Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil und SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner im Burgenländischen Landtag.

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"Empört Euch!", hat der französische UN-Diplomat Stéphane Hessel 2010 in seinem millionenfach verkauften Buch gerufen. Unsere politische Klasse hat Empörung zum Programm erhoben, wie man diese Woche auch beim Thema Sicherungshaft miterleben konnte. Ein Plädoyer für einen sachlicheren politischen Diskurs statt eines aufgeregten Alarmismus.

Nicht, dass die Reaktionen auf meine Aussagen in der ORF-"Pressestunde" vergangenen Sonntag zur Sicherungshaft überraschend gewesen wären. Es war zu erwarten, dass politische Kommentatoren Bruchlinien innerhalb der SPÖ zeichnen würden. Es war vorherzusehen, dass mich auch Vertreter meiner Fraktion für meine Bereitschaft, über eine Neugestaltung der Gewaltschutzbestimmungen zu diskutieren, kritisieren würden. Und mir war klar, dass die FPÖ keine Freude damit haben würde, wenn ich darauf beharre, was der Gleichheitsgrundsatz in unserer Verfassung verlangt: das Verbot einer sachlich nicht gerechtfertigten Bevorzugung oder Benachteiligung von bestimmten Personen(gruppen).

Blenden wir kurz zurück, was ich tatsächlich gesagt habe: Eine präventive Sicherungshaft muss verfassungskonform sein. Aber im Sinne des Schutzes von Leben kann und soll man darüber nachdenken, ob die 20 Jahre alten Gewaltschutzbestimmungen den aktuellen Lebensverhältnissen entsprechen. Das muss evaluiert werden – unter der Ägide des zuständigen Justizministers, unter Einhaltung aller in der Verfassung festgelegten Rechte und – wie es Pamela Rendi-Wagner fordert – unter Einbindung einer Experten-Taskforce und des Parlaments. Diese Diskussion sollte allerdings nicht nur in Hinblick auf Asylwerber geführt werden, sondern muss generell dem Schutz von Leben dienen. Das bezieht logischerweise auch österreichische Gefährder mit ein.

Demokratie und Freiheit

Nicht nur in dieser sensiblen Materie sollten wir zu einem politischen Diskurs zurückzukehren, der uns in Europa Demokratie und Freiheit gebracht hat. Wenn Bundeskanzler Sebastian Kurz die Bedenken des Bundespräsidenten mit dem Sager "Wir brauchen keine Skepsis" abwürgen will und dem Parlament mitteilt, "die Regierung brauche keine Arbeitsgruppen oder weitere Diskussionen", dann ist das nicht der erste bedenkliche Fall, in dem es dem Bundeskanzler schwerfällt zu akzeptieren, dass wir in einer Demokratie leben, die durch die parlamentarische Debatte und den Kompromiss gedeiht und nicht durch den Willen eines Messias. Stichwort Zwölfstundentag, Stichwort Ökostromnovelle. Stichwort Karfreitag. Auch der Innenminister wird akzeptieren müssen, dass eine Änderung der Verfassung nicht an seinem Schreibtisch, sondern immer noch im Parlament und in der Vorbereitung im Justizministerium erfolgt.

Empörung als Politikersatz gibt es auch bei den Linksliberalen und natürlich auch in der Sozialdemokratie. Hier scheint politische Korrektheit oft wichtiger als die tatsächliche Lebensrealität der breiten Masse. Man kann, wie es der deutsche Philosoph Nils Heisterhagen jüngst im Kreisky-Forum sagte, die soziale Frage leider "nicht in einem Tweet zwischendurch abhandeln". Wer die Lebensverhältnisse der Menschen verbessern will, muss sich mit politischer Ökonomie befassen. Das ist anstrengend und erfordert detaillierte Sachkenntnis.

Die Grünen in Österreich sind mit ihrer Lust am Moralisieren und Belehren mit doppeltem Salto aus der Kurve geworfen worden. Wir Sozialdemokraten sollten daraus lernen und zeigen, wie ein Gegenmodell zum kalten Wirtschaftsliberalismus konkret ausschauen kann.

Keine Einheitspartei

Ich will eine Politik des "klugen Wachstums", das allen zugutekommt und nicht nur einigen wenigen. Deshalb setze ich mich im Burgenland für einen Mindestlohn von 1700 Euro netto ein. Deshalb werden wir privatisierte öffentliche Dienstleistungen verstärkt in die öffentliche Hand zurückholen. Deshalb setzen wir uns konsequent für eine nachhaltige, biologische Landwirtschaft ein. Und ja, deshalb nehmen wir auch die Sicherheitsbedenken breiter Teile der Bevölkerung ernst, denn Sicherheit ist die Voraussetzung für eine gute Lebensqualität.

Die SPÖ ist keine Einheitspartei. Mögen manche Kommentatoren die "Message-Control" von Kanzler Kurz noch so bewundern, wir werden weiter breit diskutieren. Denn eines eint uns Sozialdemokraten immer: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren." Freiheit und Chancengleichheit auszubauen und gegen alle Angriffe zu verteidigen ist die nobelste und immer noch dringende Aufgabe der Sozialdemokratie.

Demokratie lebt vom Diskurs, der idealerweise zu einem Kompromiss führt. Oder man einigt sich darauf, dass man unterschiedlicher Meinung ist, und anerkennt bestehende Mehrheitsverhältnisse. Diskursverweigerung bringt uns nicht weiter. Nur dagegen sein übrigens auch nicht. Aus meiner Sicht ist es ein Zeichen der Stärke, gute Argumente des politischen Gegners aufzugreifen.

Für alle, die letzte Woche nicht zugehört und nur zugebissen haben, also noch einmal: Wenn alle Fakten, wie von unserer Parteivorsitzenden eingefordert, vorliegen und die Regierung das Justizministerium und das Parlament ernsthaft über eine mögliche Reform der Gewaltschutzbestimmungen einbezieht, werden wir uns einer Diskussion dazu nicht verweigern. Das habe ich vor einer Woche gesagt, und das meine ich heute auch noch so. Wenn nicht, wird es diese Verfassungsänderung mit uns nicht geben. Herr Bundeskanzler, Sie sind am Zug. (Hans Peter Doskozil, 1.3.2019)