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Nigeria fördert rund zwei Millionen Barrel Öl pro Tag – ein Teil davon landet in der Umwelt im Nigerdelta.

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"Es ist Heuchelei, den Klimawandel nicht als Fluchtursache anzuerkennen", sagt Bassey.

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Nigeria ist nicht nur das bevölkerungsreichste Land Afrikas, sondern auch einer jener Staaten des Kontinents, die besonders stark vom Klimawandel betroffen sind. Während der Norden des Opec-Landes mit der fortschreitenden Wüstenbildung entlang der Sahara kämpft, machen Küstenerosion und Erdölförderung dem Süden zu schaffen. Der nigerianische Klimaaktivist und Träger des Alternativen Nobelpreis, Nnimmo Bassey, kämpft seit Jahrzehnten gegen die fortschreitende Umweltverschmutzung in seiner Heimat.

STANDARD: Kritiker sagen, es sei nur schwer möglich, eine direkte Korrelation zwischen Klima und Flucht herzustellen. Wie sehen Sie das?

Bassey: Migration wird durch viele Faktoren ausgelöst. Ein Teil davon ist historisch bedingt. Der Klimawandel spielt aber ebenso eine große Rolle.

STANDARD: Dennoch wird Klimawandel von der Uno nicht als Fluchtgrund anerkannt.

Bassey: Es ist Heuchelei, den Klimawandel nicht als Fluchtursache anzuerkennen. Jeder, der sagt, dass Klimawandel nicht zu Flucht führen kann, muss seine Augen öffnen und die Fakten ansehen. Der Klimawandel trifft Menschen genauso wie ein Krieg mit Waffen. Er ist gefährlich. Jene Menschen, die besonders stark vom Klimawandel betroffen sind, haben jedoch häufig am wenigsten dazu beigetragen. Klimaflüchtlinge nicht als solche zu definieren, ist scheinheilig.

STANDARD: Wie macht sich der Klimawandel in Ihrem Heimatland Nigeria bemerkbar?

Bassey: Er trifft uns quasi von zwei Seiten: Nigeria hat einen langen Küstenabschnitt im Süden, und der Norden ist nahe an der Sahara. Der größte Wasserspeicher in der Region ist der Tschadsee. In den 1960er-Jahren war er 25.000 Quadratkilometer groß, heute ist seine Fläche um 95 Prozent geschrumpft. Das hängt direkt mit dem Klimawandel zusammen. Es regnet viel weniger als früher. Außerdem ist die Bewässerung nicht gut organisiert, es wird viel zu viel Wasser aus dem See genommen. Davon sind vor allem Landwirte, Viehzüchter und Fischer betroffen. Es gibt zu wenig Wasser, die Menschen sind in den Süden und ins Landesinnere gezogen. Außerdem ist es zu Konflikten zwischen Viehzüchtern und Landwirten gekommen.

STANDARD: Was passiert im Süden?

Bassey: Es gibt Überflutungen, vor allem in den Städten und entlang der Flussufer. In Nigeria gibt es zwei Hauptflüsse, die sich im Nigerdelta treffen. Überflutungen haben dazu geführt, dass tausende Familien umsiedeln mussten. Im Süden kämpfen wir außerdem mit Küstenerosion, wir verlieren Land. Der Meeresspiegel steigt an – das hat vor allem auf das Nigerdelta fatale Auswirkungen. Menschen ziehen also sowohl aus dem Norden als auch aus dem Süden ab. In Zentral-Nigeria gibt es dadurch viele Konflikte.

STANDARD: Wie würde sich ein globaler Temperaturanstieg von zwei Grad Celsius – wie er in vielen Szenarien prognostiziert wird – auf Nigeria und andere subsaharische Länder auswirken?

Bassey: Afrika würde komplett geröstet werden. Der Kontinent ist von der Erderwärmung besonders stark betroffen. Würde die Temperatur weltweit um zwei Grad steigen, wäre die Temperaturerhöhung in vielen Regionen des Kontinents weitaus stärker. Manche Getreide- und Gemüsesorten könnten gar nicht mehr angebaut werden. Wenn man sich anschaut, wozu sich Länder in Klimafragen bisher verantwortet haben, hat man das Gefühl, dass sich Politiker nicht darum kümmern, was in der nahen Zukunft passiert.

STANDARD: Nigeria ist stark von der Ölförderung abhängig, und zeitgleich kämpft das Land mit den Folgen des Klimawandels. Wie lässt sich das vereinbaren?

Bassey: Es gibt keine Balance. Es ist komplett wahnsinnig, was da passiert. Nigeria muss aufhören, Öl zu fördern, oder es darf zumindest die Flächen nicht erweitern. Der Rohstoff hat mehr Schlechtes als Gutes in unser Land gebracht. Von einer Ressource abhängig zu sein, bedeutet, dass man alles daran setzt, dass das Geld dafür weiter ins Land kommt. Das führt letztlich zu laxeren Umweltrichtlinien. Welchen Effekt die Ölförderung im Nigerdelta hat, kann man gar nicht in Worte fassen. Es ist ein Ökozid. Im Nigerdelta kann man aus keinem Fluss mehr trinken.

STANDARD: Welche Folgen haben die Umweltschäden?

Bassey: Sie führen vor allem zu starker interner, aber auch zu externer Migration. Durch den Wassernotstand und die wirtschaftliche Lage machen sich viele junge Menschen auf den Weg Richtung Europa – mit einem hohen Risiko und zu einem hohen Preis.

STANDARD: In Nigeria fanden Ende Februar Präsidentschaftswahlen statt. Wie geht die Politik mit Klimafragen um?

Bassey: Die dominanten Parteien sind alle eher neoliberal und setzen sich für Privatisierung ein. Sie kümmern sich nicht wirklich um die Umwelt.

STANDARD: Sie waren bei der Weltklimakonferenz (COP 24, Anm.) in Kattowitz. Sind Sie mit den Ergebnissen zufrieden?

Bassey: Ich habe seit der COP 15 den Glauben in Weltklimakonferenzen verloren. Damals fand sie in Kopenhagen statt, und ich habe gemerkt, dass sich die Konferenzen in eine falsche Richtung bewegen. Ich fahre nur mehr hin, um mich mit anderen Aktivisten auszutauschen und Klimanetzwerke aufzubauen.

STANDARD: Welche positiven Lösungsansätze gibt es, um den Klimawandel einzudämmen?

Bassey: Die Afrikanische Union will eine große grüne Mauer bauen. Also nicht so eine wie die von Donald Trump (lacht). Die Mauer soll 850 Kilometer lang und 15 Kilometer breit sein – von Djibuti bis Dakar – und mit Bäumen bepflanzt werden. Das könnte helfen, die ökonomische Aktivität in der Zone voranzutreiben. Regierungen pflanzen dafür jedes Jahr Bäume. Aber viele davon sterben ab, weil sich niemand um die Bäume kümmert. Daher muss die Mauer besser implementiert werden. Die lokale Bevölkerung muss in das Projekt eingebunden werden, und auch die ökologischen Gegebenheiten müssen beachtet werden. (Nora Laufer, 5.3.2019)