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Mit Büchern in den Händen protestieren Ungarn ...

Foto: Reuters/REUTERS/Tamas Kaszas

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... gegen die Zerschlagung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften.

Foto: ap/Szilard Koszticsak/MTI

Nach der Central European University (CEU) greift Viktor Orbán nun mit der Akademie der Wissenschaften ein Symbol der ungarischen Wissenschaft an. Als der nationalkon servative Ministerpräsident 2017 eine Offensive gegen die CEU startete, fragte man sich, was wohl als Nächstes kommen würde. Ungarn weiß es inzwischen, im restlichen Europa wird hierüber – ganz im Gegensatz zur CEU – kaum berichtet: die Ungarische Akademie der Wissenschaften, kurz MTA (Magyar Tudmányos Akadémia). Dieses Ziel überrascht in Anbetracht von Orbáns nationalistischer Politik, denn die MTA ist eines der zentralen Symbole der modernen ungarischen Nation.

1825 vom Nationalhelden István Széchenyi mitgegründet, erfüllte sie den langgehegten Wunsch nach einer Heimstätte für die ungarische Wissenschaft. Sie sollte ein Tempel für das "vaterländische Wissen" sein. Mehr noch: Angelehnt an Englands Royal Academy, wollte Ungarns Wissenschaft mit der MTA endlich international konkurrenzfähig sein. Heute zählt die MTA zu den führenden Institutionen in Ungarn und genießt international hohes Ansehen. Mit mehr als 5000 Arbeitnehmern (wissenschaftliches wie nichtwissenschaftliches Personal) zählt sie zu den größten Arbeitgebern im Land. Ihr Verlag ist der wichtigste Wissenschaftsverlag.

Kurz vor ihrem 200. Geburtstag steht die MTA nun vor ihrer institutionellen und konzeptuellen Zerschlagung. Orbáns Minister für Innovation und Technik, László Palkovics, droht mit massiven finanziellen Kürzungen. Bereits das Budget für das laufende Jahr bleibt unbestätigt, zahlreiche Mitarbeiter erhalten kein Gehalt. Das vordergründige Ziel dieser Politik ist es, dass nur noch "nützliche" Wissenschaft Geld vom Staat bekommen soll. Doch es ist offensichtlich, dass es um die Kontrolle von Wissenschaftern geht. Liberale Forschende sind der selbsternannten illiberalen Demokratie naturgemäß ein Dorn im Auge. Ihre Arbeitsplätze sollen nun Orbán-Anhänger einnehmen.

Opfer der Politik

Vor allem die Geisteswissenschaften werden ein Opfer dieser Politik werden. Nicht, weil sie "unnütz" sind. Ganz im Gegenteil, sie gelten sogar als gefährlich, da ihre Erkenntnisse den Erzählungen des Regimes widersprechen. So beschwört die Politik die hunnische Abstammung der Ungarn, während die seriöse Forschung dies längst widerlegt hat. Institute für Genderstudies mussten bereits 2018 schließen. Auch diese liefen der restriktiven Politik zuwider, die kinderreiche Familien mit berufsuntätigen Müttern explizit fördert.

Palkovics’ Rolle ist mehr als ambivalent: Er ist selbst ordentliches Mitglied der MTA und weiß um ihre chronische Unterfinanzierung. Als Mitglied erhielt er bis zum Sommer 2018 sogar eine monatliche Summe von umgerechnet 2500 Euro, obwohl er seit Jahren nicht mehr publizierte, wie das liberale Blatt Magyar Narancs berichtete.

Was Orbán hierbei übersieht oder vielleicht bewusst ignoriert: Die Zerschlagung der MTA wird Ungarn mehr Schaden zufügen, als freie Forschung das je könnte. Sie wird nicht nur das internationale Ansehen ankratzen, sondern auch soziale Folgen in Ungarn selbst haben: Hunderte Menschen müssen die Arbeitslosigkeit fürchten – in einem Land mit einer ohnehin überdurchschnittlich hohen Zahl an Arbeitslosen. Im schlimmsten Fall droht dem durch Abwanderung geschwächten Staat ein erneuter Verlust an geistigem wie wirtschaftlichem Kapital in Richtung Ausland.

Dass Orbán nach der MTA mit seinem nationalistischen Kurs aufhören wird, ist eher unwahrscheinlich. So schwebt inzwischen wie ein Damoklesschwert in diesem Land über allem die Frage: "Was kommt als Nächstes?" (Daniela Haarmann, 22.2.20109)