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Kanzler Sebastian Kurz (Mitte) empfing Südkoreas Premier Lee Nak-yeon vergangenen Mai in Wien. Nun sieht er ihn wieder – in Seoul.

Foto: AP / Ronald Zak

Wien/Seoul – Um ein Haar würden die Flüge länger als der Aufenthalt dauern. Und in Seoul, der Hauptstadt Südkoreas, ist es überhaupt nur der Donnerstag, an dem Kanzler Sebastian Kurz auf seiner Ostasien-Tour mit zwei österreichischen Ministern haltmachen wird. Für den haben sich die Österreicher dafür ein strammes Programm vorgenommen: Treffen mit Südkoreas Präsident Moon Jae-in; Unterzeichnung eines Wissenschaftsmemorandums mit Premier Lee Nak-yeon; Lunch mit Samsung-Vize Boo Keun-yoon; ein Besuch der Yonsei-Universität, wo Ex-UN-Generalsekretär Ban Ki-moon eine Niederlassung seines gemeinsam mit Heinz Fischer geführten "Centre for Global Citizens" betreibt.

Begleitet werden Kurz, Wissenschaftsminister Heinz Faßmann und Infrastrukturminister Norbert Hofer von einer umfassenden Wirtschaftsdelegation. Der Austausch mit und über jene 60 österreichischen Unternehmen, die derzeit in Südkorea Niederlassungen haben, wird auch ein Schwerpunkt der Reise sein – ein anderer ist der Tourismus. 320.000 Südkoreanerinnen und Südkoreaner besuchen jedes Jahr Österreich, das sind rund 100.000 mehr als die Besucher aus Japan. Dennoch ist den meisten über Österreich wenig bekannt, sagt Dominik Danninger, der seit sechs Jahren als Unternehmer in Seoul lebt und mehrere heimische Lebensmittelprodukte in Südkorea vertreibt, darunter steirisches Kürbiskernöl. Einigen sei das Land als eine Hochburg klassischer Musik ein Begriff. Manche bringen es auch mit dem unerschütterlichen Alpen-Musicalfilm "The Sound of Music" in Verbindung, den auch in Südkorea vermutlich mehr Menschen gesehen haben als in Österreich.

Apartment, Kino, Bestattung

Südkoreas Regierungsbeamte verbinden mit dem Land noch etwas anderes – und das speist vermutlich ihr besonderes Interesse am Besuch aus Wien: Von ihnen wird die österreichische Volkswirtschaft nämlich wegen des erfolgreichen Mittelstands bewundert, aus dem sich 70 Prozent der Arbeitsplätze und zwei Drittel der heimischen Umsätze speisen. Denn bei aller Begeisterung über das Wirtschaftswunder, das Südkorea in wenigen Jahrzehnten in Richtung der führenden Industrienationen geführt hat: Für die Kleinstbetriebe im Land war die Lage schon vor der jüngsten Eintrübung der Wachstumsaussichten prekär. Knapp drei Millionen gibt es, das Gros ist stark verschuldet und schlittert stets am Bankrott entlang.

Die Österreicher interessiert hingegen eine Sparte, die von den großen Unternehmen des Landes geführt wird. Kanzler Kurz teilte vor der Abreise mit, man wolle von Südkorea vor allem im Bereich der Hochtechnologie lernen. Konkret sprach er das 5G-Netz an, das dort in einigen Städten schon im erweiterten Testbetrieb ist. Samsung, mit dessen Vizechef Boo Kurz am Donnerstag luncht, ist wohl der Prototyp für die sogenannten Chaebol. Global ist die Unternehmensgruppe vor allem für ihre Smartphones und Flachbildschirme bekannt. In Südkorea hingegen baut Samsung auch Apartmentsiedlungen und Frachtschiffe, betreibt eine U-Bahn-Linie, eine Kinokette und eine Lebensmittelfirma, stellt Lebensversicherungen aus und führt, für den finalen Ernstfall, auch ein Bestattungsinstitut.

Erdrückende Dominanz

Chaebol, so werden die Mischkonzerne südkoreanischen Zuschnitts genannt, die mittlerweile in dritter Generation in Familienhand geführt werden. Unter dem Protektorat der Militärregierungen der Nachkriegszeit eroberten sie die Marktführerschaft in dutzenden Geschäftsbereichen. Zusammengehalten werden sie durch ein komplexes Netz an Querbeteiligungen. Und ihre Dominanz ist erdrückend: Allein die zehn größten Familienbetriebe des Landes generieren rund 80 Prozent der Profite an der südkoreanischen Börse. Gleichzeitig geben sie der Gesellschaft immer weniger zurück: Produktionsstätten wandern ins Ausland ab, und die Firmenvorstände fallen regelmäßig durch Steuerbetrug und Wirtschaftskriminalität auf.

Präsident Moon, den Kurz am frühen Nachmittag trifft, wurde vor knapp zwei Jahren ins Amt gewählt – auch mit dem Ziel, einen Paradigmenwechsel einzuläuten. Der Mindestlohn wurde allein für dieses Jahr um elf Prozent angehoben, der Sozialstaat wird sukzessive ausgebaut und prekäre Arbeitsverträge in ordentliche Angestelltenverhältnisse überführt. Die Wochenarbeitszeit wurde auf 52 Stunden (sic) reduziert. Die Bemühungen sind aber umstritten: Vor allem kleinere Betriebe ächzen unter der erhöhten Belastung des gestiegenen Mindestlohns. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt derzeit auf einem Rekordhoch.

Üppiger Urlaub im Alpenparadies

Die gedämpften Aussichten treffen vor allem Südkoreas hochgebildete Uni-Absolventen, deren Ausbildungssystem sich Minister Faßmann bei einem Besuch der Seoul National University näher ansehen will. Und diese Krise lässt Österreich für die Studenten in einem mehrfach attraktiven Licht erscheinen. Das hat auch mit dem Postkarten-Image zwischen Hochkultur und Alpenromantik zu tun. Aber auch ausgiebiger Mutterschutz und fünf Wochen Urlaub im Jahr klingen für Südkoreas Jugend geradezu paradiesisch.

Und österreichische Firmen? "Einige Hidden Champions sind in Südkorea sehr präsent", sagt Unternehmer Danninger, "aber bei Verbraucherprodukten ist Österreich nur äußerst schwach vertreten." Österreichs Exporte nach Südkorea haben allerdings im Jahr 2017 mit 1.289,7 Millionen Euro erstmals die Milliardenmarke geknackt, laut den jüngsten Zahlen lässt sich auch für 2018 ein Anstieg im zweistelligen Prozentbereich vermuten. (Manuel Escher, Fabian Kretschmer aus Seoul, 13.2.2019)