In Klagenfurt als zu gut befunden: John Wray, New Yorker Autor mit österreichischen Wurzeln.

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Es sei nicht erklärbar, "nicht so, dass du es verstehst. Du hast vermutlich dein Leben lang an keine einzige Sache geglaubt." Das schreibt eine Tochter an ihren Vater, den sie ironisch "Lehrer" nennt. Es ist die achtzehnjährige Aden Grace Sawyer aus Kalifornien, die mit ihrem Freund Decker in Männerkleidern nach Pakistan reist, um dort in einer abgelegenen Koranschule zu leben und schließlich als Mujahedin Suleyman in den Jihad über die Grenze nach Afghanistan zu ziehen.

Auf diese Weise soll tatsächlich eine Amerikanerin die Seiten gewechselt haben. Der New Yorker Schriftsteller John Wray, der regelmäßig auch bei der Kärntner Familie seiner Mutter in Friesach wohnt und beim Bachmann-Preis 2017 von der Jury als zu gut gelobt wurde, ist der Geschichte nachgegangen und nachgereist.

Zwar vermochte er ihren realen Gehalt nicht zu belegen, wiewohl er sich in die entsprechenden Regionen begab, aber literarisch hat er die Spur auf packende Art aufgenommen. Von seiner außergewöhnlichen Einfühlungsgabe und Sprachkunst zeugen seine bislang – bis auf eine Ausnahme auf Deutsch – vorliegenden Romane, die in je völlig unterschiedliche Situationen und Milieus führen, besonders Lowboy (2009; Der Retter der Welt), in dem ein schizophrener Junge auf seiner Flucht in der New Yorker U-Bahn großartig nachvollziehbar geschildert ist.

Eine andere, weil zunächst ungezwungene Flucht ergreift Aden Sawyer im Roman Gotteskind (im Original vieldeutig: Godsend), die wohl nicht zufällig den Familiennamen aus der berühmtesten US-Jugendgeschichte trägt. Ihre Eltern leben getrennt, die Mutter trinkt, der Vater lehrt Islamstudien in Berkeley – von ihm erhielt Aden ihren Zugang zur mohammedanischen Religion und Kultur.

Da sie ihr Leben als leer empfindet, will sie ganz im Glauben aufgehen. Diese Intention und der Weg immer tiefer in den intoleranten Islam der Taliban bringt Wray eindringlich nahe.

Unausgesetzte Spannung

Dazu wählt er nur zu Beginn der vier großen Abschnitte in kurzen Mitteilungen an den Vater die Ich-Perspektive, aus der ja allein eine innere Konsequenz oder Selbstüberredung spräche. Die ganze Geschichte ist eine Sie-Erzählung, die eben im "sie" ständig gegen die vorgespielte männliche Identität steht.

Man nennt Aden Bruder, während sie ihre Weiblichkeit verbirgt. Und damit tritt das Grundproblem dieses "Gotteskindes" vor unsere Leseaugen: Aden will ein richtiges Leben im falschen Gewand führen, ihre "vollkommene Fremdheit verbarg sie vor ihnen".

Dass die Islamversion, der sie sich hinzugeben bemüht, ihr als Frau strikt eine andere Rolle zuweist und ihr bei der Entdeckung der Maskerade auf drastische Art das Leben nehmen würde, das bewirkt einen unauflösbaren Konflikt und verleiht dem Roman eine unausgesetzte Spannung.

Die Schilderungen von Orten und Landschaften sind grandios, die psychischen Nöte ebenso, da die ohnehin ungemein schwierige Situation Gefühle, Freundschaft und Liebe extrem auf die Probe stellt. Den Glauben zunächst nicht, denn im Romangeschehen manifestiert er sich im Auswendiglernen der Schrift, einer blinden Unterwerfung unter das Wort, die Regeln und die Hierarchie. Das Verlangen nach Unterwerfung, glaubt Aden, entspreche "der höchsten Form der Liebe".

Unsicherheit und Anspannung

John Wray zeichnet ein auf Rezitieren gründendes System und zeigt in knappen Strichen, wie die Wahrnehmung von Vorhaben gelenkt wird. In diesem Dasein, das strikt zwischen Gläubigen und Ungläubigen trennt, vermeint, Aden ihre Erfüllung zu finden. Ihre Unsicherheit wird sie jedoch keineswegs los; ihrer Behauptung, glücklich zu sein, steht die starke Anspannung entgegen.

Das gesuchte Eindeutige gibt es nicht, nirgends. Sie muss erfahren, dass das Spirituelle vordergründig dominiert, aber tatsächlich in den Hintergrund tritt: "Das Wort Dschihad fiel oft, doch nie im Sinn von 'innerer Kampf' oder 'spirituelle Reise'. Für diese Männer hatte Dschihad nur eine einzige Bedeutung." Welche, das erzählt der Roman erschreckend nachvollziehbar – und eher nebenbei erfahren wir im zweiten Teil, in welch entscheidendem Jahr das Geschehen spielt.

So nimmt John Wray in eine uns fremde Welt mit, immer weiter in kriegerische und psychische Abgründe. Nur einmal drückt er zu stark auf die Spannungstube, als er wie im Trivialfilm die Rettung in letzter Sekunde eintreten lässt.

Er schafft es, historische sowie soziale Hintergründe in Pakistan und Afghanistan zu vermitteln, vor allem eine Art des religiösen Fanatismus, die in unseren Breiten oft populistisch zum beherrschenden Bild des Islam gemacht wird.

Offen bleibt freilich, ob der Grund dieses Vorhabens einer jungen Amerikanerin nicht doch etwas komplexer wäre. Aden Sawyer erklärt ihn einzig mit der "Leere", die sie in Kalifornien empfand, wie "ein leeres Etwas" habe sie sich gefühlt.

Jedenfalls gelingt es John Wray mit dieser Geschichte, ein eindrucksvolles Milieu- und Charakterbild zu formen, das Einblicke gibt, mit denen wir uns näher beschäftigen sollten. (Klaus Zeyringer, 16.2.2019)