Auf der Polarinsel Nowaja Semlja suchen Eisbären ganze Dörfer heim.

Foto: Imago / Nature Picture Library

Die 2500 Bewohner von Beluschja Guba, dem Hauptort der Polarinsel Nowaja Semlja, trauen sich kaum noch aus dem Haus. Denn seit Dezember treiben sich 52 Eisbären in der Gegend herum, knapp ein Dutzend davon ständig in der Ortschaft. Auf Nahrungssuche dringen die Bären sogar in die Hauseingänge der Siedlung vor, agieren zum Teil aggressiv. Ende vergangener Woche rief die Gebietsverwaltung wegen der Eisbärenplage den Notstand aus.

Die Eisbärenwanderung habe zwei Ursachen, beide seien mit der Klimaerwärmung verbunden, sagte der Ökologe Alexander Samsonow. Einerseits habe die Population durch den Fischreichtum im Sommer zugenommen, andererseits sei durch die Klimaerwärmung das Eis in der Arktis immer dünner geworden und der natürliche Jagd- und Lebensraum der Eisbären werde immer kleiner. So sind die Tiere gezwungen, auf das Festland auszuweichen. Im Winter, wenn die Nahrung knapp wird, gehen sie in Ortschaften, weil sie dort auf Überreste hoffen.

Die Polarinsel Nowaja Semlja ist nicht der einzige Fleck in der russischen Arktis, an dem Mensch und Tier gefährlich eng zusammenrücken. Die Eisbären sind zudem nur eine Folge der Klimaerwärmung. Unter Forschern, in der Wirtschaft und der Regierung hat deshalb ein Umdenken eingesetzt.

Pariser Abkommen soll ratifiziert werden

Die Regierung will Unternehmen, die ihren Schadstoffausstoß nicht kontrollieren, künftig zur Kasse bitten. Und auch in die umstrittene Ratifizierung des Pariser Klimaschutzabkommens scheint Bewegung zu kommen. 2017 hatte Präsident Wladimir Putin noch Verständnis für Donald Trumps Ausstieg aus dem Pariser Abkommen gezeigt. Doch inzwischen hat Moskau mehrfach betont, dass es das Abkommen ratifizieren wolle, wohl schon bis Jahresende.

Die Wirtschaft, bisher der größte Bremser in der Frage, hat den Widerstand aufgegeben. Der Unternehmerverband befürchtet anderenfalls Beschränkungen auf dem Weltmarkt und den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit.

Sibirische Böden tauen auf

Forscher der staatlichen Russischen Akademie der Wissenschaften widersprachen jetzt der in Russland weitverbreiteten These, das Land werde von der Klimaerwärmung durch das Auftauen der Böden in Sibirien sogar profitieren. In einem Experiment wiesen sie nach: Bei der Erhöhung der Temperatur um zwei Grad verdoppelt sich der Kohlendioxidausstoß sibirischer Dauerfrostböden. Ein Auftauen der sibirischen Böden würde damit den Treibhauseffekt noch einmal massiv verstärken. Die Forscher sprechen von einer drohenden "Klimabombe".

In Beluschja Guba werden derweil Soldaten des nahegelegenen Stützpunkts, Arbeiter, aber auch Kinder mit speziell ausgerüsteten Fahrzeugen zur Arbeit oder zur Schule gebracht. In der Siedlung kursieren Patrouillen. Da die Eisbären als vom Aussterben bedrohte Art in Russland nicht abgeschossen werden dürfen, soll nun ein Spezialkommando die Tiere fortschaffen, versprach der Verwaltungschef von Nowaja Semlja, Schuganscha Musin. Ob das ausreicht, bleibt abzuwarten. Eisbären können auf Nahrungssuche riesige Strecken zurücklegen. (André Ballin aus Moskau, 16.2.2019)