezerrt werden. Es war das Potenzial der Ankerkette, ihre Fähigkeit, einen Ozeanriesen am Meeresboden zu verankern, nicht die Ästhetik eines objet trouvé, was Werner Schrödl in "Floating Chain" (2010) interessierte. Eine Ode an etwas, das hinter seiner Funktion verschwindet, war auch seine Fotoserie über Leuchttürme 2014. Hinter dem Licht des Signals, den gut 150.000 Lumen, tritt die Architektur völlig in den Hintergrund, befand Schrödl. Er zollte den Hünen Respekt und setzte sie mit 3.200 Lumen einer Taschenlampe in Szene.
Es ist das Interesse am Vergänglichen und Vorübergehenden, das sich in allen Arbeiten des 1971 in Attnang-Puchheim geborenen Künstlers findet. Schrödl schuf ephemere Skulpturen, die sich oft im Medium Fotografie, aber auch in Performances, Installationen und Filmen manifestierten.
Im Licht des Kometen
"Wahrscheinlich auch aus Geträumtem", antwortete er einmal auf die Frage, woher die Ideen zu seinen Projekten stammen. Manchmal waren es auch ungewöhnliche Ereignisse wie der Meteor von Tscheljabinsk, der auf seiner Himmelsbahn die Landschaft in Schrödls Augen "wie ein Scanner" erleuchtete: Also beschloss der Künstler, einen leuchtenden Kometen in die Luft zu schießen. In "40,000 candela (places)" (2014) ließ Schrödl mittels Leuchtraketen Landschaften aus dem Dunkel auftauchen und wieder verschwinden. Ein Prinzip, das er auch auf den Menschen umlegte. Während das Flackerlicht über die Gesichter wanderte, schien es, als würden zahlreiche Nuancen ihrer Persönlichkeit sichtbar. Das Wiener Kunstforum zeigte diese Arbeiten in der ihm 2014 gewidmeten Personale "Snooky Games".
Poetisch, utopisch, surreal
Wenn er eine Fichte über sich hinauswachsen, sie in "Baumverlängerung" über ihre sichtversperrenden Kollegen blicken ließ, war das nicht nur poetisch, sondern machte wie viele andere Arbeiten surreale Momente sichtbar. An einem gigantischen Bouquet bunter Ballons über den Attersee schweben, ein Boot am Mast heraufkraxelnd zum Kentern bringen, einen gigantischen Ballon im Südbahnhof platzen lassen oder einen Flitterregen auf der Baustelle des Westbahnhofs inszenieren: Schrödls Arbeiten kratzten immer ein wenig am Utopischen, und so bedingten ihre Umsetzungen oft kräfteraubende Anstrengungen– so wie die 48-Stunden-Aktion "one day home" (2012), eine einfache Behausung, die er gemeinsam mit Manfred Grübl zimmerte. Per Tieflader an den Attersee verbracht, schwamm sie alsbald auf dem See und wurde zum Haus in Bestlage.
Augenzwinkernde Gigantomanie schlummerte auch in vielen seiner nicht realisierten Projekte: So wünschte er sich, die größte Glocke zu gießen oder eine Lichtmaschine aufzustellen, in die man nur mit Schutzbrille blicken könnte, ohne zu erblinden. Das Potenzial seiner Arbeiten lebt weiter. Werner Schrödl jedoch ist am Montagabend im Alter von 47 Jahren nach langer, schwerer Krankheit in Ulm gestorben. (Anne Katrin Feßler, 12.3.2019)