Peter Kaiser zeigt sich – von der Sportverletzung am Knie, die ihn zum Schreibtisch humpeln lässt, mal abgesehen – zumindest für sein Kärntner Umfeld zufrieden. Im April ist er mit seiner Koalition mit der ÖVP ein Jahr im Amt, "es läuft sehr gut", sagt der Kärntner SPÖ-Landeshauptmann. Die Wirtschaft brummt, die Beschäftigung sei "auf einem Rekordhoch", die Arbeitslosigkeit habe er gut im Griff, Kärnten werde langsam attraktiv für die innerösterreichische Migration, glaubt Kaiser. Die Zusammenarbeit mit der ÖVP laufe weitgehend klaglos, es gebe kaum Konfliktfelder. Für kontroversielle bundespolitische Themen, die es jetzt mit dieser "autoritär auftretenden Regierung" zuhauf gebe, sei ein koalitionsfreier Raum im Regierungsabkommen paktiert worden. Im Bundesland hat Kaiser seine Partei fest im Griff. Und die Bundespartei? Über die macht sich Kaiser als stellvertretender Parteiobmann natürlich seine Gedanken.
STANDARD: Um das Berufsbild der Parteichefin und Ärztin Pamela Rendi-Wagner zu bemühen: Ist die SPÖ nach den fast kollabierenden Zuständen noch in der Aufwachstation oder schon wieder pumperlgesund?
Kaiser: Also ich habe mit dem Krankheitsbild keine Freude. Man muss festhalten, dass die Partei nach diesem doch sehr gravierenden Umbau der Republik und auch nach unseren chaotischen Herbstmonaten nach allen Umfragen sehr stabil ist. Dass die neu zugeschriebene Oppositionsrolle nicht von heute auf morgen mit hundertprozentiger Performance funktioniert, war mir klar. Jeder, der geglaubt hat, ab morgen ist die Welt wieder in Ordnung und wir sind quasi schon auf dem Weg zum Kanzlersessel: Das ist reine Träumerei. Dass wir noch an einer klaren Sprache, auch an den Themensetzungen arbeiten müssen, wird noch ein andauernder Prozess bleiben.
STANDARD: Das ist ja eines der Hauptprobleme im Außenauftritt der SPÖ: eine klare, einheitliche Sprache.
Kaiser: Ich bin natürlich gegen einen Meinungseinheitsbrei und gegen ein hierarchisches Diktat, aber für Diskussion. Man muss nur wissen, wo man sie führt. Ich bin fürs Streiten. Auch wir fetzen in Kärnten, aber wir schaffen es, nach außen hin als Kärntner SPÖ ein klares Bild zu vermitteln, und genau dasselbe ist eigentlich auch das, was die Bundesebene anstrebt, das ist das Ziel der Pamela, das hat sie auch deutlich beim Tiroler Parteitag gesagt.
STANDARD: Derartige Appelle, zuerst intern die Sachen auszudiskutieren, hört man in der SPÖ doch seit Jahren. Es hält sich nur kaum jemand daran, was dann das Bild einer zerstrittenen SPÖ ergibt.
Kaiser: Ich appelliere gar nicht, ich lege nur die Methodik vor, die in Kärnten erfolgreich angewendet wurde und wird. Worum geht's: Wir müssen eine klare Oppositionsrolle dort formulieren, wo die Regierung an den Säulen, an den Grundrechten der Republik rüttelt. Die türkis-blaue Koalition will ja auch von eigenen Fehlentwicklungen, von unguten Situationen ablenken, um dann das Dauerthema Nummer eins, Fremdenängste, mobilisieren zu können. Da braucht man auch einen langen Atem, um die Zusammenhänge aufzuzeigen.
STANDARD: Heißt das jetzt auch konkret, dass die SPÖ in Sachen Sicherungshaft keinesfalls, was immer die Regierung anbieten mag, zustimmen wird?
Kaiser: Es gibt, wie gesagt, Grundwerte, die für uns unverrückbar sind. Hier einem Druck nachzugeben, fördert nur den Mut und die Unverfrorenheit, den nächsten Schritt noch härter zu gehen. Der Populismus wird nicht weniger, wenn man ihm folgt. Es wird nur noch unverfrorener. Dem Nein von Rendi-Wagner ist nichts hinzuzufügen. Die weitaus größere, auch zahlenmäßige Gefahr sehe ich übrigens bei den sogenannten U-Booten. In Deutschland spricht man von 200.000 Menschen, die nirgendwo registriert sind. Wenn man die deutsche Zahl herunterrechnet, wird man auch in Österreich auf eine erkleckliche Zahl kommen. Wir kennen sie nicht, weil das Innenministerium die Zahlen nicht nennt. Es sind auf alle Fälle mehr, als jetzt bei der Sicherungshaft diskutiert wird.
STANDARD: Sie sind momentan auch Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz. Hat sich mit der neuen Bundesregierung im Verhältnis Bund-Länder etwas geändert? Abseits des üblichen Kräftemessens?
Kaiser: Ich bedaure sehr, dass positive Entwicklungen wie die Einbindung der jeweiligen Ebenen in die politischen Prozesse völlig abgenommen haben. Die Landeshauptleute, die Länder, werden bei wichtigen Entscheidungen, die sie letztlich zu exekutieren und mit denen sie zu leben haben, kaum eingebunden. Die Gesprächskultur ist zur Unkultur geworden. Ich orte in der Bundesregierung eine gewisse Abgehobenheit, die ich eigentlich nicht schätze. Das Zweite: Es gibt eindeutige Kostenverlagerungen vom Bund zu den Ländern. Positiv möchte ich aber die produktive Außenpolitik anmerken, gut, dass wir uns international engagieren und etwa auch eine klare gemeinsame Linie bei der Symbolgesetzgebung – Stichwort: Ustascha – gefunden haben. Ich bin ja grundsätzlich dafür, dass dort, wo Dinge positiv verlaufen, diese auch als Opposition unterstützt werden sollen. Was mir gesellschaftspolitisch bei dieser Regierung aber sehr abgeht, ist soziale Wärme. Ich merke vielmehr, dass eine gewisse soziale Kälte zunimmt. Und das tut dem Land nicht gut.
STANDARD: Gehen Sie davon aus, dass die türkis-blaue Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode 2022 im Amt sein wird? Haben Sie noch immer die Hoffnung, dass Pamela Rendi-Wagner die nächste Bundeskanzlerin wird?
Kaiser: Das ist das Ziel. Ich sehe in der Kanzlerfrage einen großen Unterschied. Ich stelle mir die einfache Frage – und da spreche ich auch als Vater: Wem würde ich die Zukunft meiner Kinder eher anvertrauen? Da spielen weder ein Papamonat noch andere Eigenschaften, etwa wie viel man auf Reisen ist oder ob man den amerikanischen Präsidenten getroffen hat, eine Rolle. Es werden andere Werte zählen, und da glaube ich, dass wir mit Rendi-Wagner gut aufgestellt sind. Neben ihrer großen fachlichen Kompetenz verfügt sie über etwas, das Kurz und Strache fehlt: Empathie. Aber noch etwas anderes: Derzeit fokussiert man sich ja mit viel Akribie auf die Entwicklungen in der SPÖ. Es wäre wert, wenn man sich mit derselben Intensität um die inneren Befindlichkeiten der Freiheitlichen oder mancher ÖVP-Landesorganisationen annehmen würde. Da würde man merken, dass die Message-Control zwar einen Eindruck der Einigkeit vermittelt, die aber schon äußerst brüchig ist. Derzeit hat Kanzler Kurz eine Klammer, die zusammenhält und die lautet: Erfolg. Wehe, wenn er weg ist. Um es sportlich zu sehen: Das zu beschleunigen ist für mich ein lohnendes Ziel. Auch in der Zeit der schwarz-blauen Schüssel-Koalition hat es ein wenig gedauert, aber dann ist doch die Wende gekommen.
STANDARD: Soll die SPÖ einfach ein bissl lockerer werden?
Kaiser: Das ist vielleicht eine gar nicht so schlechte Idee. Wir brauchen ja eh nur das leben, was wir in uns haben. Und uns so sozial und demokratisch geben, wie wir sind. Das ist in diesen Tagen schon Kontrastprogramm genug. Denn womit sind wir heute in Österreich konfrontiert? Es ist populär, zu sagen, ich schützte mein Volk vor blindwütigen Asylwerbern. Aber dahinter steht eine autoritäre Umgestaltung der Republik. Populismus und diese autokratischen Strukturen liegen verdammt nahe beieinander. Das macht es so gefährlich. Aus der eigenen Geschichte sind wir die Berufensten dagegenzuhalten. (Walter Müller, 9.3.2019)