Ganze 2.500 Datingplattformen gibt es heute im deutschsprachigen Raum. Leichter macht das die Suche nach Liebe eindeutig nicht. Im Gegenteil: Sie wird endlos, macht rastlos und oberflächlicher.

Foto: ORF/3sat

Die Frauen haben damit angefangen. Sie waren es, die die Kulturtechnik des "Datens" ankurbelten, als sie als alleinstehende Arbeiterinnen in große Städte übersiedelten. Was damals auf die Art nach dem Weltkrieg begann, hat sein vorläufiges Ende in Dating-Apps wie poppen.de – und 2.500 weiteren mehr oder weniger geschmackvoll benannten digitalen Datingplattformen. Was das für Singles, Sexualität und gängige Narrative von Liebe bedeutet, das versucht die neue ORF/3sat-Doku "Liken, daten, löschen – Liebe und Sex in Zeiten des Internets" am Mittwoch, 20.15 Uhr auf 3sat aufzudröseln.

Verschiedenste Fachleute versuchen die hochkomplizierte Lage zu klären. Aus der Paar- und Sexualtherapie, der Wissenschaft und dem Dating-Jungle selbst, wie Sarah, die nach einigen Jahren der Onlinesuche ebenso Expertin ist. "Man wird oberflächlicher", erzählt sie. Wenn das Foto nicht restlos überzeugt? Nur eine Sache nicht passt? Wisch und weg ist er. Warum Abstriche machen, wenn die nächste Option in greifbarer Nähe ist.

Endlose Optimierung

Begeistert scheint Sarah von diesem endlosen Angebot nicht zu sein. Der deutsche Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer beschreibt in der Doku ein Gefühl des "Immer-weiterschauen-Müssens" auf der Suche nach einem noch optimaleren Menschen. Trostlos klingt das schöne neue Sex- und Liebesleben auch bei Sexualtherapeutin Heike Melzer, die eine immer größere Kluft von "Unberührten" auf der einen Seite und Online-Promiskuitiven mit unzähligen sexuellen, aber emotional knapp bemessenen Erfahrungen auf der anderen Seite beobachtet.

Die US-Historikerin Moira Weigel fängt diese kulturpessimistische Tendenz der Expertisen nur habituell ab: Mit sichtbarer Begeisterung erzählt sie vom Übergang von der Vernunft- und vermittelten Ehe zur Liebesheirat, womit das Malheur mit der freien Wahl seinen Anfang genommen habe. Nachdem privilegiertere Gesellschaftsschichten das Dating zum Trend erhoben, sollte es nur mehr wenige Jahrzehnte dauern, bis mit dem Verkuppeln zwecks Sex, Lebensabschnittspartnerschaften oder der ewigen Liebe das große Geld zu machen sein würde. Und so fehlen auch Profiteure des Dating-Marktes nicht: Endlich jemand, der sich sichtlich und uneingeschränkt über die Liebe als gewinnbringenden Markplatz freut. Wie auf Wolken schwebt Tinder-Gründerin Whitney Wolfe, die heute die Dating-App Bumble leitet, durch ihr sonnendurchflutetes Loft-Büro und schwärmt davon, wie mühelos es heute doch sei, jemanden zu treffen. Die neue Arbeit der ständigen Selbstdarstellung und Optimierung vergisst sie freilich.

"Feminismus" oder Damenwahl

Der Film von Franziska Mayr-Keber und Constanze Grießler macht deutlich, dass hinter dem profan wirkenden Thema Dating-Apps richtig große Brocken liegen. Nicht zuletzt der Zusammenprall von Autonomiebestrebungen mit Kapitalismus und Konsumkultur. Schmerzlich fehlt daher die Expertin schlechthin für diese Gemengelage. Der Name der Soziologin Eva Illouz taucht nur auf einem Wühltisch für Ratgeberliteratur auf, wo sie definitiv nicht hingehört. Einige Analysen klappen neben den interessanten Stimmen in der Doku filmisch. So erfahren wir, wie Whitney Wolfe Freiheit und Liebe gewinnbringend zusammenspannt: Ihrer App verpasst sie das Label "feministisch", weil nur Frauen den ersten Schritt tun dürfen. Damenwahl hieß das früher mal. (Beate Hausbichler, 12.2.2019)