Graz – "Herr Jan Jung könnte in Deutschland leben. Mrs. June Young in London." Jun Yang steht vor einer Wand mit Briefumschlägen. Es ist seine Post, auch wenn dort Tun Yang, Jün Yan oder Yi Chuan geschrieben steht. Irgendwann begann der Künstler, die falsch adressierten Briefe zu sammeln. Nachts flimmern nun die Namen von Jün und Yi, von June und Jan über die elektrifizierte Haut des Grazer Kunsthauses. Kurz aufleuchtend erwecken sie das Bild von einer Gruppe Menschen, dabei stehen sie alle für einen Namen.

Im Projekt "Chinatown Graz", realisierte während "Graz 2003 – Kulturhauptstadt Europas", pflanzte Jun Yang Klischeearchitektur in den öffentlichen Raum.
Foto: Jun Yang

Bei Tageslicht ist alles anders. Da thront der Name von Jun Yang wie ein Markensymbol auf der blauen Bubble. Propaganda für den Künstler – allerdings in chinesischen Schriftzeichen. Jun Yang. Der Künstler, das Werk und die Ausstellung, klärt das Plakat auf, das aussieht, als würde es den Weg zum Chinarestaurant "Der goldene Drache" weisen.

Gegen Strategien des Marktes

Wer nun irritiert die Stirn kräuselt, ist schon mittendrin in Jun Yangs charmanter Inszenierung. Über zwei Stockwerke hat der Otto-Mauer-Preisträger von 2005 gemeinsam mit Kunsthaus-Chefin Barbara Steiner sein Spiel mit Klischees und Identitäten ausgebreitet. Der Titel der Schau, er ist nur ein Euphemismus dafür, dass es hier vielmehr der Vorstellung vom genialen Künstler, von seinem auratischen, einzigartigen Werk und der klassischen Idee einer Ausstellung an den Kragen geht.

Auch im 21. Jahrhundert ist das nicht obsolet. Allen entmythologisierenden Strategien der Künstler zum Trotz bastelt der Markt wieder an Ideen vom Solitären und Exklusiven, ganz einfach, weil sie sich besser kommerzialisieren lassen. Die große Personale in einer Kunstinstitution ist ein Faktor, die Summe an Solos ein Indikator für den Rang, den Künstlerinnen und Künstler im Spiel des Marktes einnehmen.

An Eitelkeiten rütteln

Die Fahrtreppe im Kunsthaus spuckt uns genau vor einem Foto von fünf Unbekannten aus. Alle heißen Jun Yang. Na, wer davon ist jetzt Jun Yang, der Künstler? Die Fotografie scheint uns die Zunge herauszustrecken. Eine Frotzelei, die ebenso wie die eingeladenen künstlerischen Mitstreiter an der Eitelkeit des Etiketts "Einzelausstellung" rüttelt.

Den Zwiespalt nährt die Schau ständig: Denn ohne die große Geste auf zwei Etagen könnte der selbstbewusste große Wurf auch nicht ironisch untergraben werden.

"Salariiman" ist im Japanischen ein Ausdruck für Männer, die dem Klischee nach nur für ihre Unternehmen existieren und in der Masse verschwinden. In einer Fotoperformance 1997 verwandelt sich Jun Yang daher nach der Arbeit flink in "Superman", also in ein Super-Individuum.
Foto: Jun Yang

Etwa mit der Demontage der künstlerischen Autorschaft: Neben eigenen Performancearbeiten zeigt Yang sein Mitwirken an einer Performance von Paul McCarthy und Mike Kelley in der Secession 1998 (Sod & SodieSock). "Bin ich Performer oder Künstler?", fragt er nach seiner Rolle im System. Für einen Freund schreibt er einen Vortrag über das Vergessen und Erinnern und wird letztlich aus ebendieser Arbeit getilgt. Nur die Dolmetscherin ist im Video zu A Short Lecture on Forgetting and Remembering (2011) noch zu sehen. Der Autor, also Jun Yang, huscht lediglich als Schatten durchs Bild. Der Künstler ist an Situationen interessiert, in denen die Grenze zwischen seiner und der Arbeit eines anderen verschwimmt.

Spiel mit Klischees

"Ich wollte nie einen klassischen Werkbegriff bedienen", sagt Jun Yang. Er schließt nicht aus, dass seine Weigerung, sich in Schubladen stecken zu lassen, mit seiner Biografie zu tun hat. Wer ihm in Österreich begegnet, spricht ihn auf Englisch an, erzählt er. Dabei ist der 43-Jährige in Wien aufgewachsen, wo seine Eltern eines der ersten Chinarestaurants, das Tien Tsin, betrieben.

Damals habe es nur drei rote Laternen gebraucht, um ein Chinarestaurant zu schaffen, erinnert sich Yang, der heute in Korea und Japan lebt. Später hat er mit seinem Bruder und einem Kompagnon sogar selbst ein Restaurant in Wien eröffnet: Das Konzept des Ra'mien bestand jedoch in seiner völlig neutralen, geradezu cleanen Ästhetik. Das Klischeemobiliar wurde in den Keller verbannt – als Interieur für einen Club. Auch in Graz verschob er Perspektiven, ließ chinesische Tuschmaler Stadtansichten fertigen oder baute China Town Graz mittels Klischeekulissen auf Verkehrsinseln.

Jun Yang: "Seoul Fiction" (2010).
Foto: Kim Taedong, © Jun Yang

Beengte kulturelle Horizonte

Wie stark die Populärkultur Stereotype fortschreibt, führt Yang in der Found-Footage-Kompilation coming home – daily structures of life vor. Darin montiert er Bilder von Chinarestaurants aus Kinofilmen. Und um uns noch mehr auf die Beengtheit unseres kulturellen Horizonts zu stoßen, hat Yang das Videokabinchen mit Deckenelementen aus dem ehemaligen Lokal der Eltern ausgekleidet.

Gebaut sind auch die Welten in Paris Syndrome, benannt nach dem Trauma, das asiatische Touristen erleiden, wenn ihre romantischen Vorstellungen von Europa an der Realität zerschellen. Ungefährlicher ist es, die fernen Idyllen, wie die venezianischen Lagunen, als Fake-Architektur in die Heimat zu holen.

Jun Yang: "Paris Syndrome" (2007–2008).
Foto: Jun Yang

Ein kluger Parcours, der die Mechanismen der Konstruktion von Kultur, Nation und Ego bloßlegt. Ans Ende hat Jun Yang das allererste Bild gestellt, das die Erde aus der Perspektive der Mondfahrer zeigt: Die Fotografie des kleinen blaue Planeten (The Overview Perspective, 2018) inmitten des weiten Universums flüstert uns zu: Nimm Dich nicht so wichtig! (Anne Katrin Feßler, 1.3.2019)

In der filmischen Arbeit "A Short-Story on Forgetting and Remembering" (2007) kreiert Jun Yang einen traumähnlichen, zeitlosen Raum, in dem man fremden Erinnerungen nachspürt.
jun yang