Stell dir vor, es ist Morgen, du stehst auf. Wie immer. Du duschst, heiß, dampfend. Wie immer. Die Sonne scheint, draußen öffnen die Geschäfte, du putzt dir die Zähne, frisierst dich, schaust in den Spiegel. Und plötzlich weißt du: Es geht nicht mehr.

Wenn du dann nur noch da bist, weil du deinen Hund nicht im Stich lassen willst, dann kannst du nicht einfach springen, du musst grundlegend etwas ändern. Nur was?

Eh schon alles wurscht

Tony, dem es so ergangen ist und der, zusammen mit seiner Frau, jeden Sinn für ein Weiterleben verloren hat, hat eine Idee. "Ich denke, es ist ein guter Tag, wenn ich nicht irgendeinem Fremden ins Gesicht schießen und danach die Waffe gegen mich selbst richten will", erzählt Tony am Beginn der neuen Netflix-Serie After Life seinem Therapeuten. Auf gut Deutsch: Ist eh schon alles wurscht. Tony beschließt, von nun an alles zu sagen, was er verdammt noch mal möchte: "Es ist wie Superpower!"

Ein Bild aus besseren Tagen: Tony (Ricky Gervais) mit seiner Frau (Kerry Godliman), die er in "After Life" nur noch auf Fotos sieht.
Foto: Rich Hardcastle/Netflix

Die nutzt er vor allem, um sein Umfeld zu beleidigen. Mit sarkastischen Bemerkungen weiß er dieses permanent zu schockieren – und sein Publikum in sechs Folgen ab Freitag zu unterhalten.

Drehbuch, Rolle, Regie und Produktion von After Life übernahm mit Ricky Gervais einer, der den Typus des Serienmisanthropen kann und kennt wie kein zweiter. Durch seine Interpretation eines arroganten Bürotrottels genießt The Office Kultcharakter. Außenseiter pflastern seinen Weg, die er als komödiantisches Multitalent meist selbst erschaffen hat.

Seine Wurzeln hat der 57-jährige Brite beim Radio, wo er mit 25 Jahren als Moderator begann. Nur zwei Jahre später hatte er bei Channel 4 sein Debüt als Comedian im Comedy Lab. Der Durchbruch gelang mit The Office, danach kamen weitere bissige Serien. Gervais spielt in Filmen, moderiert Talkshows, tourt als Stand-up-Comedian, schreibt Bücher. Als mehrfacher Gastgeber bei den Golden Globes verhöhnte er Gäste und Preisträger so heftig, wie man das bei glamourösen Filmpreisverleihungen davor noch nicht gesehen hatte.

Alter, weißer Mann

Dass er damit ein Vermögen von achtzig Millionen Dollar gemacht haben soll, kommentiert der Comedian natürlich ebenso mit Häme. Von seinen Fans wird er für solche Respektlosigkeiten verehrt. Privat setzt er sich für Tierrechte ein und boxte für den guten Zweck.

Netflix hat Gervais mit seiner Stand-up-Comedy Humanity im Programm. Mit Supernature ist ein weiteres Special geplant.

Trailer zu "After Life".
Netflix

In After Life stellt Gervais den Grant des alten, weißen Mannes vor die Kulisse eines britischen Provinzblattes mit schrägen und liebenswürdigen Mitarbeitern, die allesamt mäßig spannenden Aufgaben nachgehen. Dazu gehört zum Beispiel, der Kunst des nach Angaben seiner Mutter hochbegabten Sohnes zu lauschen, der auf zwei Flöten gleichzeitig ein Lied spielen kann – mit der Luft aus seinen beiden Nasenlöchern.

Oder staunend vor einem fauligen Wasserfleck an der Wand eines Hauseigentümers zu stehen, der allen Ernstes behauptet, in dem Fleck das Bildnis des Schauspielers Kenneth Branagh erkennen zu können, wovon doch die Welt erfahren müsse. Tony nimmt es zur Kenntnis, weil ja eh schon alles egal ist.

Etwas zu übermütig in die Gagkiste gegriffen hat Gervais womöglich bei Witzen über Suizid. Abgesehen davon, ist es für einen Bosnigl wie Gervais doch ungewöhnlich, wenn am Ende von After Life die Sonne – wenigstens einigermaßen – für alle scheint. (Doris Priesching, 8.3.2019)