Ade Darmawan (geboren 1974 in Jakarta) ist Künstler, Ausstellungskurator und Mitgründer der Künstlerinitiative Ruangrupa.

Foto: Gudskul / Jin Panji

Die Stunde null von Ruangrupa setzt Ade Darmawan ein paar Jahre früher als das offizielle Datum an – im Jahr 1994 nämlich. "Das Jahr, in dem Kurt Cobain starb und Justin Bieber geboren wurde", scherzte der Künstler vor einigen Jahren in einem Vortrag über das Ende einer Ära. Auf die politische Zeitenwende in Indonesien mussten er und seine Freunde, die im Jahr 2000 das Kollektiv Ruangrupa gründen sollten, allerdings noch warten. Erst im Mai 1998 wurde das Suharto-Regime gestürzt.

1994 traf sich also eine Gruppe Studierender, weil sie die Liebe zu Musik und Literatur ebenso teilte wie Angst und Frustration angesichts ihres Lebens in einer Diktatur. Die angehenden Künstler mussten sich eingestehen, dass die kulturelle Infrastruktur Teil der korrupten Regierung war, obendrein bürokratisch und elitär. Man wurde initiativ. Die kreativen, progressiven und kritischen Kräfte mündeten in Konzerte, Comics und spontane Ausstellungen in Bahnstationen oder öffentlichen Toiletten. Eine Kultur des Undergrounds entstand, erfüllt vom Spirit "Alternativen zu bauen". 25 Jahre später darf der alternative Anti-Establishment-Geist der Documenta (im Jahre 2022) neues Leben einhauchen.

KünstlerInnen, SchriftstellerInnen, ArchitektInnen, HistorikerInnen und KuratorInnen: Neun Mitglieder aus dem bunten, rund 40 Personen zählenden Kollektiv Ruangrupa. Von links nach rechts: Reza Afisina, Indra Ameng, Farid Rakun, Daniella Fitria Praptono, Iswanto Hartono, Ajeng Nurul Aini, Ade Darmawan, Julia Sarisetiati und Mirwan Andan.
Foto: Gudskul / Jin Panji

Aber erst im Jahr 2000, als Darmawan vom Studium an der Rijksakademie in Amsterdam zurückkehrte, beschlossen die Freunde, es sei Schluss mit dem ewigen Klagen. Es galt stattdessen, der nicht funktionierenden staatlichen Institution dauerhaft etwas entgegenzusetzen: So entstand das Kollektiv Ruangrupa, das heute mehr als 40 Künstler, Architekten, Historiker, Schriftsteller und Kuratoren zählt.

Philosophie des Ruru-Hauses

Auch für die Gruppe, deren Name man mit Raumforschung oder Raumfindung übersetzen kann, begann letztlich alles mit dem Raum, vielmehr mit dem Haus, das sie in einer Wohngegend Jakartas bezogen. Die alltägliche Struktur der Keimzelle Ruru-Haus passte zum Experiment: Das Wohnzimmer wurde Ausstellungsort, aus Schlafzimmern wurden Bibliothek, Treffpunkt, Büro. Die Terrasse diente als Bühne, die Garage als Shop, denn trotz kapitalismuskritischen Grundtons galt es schließlich auch Fundraising zu betreiben.

Das Haus prägte aber auch in anderer Hinsicht die Methode: In der Nähe zur lokalen Bevölkerung wuchs das Bewusstsein für lokale Notwendigkeiten. Soziale Aktivitäten und Nachbarschaftsprojekte mischten sich mit jenen des Kunstraums. Die Kunst wurde zum Teil der Gesellschaft.

Die Aussicht auf Bürgernähe und Teilhabe, auf "korporasi" und "lumbung", war auch das, was die Findungskommission in Kassel aus Freude "auf den Tischen tanzen" ließ. Und egal, wo das Kollektiv aufschlägt, zunächst wird ein Ruru-Haus eingerichtet – im holländischen Arnheim gesponsert von einem Fußballklub. In Kassel könnte der Kommunikationsstützpunkt auch ein indonesisches Restaurant sein, liebäugelte Darmawan letzte Woche.

Fast zwanzig Jahre nach ihrer Gründung liest sich das Portfolio von Ruangrupa beinahe wie das eines internationalen Mischkonzerns: Ruru Gallery, Ruru Kids, Ruru Radio, Ruru Corps, Ruru Shop und RRR. Hinter dem Logo mit den drei großen "R" steht die Musikschiene Ruangrupa Records, Jakarta 32 Grad heißt die Biennale für Studierende, das initiierte Videofestival OK. Video.

Intelligenz des Kollektivs

So ganz unbeschrieben sind Ruangrupa auch außerhalb Indonesiens nicht. Ade Darmawan, der als einer von zwei verbliebenen Gründungsmitgliedern als Impulsgeber gilt, war 2009 künstlerischer Leiter der Jakarta-Biennale, 2013 ihr Geschäftsführer. Aber auch als Gruppe nahm man regelmäßig an internationalen Biennalen teil: Gwangju, Istanbul, Singapur, São Paulo, Aichi.

"korporasi" und "lumbung" – Kooperation und die Wiederverteilung von gemeinsamen Investitionen oder Ressourcen sind wichtige Prinzipien von Ruangrupa.
Foto: Gudskul / Jin Panji

Im Pariser Pompidou war man 2017 Teil des Projekts Cosmopolis, das kollektive Intelligenz zum Thema hatte. Und selbst Documenta-Luft ist nicht ganz neu für sie: Für die d14 entwickelte die Truppe das Internetradio Every Time a Ear di Soun.

Ruangrupas größter Wurf in Europa war aber die Kuratierung der Skulpturenausstellung Sonsbeek im niederländischen Arnheim 2016. Nach der Biennale von Venedig (1895) und der Whitney Biennial (1932) war das 1949 begründete Festival eines der frühen internationalen Kunstprojekte und stets wegweisend für Kunst im öffentlichen Raum. Als Ruangrupa ankündigte, keine Skulpturen zu zeigen, war das ein Schock.

Ganz so war es denn aber nicht. Allerdings sollten die Kunstwerke aktiviert werden, als Plattform dienen: Und so buken etwa jeden Sonntag im Park türkische, niederländische, italienische oder indische Bäcker der Stadt Brot, im acht Meter hohen Bambushaus wurden Kindergeburtstage gefeiert. Aber auch ernste Dinge wie die Kolonialgeschichte ging man an: Eine Parade wurde zum kollektiven Erinnerungs-Event, Park und Festival zum Spiegel einer Stadt. Kassel – und die Welt – dürfen also gespannt sein. (Anne Katrin Feßler, 5.3. 2019)